EuGH urteilt über Vorratsdatenspeicherung Brüssels "Sündenregister" steht vor dem Aus
08.04.2014, 05:51 Uhr
Seit Jahren tobt zwischen Brüssel und Berlin ein Streit. Wegen der Vorratsdatenspeicherung drohen Strafen in Millionenhöhe. Der Europäische Gerichtshof könnte den Zwist nun beenden, Datenschützer wird er aber kaum zufriedenstellen.
Für Datenschützer ist die EU-Richtlinie 2006/24/EG in etwa das, was das Sündenregister für strenge Katholiken ist. Die Richtlinie fordert die Mitgliedstaaten zu einer flächendeckenden Vorratsdatenspeicherung auf. Telekommunikationsanbieter sollen mindestens sechs Monate lang speichern, wer wann mit wem telefoniert, E-Mails oder SMS schreibt. Sie sollen auch den Standort von Mobilfunknutzern sichern. Bei jedem, unabhängig von einem Anfangsverdacht oder einer konkreten Gefahr. Ermittlungsbehörden können dann nach Belieben darauf zugreifen, um Straftaten zu verhindern.
Die Angst vor Missbrauch ist bei den Datenschützern gewaltig. Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, eine Initiative von Bürgerrechtlern und Internetnutzern, spricht vom "Ende der Privatsphäre", von einer Maßnahme, die alle bisherigen Überwachungsmaßnahmen "in den Schatten" stellt.
An diesem Dienstag entscheidet der Europäische Gerichtshof (EuGH) darüber, ob die Richtlinie in dieser Form zulässig ist. Iren und Österreicher hatten gegen die Vorratsdatenspeicherung geklagt. Nun spricht vieles dafür, dass das Gericht die Regelung zumindest in Teilen kippt. Das Urteil hat das Potenzial, einen Streit zu befrieden, der seit Jahren zwischen Brüssel und Berlin tobt und für Deutschland teuer enden könnten. Die Sorgen der Datenschützer allerdings wird das Urteil kaum lindern können.
Nachbesserungen an der Richtlinie wahrscheinlich
Die Bundesrepublik hatte die Richtlinie eigentlich bereits 2007 umgesetzt. Das Bundesverfassungsgericht schränkte sie aber zunächst durch eine einstweilige Verfügung ein und erklärte das deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung drei Jahre später gänzlich für verfassungswidrig. Die Bundesrepublik ist seither das einzige Mitgliedsland ohne Vorratsdatenspeicherung. Berlin muss sich deshalb mit einem Vertragsverletzungsverfahren herumschlagen. Die EU-Kommission fordert 310.000 Euro pro Tag bis zur Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht.
Dieser Konflikt dürfte bald der Vergangenheit angehören. Der Generalanwalt des EuGH, Pedro Cruz Villalón, sperrte sich dagegen, die Richtlinie in ihrer bisherigen Form zu erhalten. Sie verstößt seiner Meinung nach gegen das Grundrecht auf Achtung des Privatlebens und der Kommunikation. In seinen Schlussanträgen sagte er, dass die Regelung es derzeit ermöglicht, ein komplettes Abbild der privaten Identität von Menschen zu erstellen und die Vorratsdatenspeicherung so zu "heimtückischen Zwecken" missbraucht werden könnte. Villalón folgt damit weitgehend der Argumentation des deutschen Bundesverfassungsgerichts. Dass auch der EuGH dieser Einschätzung nun übernimmt, gilt als wahrscheinlich. Er folgt in zwei von drei Fällen den Gutachten des Generalanwalts. Rechtsexperten rechnen deshalb damit, dass der Gerichtshof der EU-Kommission Nachbesserung an der Richtlinie auferlegt.
Strafzahlungen werden unwahrscheinlicher
Die Bundesregierung ist darauf vorbereitet und erahnt die Wünsche des EuGH offenbar schon. Union und SPD halten grundsätzlich an der Vorratsdatenspeicherung fest. Sie haben sich aber darauf geeinigt, möglichst schnell eine Regelung auf den Weg zu bringen, die im Einklang mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und des Gerichtshofs in Luxemburg steht. Schon im Koalitionsvertrag ist von einer kürzeren Speicherdauer von drei Monaten und einem Abruf der Daten nur bei Verdacht und auf richterliche Anordnung hin die Rede. Sollte der EuGH nicht mehr als das verlangen, wäre der Streit mit Brüssel wohl beendet. Die EU müsste eine neue Richtlinie erarbeiten, die Deutschland dann umsetzt. Das Vertragsverletzungsverfahren wäre hinfällig und Deutschland müsste keine Strafzahlungen mehr befürchten.
Zufriedengestellt sind damit trotzdem nicht alle. Die Bundesregierung, Gutachter Villalón und damit wohl auch der EuGH pochen auf kürzere Speicherzeiten und beschränkten Zugriff, sie stellen sich nicht grundsätzlich gegen die massenhafte Speicherung der Verbindungsdaten durch die Telekommunikationsunternehmen. Die Folge: Das Missbrauchspotenzial besteht weiterhin. Das neue Brüsseler Sündenregister wäre nur ein wenig kürzer.
Sündenfall hin oder her - die Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts werfen einen weniger ideologischen dafür aber umso pragmatischeren Blick auf die Vorratsdatenspeicherung. Während Datenschützer sich um die Freiheit sorgen und Innenpolitiker um die Sicherheit haben sie vor zwei Jahren untersucht, ob die Vorratsdatenspeicherung überhaupt nutzt. Die Wissenschaftler werteten für ihre Untersuchung etliche Statistiken aus und untersuchten Entwicklungen in Staaten, die die Richtlinie schon umgesetzt haben. Das Ergebnis kam vor allem bei Ermittlungsbehörden ausgesprochen schlecht an. Die Wissenschaftler kommen zu dem Schluss: "Die Vorratsdatenspeicherung hat keinen messbaren Einfluss auf Aufklärungsquoten."
Quelle: ntv.de