Jürgen Trittin im Interview "Chinas Friedensplan ist wichtiger und richtiger Schritt"
20.02.2023, 19:27 Uhr
Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin sitzt seit 1998 im Bundestag, seit 2014 ist er Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Von 1998 bis 2005 war er Bundesumweltminister.
(Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress)
Auf der Münchner Sicherheitskonferenz am vergangenen Wochenende sendete der Westen ein geschlossenes Signal der Unterstützung für die Ukraine im Krieg gegen Russland. Doch auch China trat sehr selbstbewusst auf und kündigte einen Friedensplan für den Konflikt an. Grünen-Außenpolitiker Jürgen Trittin nennt das einen "wichtigen und richtigen Schritt". Kritisch sieht er dagegen die Reaktion der USA. Und Trittin spricht - nach einer Reise des Auswärtigen Ausschusses nach Japan und Südkorea - über die Lage in Ostasien, die Taiwan-Frage und die deutsche Ostasien-Strategie.
ntv.de: Auf der Münchener Sicherheitskonferenz am Wochenende war der Krieg in der Ukraine ein großes Thema. Doch daneben war auch China sehr präsent. Wie haben Sie das erlebt?
Jürgen Trittin: In der deutlichen, wenn nicht sogar harten Rede des obersten Außenpolitikers Wang Yi war genau zu hören, dass China seine Haltung sehr selbstbewusst vertritt. Er hat zwei Botschaften vermittelt: Einerseits, mit Bezug auf Taiwan, hat er die Ein-China-Politik und die territoriale Integrität seines Landes betont. Das war aber aus meiner Sicht auch eine Ansage Richtung Russland, angesichts der Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine. Andererseits gab es die Ankündigung eines Vorschlags für eine Beendigung des Kriegs. Insofern hat China in München die Gelegenheit für einen Vorschlag genutzt, der über die reine Selbstvergewisserung, die diese Konferenz doch sehr geprägt hat, ein Stück hinausweist.
Wie wahrscheinlich ist es, dass der Friedensplan, den China angekündigt hat, gerade im Westen überhaupt ernst genommen wird?
Wenn ich den Bundeskanzler bei seinem Besuch in China richtig verstanden habe, hat er das Land aufgefordert, sich in diesem Konflikt stärker zu engagieren. Insofern ist Chinas angekündigter Friedensplan ein wichtiger und richtiger Schritt, den Annalena Baerbock ja zu Recht begrüßt hat. Aber auch China muss klar sein, dass die Ukraine ihr Schicksal selbst entscheidet und ein Diktatfrieden keine Option ist. Ich hoffe trotzdem, dass diese Initiative jetzt nicht durch die Warnung der USA, dass China Waffen an Russland zu liefern plant, in den Hintergrund gerät.
Gibt es eine tatsächliche Grundlage für die Warnung?
Das kann ich nicht sagen. Sollte es aber keine gegeben haben, ist sie trotzdem geeignet, den Vorschlag der Chinesen für eine mögliche Lösung im Ukrainekonflikt zu desavouieren. Das wäre kein kluges Vorgehen. Bisher hat China jedenfalls alles getan, um zu vermeiden, dass sie möglicherweise wegen der Unterstützung Russlands sanktioniert werden könnten. Ich sehe keinen handfesten Grund, warum sie das jetzt riskieren sollten. Denn China weiß auch, dass Waffenlieferungen an Russland völlig inakzeptabel wären.
Welches Signal sendet China mit seinem Friedensplan an die Welt - gerade an jene Länder, die sich in diesem Konflikt bisher eher neutral verhalten?
Es ist völlig klar, dass die europäischen EU- und NATO-Staaten in diesem Konflikt Partei ergreifen, weil sie es nicht akzeptieren können, dass die Ukraine überrannt wird, und um potenziellen weitergehenden Angriffen von Wladimir Putin einen Riegel vorzuschieben. Damit ist aber auch klar, dass die Europäer als Vermittler bei der Beendigung dieses Konfliktes nur bedingt infrage kommen. Die einzige wirklich realpolitische Rede, die in München gehalten wurde, war ja am Ende die von Emmanuel Macron. Dieser hat ja nicht zu Unrecht darauf verwiesen, dass auch nach diesem Krieg Russland immer noch ein Nachbar in Europa sein wird.
Wer kann eine Rolle bei der Beendigung des Krieges spielen?
Wir haben immer wieder die BRICS-Staaten oder auch andere Verbündete Russlands aufgefordert, sich bei der Lösung des Konflikts einzubringen. Diese Staaten - also Brasilien, Indien, Südafrika und China - könnten Russland vielleicht eher dazu bringen, die Kampfhandlungen einzustellen. Chinas Friedensplan kann daher ein Schritt in die richtige Richtung sein. Das ist auch im europäischen Interesse.
Sie haben mit anderen Mitgliedern des Auswärtigen Ausschusses in der vergangenen Woche Japan und Südkorea besucht, die beide Sanktionen gegen Russland verhängt haben. Wie genau wird da der Kriegsverlauf beobachtet?
Da gibt es durchaus Unterschiede. Japan hat mit Russland eine anhaltende Auseinandersetzung um die Kurilen …
… die Inselgruppe, die die Sowjetunion nach Ende des Zweiten Weltkriegs besetzt hat.
Japan sieht diese Inseln weiter als sein Hoheitsgebiet an. Die Frage der Rückgabe ist mit dem Krieg in der Ukraine aber in weite Ferne gerückt. Hinzu kommt, dass Japan mit Blick auf eine mögliche Eskalation der Taiwan-Frage eine extreme Behinderung seiner Exportfähigkeiten befürchtet. Mehr als 80 Prozent der japanischen Exporte werden durch die Straße von Taiwan abgewickelt. Die Sorge in Japan ist also sehr groß und die Parteinahme klar.
Und in Südkorea?
Hier ist die Frage des Umgangs mit Nordkorea viel wichtiger als die Taiwan-Frage. Südkorea sieht, dass weder Russland noch China aus strategischen Gründen ein Interesse daran haben, die Herrscherfamilie Kim fallen zu lassen. China will natürlich keinesfalls, dass möglicherweise direkt an der Grenze US-Truppen stehen.
Wie wahrscheinlich hält Japan einen chinesischen Angriff auf Taiwan in den kommenden Jahren?
Der Eindruck - den ich auch teile - ist, dass nach der russischen Intervention in der Ukraine China die Anwendung von Gewalt gegenüber Taiwan völlig neu kalkuliert. Denkbar, dass China erst einmal abwarten möchte, ob bei den Präsidentschaftswahlen in Taiwan im kommenden Jahr die Kuomintang, die eine Politik der flexiblen Anpassung an China verfolgt, gewinnt.
Wie geht Japan mit der Gefahr einer Eskalation um?
Japan hat auf der einen Seite seine Rüstungsanstrengungen erhöht. Künftig sollen zwei Prozent des Bruttosozialprodukts für Rüstung ausgegeben werden, derzeit ist es ein Prozent. Andererseits hat Japan eine strategische Allianz mit den USA und Taiwan geschlossen, um gemeinsam Chips der neuesten Generation zu produzieren. Zudem wird eine gemeinsame Fabrik mit dem größten taiwanesischen Hersteller für Chips älterer Generation, also für Kühlschränke oder Autos, aufgebaut. Das Land beugt also auch schon den Folgen einer möglichen Eskalation in Taiwan vor. Daran sollten wir uns in Europa ein Beispiel nehmen.
Gibt es denn bereits Fortschritte, die deutsche Abhängigkeit von China zu verringern?
Sowohl Japan als auch Südkorea begrüßen, dass Deutschland mit der geplanten neuen Chinastrategie einen realistischen Blick auf China wirft. Andererseits treiben beide Staaten selbst viel Handel mit China und wissen, dass solche Verflechtungen nicht vollständig rückgängig gemacht werden können - und auch nicht sollten. Es geht eher darum, bestimmte strategische Industrien zu behalten oder zurück zu verlagern und gleichzeitig die Produktionsketten zu diversifizieren. Im Entwurf der Chinastrategie geht Deutschland in diese Richtung. Er benennt die Strategie für ein Problem, für das wir noch nicht wirklich eine Lösung haben.
Gibt es konkrete Erwartungen an Deutschland im Falle einer Eskalation um Taiwan?
Es gibt keine Erwartung an eine Verteidigungszusage der NATO für Korea und Japan. Allerdings wurde sowohl die symbolische Präsenz der Fregatte "Bayern" in Ostasien sehr begrüßt als auch die gemeinsamen Eurofighter-Übungen mit Australien. Im Kern setzen beide Länder aber auf eine verstärkte wirtschaftliche und politische Kooperation. Deswegen ist zum Beispiel das Handelsabkommen der EU mit Japan von zentraler Bedeutung, genau wie die Handelsabkommen mit den ASEAN Staaten und mit Australien, die derzeit verhandelt werden. Diese Stärkung der wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit korrespondiert auch mit der Neuausrichtung der Ostasienpolitik unter Außenministerin Baerbock und Kanzler Scholz. Bisher war diese ja allein auf China konzentriert.
Mit Jürgen Trittin sprach Markus Lippold
Quelle: ntv.de