Politik

Fünf Lehren aus München Better call Boris

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Feierte seine Premiere als Verteidigungsminister auf der Sicherheitskonferenz: Boris Pistorius vor dem Bayerischen Hof

(Foto: IMAGO/Björn Trotzki)

Auf der Sicherheitskonferenz musste der Westen zeigen, dass er 2023 an der Seite der Ukraine und zusammen stehen wird. Auch anderes ist gut gelaufen - vor allem für Boris Pistorius. Fünf Lehren aus München.

1. Der Westen hat sein Signal gesendet

Was die Ukraine gerade leistet, verlangt beinahe übernatürliche Kräfte. Zuversichtlich und tapfer bleiben - trotz der Tode an der Front ohne Geländegewinn. Trotz des Wissens um Folter, Entführungen und Mord in den von Russland besetzten Gebieten. Welche Aufgabe hat eine Sicherheitskonferenz in Europa dieser Tage, wenn nicht diese: ein kraftvolles Signal an Kiew und an Moskau zu senden: We stand with Ukraine.

Egal, welche westliche Führungskraft am Rednerpult stand: Ob man die mit Verve und Tempo vorgetragene Münchner Premiere des britischen Premiers Rishi Sunak hörte, oder die nüchternen Worte von Kanzler Olaf Scholz. Inhaltlich waren sie nicht minder entschieden. Ob Staatspräsident Emmanuel Macron, der für Frankreich klarmachte, dass jetzt nicht die Zeit für Verhandlungen sei, oder Kamala Harris.

Die Vize-Präsidentin der Vereinigten Staaten fand die kraftvollsten Worte, um zu unterstreichen, warum Aufgeben nicht nur für die Ukraine, sondern auch für ihre Unterstützer keine Option sein kann. Sie rief Erinnerungen an Bilder aus Butscha wach, die sich weltweit in viele Köpfe gebrannt haben. Amerika werde weiter führen in der Verteidigung von Menschenwürde, Normen und Freiheit, sagte Harris. "Es steht zu viel auf dem Spiel, um weniger zu tun als das."

Große Worte auf dem großen Panel - dafür ist es gedacht, und das haben die Staats- und Regierungschefs geliefert. Das hat seinen Wert, gerade in Tagen, wenn etwa in Deutschland ein Manifest durchs Internet zieht, das Solidarität mit der Ukraine eben nur heuchelt. Auch in anderen Demokratien wird diskutiert über Für und Wider von Waffenlieferungen. Das muss auch so sein. Die Führenden der westlichen Welt strahlten ihre Überzeugung aus, Mut und Zusammenhalt - nach innen und außen.

2. Kriegsziele zu formulieren wäre beruhigend - aber auch riskant

"Die Ukraine muss gewinnen" - nicht nur Boris Pistorius sagte das in München so deutlich, diese Aussage wurde von vielen gemacht. Doch was würde es bedeuten, "den Krieg zu gewinnen"? Was hieße es, auf die Gebiete unter russischer Besatzung übertragen? Und wie weit würde der Westen unterstützen auf diesem Weg, der auch Risiken birgt - vor allem, wenn es um die Krim geht?

Fragen, die sich viele Menschen konkret stellen, und die auf der Sicherheitskonferenz so konkret nicht beantwortet wurden. "Für eine Rückeroberung der Krim stellt der Westen keine Hilfe zur Verfügung" - mit einer solchen Aussage aus München würde man sich vielleicht kurzfristig sicherer fühlen, aber diese Sicherheit wäre trügerisch.

Denn eine solche Position würde auf Strategie fußen, nicht auf Rechtsfragen. Rein völkerrechtlich hat die Ukraine denselben Anspruch auf die illegal besetzte Krim wie auf alle anderen von Russland besetzten Gebiete. Eine strategische Position jedoch, die heute sinnvoll erscheint, kann in sechs Monaten schon nicht mehr zur Situation passen.

Krieg ist keine Naturgewalt und kein Prozess, der einmal in Gang gesetzt nach verlässlichen Regeln abläuft. Die Beteiligten bestimmen seine Dynamik, und diese Unsicherheit auszuhalten, kostet Kraft und will gelernt werden. Der NATO-Generalsekretär hat diesen Punkt auf der Bühne sehr gut adressiert: "Nichts bekommt man ohne Risiko", sagte Jens Stoltenberg, "aber das größte Risiko ist, dass Putin gewinnt".

Und ein zweiter Aspekt spricht für die Zurückhaltung der westlichen Staaten in strategischen Fragen: Wenn Russlands Diktator Wladimir Putin dazu gebracht werden soll, an der Erreichbarkeit seiner eigenen Ziele zu zweifeln und daraufhin ernsthaft zu verhandeln, dann sollte man ihn so lange wie möglich glauben machen, dass die Ukraine sämtliche Mittel haben wird, um diese Ziele zu verhindern.

Würde der Westen schon jetzt öffentlich sagen: "Bei der Krim sind wir raus, das wird uns zu heikel", dann wäre das für Putin eine gute Nachricht. Er würde sie in seine langfristige Strategie einbauen und sich selbst stärker fühlen. Das große Ziel würde Putin näher erscheinen und nicht weiter entfernt. Warum aber je verhandeln, wenn der Sieg sogar näher rückt?

Darum taten Staatschefs und Diplomaten gut daran, diese Frage - obwohl sie im Raum steht - auf den großen Podien auszuklammern. Olaf Scholz erklärte dort, man stehe der Ukraine bei, "so umfangreich und so lange wie nötig". Wünscht man sich beim Kanzler sonst oftmals zwei Sätze mehr, so hatte diese Aussage die richtige Länge. In kleineren Konferenzräumen, im geschützten Rahmen, wird Raum für strategische Erwägungen gewesen sein.

3. Mit China wird es ein schwieriges Jahr

Dass Peking mit Wang Yi seinen ranghöchsten Außenpolitiker nach München geschickt hat, war ein gutes Zeichen. Der Chinese kam nicht als Sprechautomat, sondern vertrat souverän sehr konkrete Positionen. Zunächst überraschte Wang mit der Ankündigung eines Friedensplans für den Ukrainekrieg. Zum Gehalt des Plans, den China zum Jahrestag des Kriegsbeginns vorlegen will, lässt sich jetzt noch nichts sagen.

Xi Jinpings Einfluss auf Putin ist stark. Seit sich China beim G20-Gipfel mit den anderen Nationen gegen Moskaus Drohungen mit Nuklearwaffen aussprach, hat Putin verbal spürbar abgerüstet. Dass Peking aber nun einen Friedensplan vorlegen wird, den die Ukraine als gerecht empfinden könnte, ist kaum zu erwarten.

Umso weniger, als die USA Xi verdächtigen, eine Unterstützung für Russland "einschließlich Waffen" in Erwägung zu ziehen, so formulierte es US-Außenminister Anthony Blinken im Interview mit dem TV-Sender NBC. Er drohte dem Chef-Außenpolitiker aus Peking nach eigenen Angaben "ernsthafte Konsequenzen für unsere Beziehungen" für diesen Fall an.

Wang Yi und Blinken hatten sich in München kurzfristig zu einem Gespräch verabredet, zur Erleichterung vieler Beobachter. Sie wollten die Möglichkeit nutzen, um auch über den Fall des Spionage-Ballons zu sprechen. Ein chinesischer Ballon war tagelang im amerikanischen Luftraum geflogen. Schließlich ließ Washington ihn abschießen und Blinken sagte einen geplanten Besuch in China kurzfristig ab.

Wang Yi wurde auf der Bühne scharf im Ton, als er seine Beurteilung des Ballon-Abschusses formulierte. "Absurd und hysterisch" sei die Reaktion der USA gewesen. Das Gespräch zwischen beiden Außenpolitikern soll später recht frostig abgelaufen sein. Aber immerhin, es gab ein Gespräch. Auch das ist eine wichtige Fähigkeit der Münchner Sicherheitskonferenz: einen neutralen Raum zu schaffen, in dem Gesprächspartner auch im Konflikt eine Annäherung versuchen können.

4. Boris Pistorius kann Konferenz

Auf ihn waren viele gespannt: Der neue deutsche Verteidigungsminister hatte gleich mehrere Auftritte im Programm und sorgte nicht nur mit klaren Aussagen wie "Die Ukraine muss gewinnen" für Zustimmung. Er suchte auch Gelegenheiten, eigene Akzente zu setzen, etwa wenn er von der deutschen Bereitschaft sprach, das Zwei Prozent-Ziel der NATO mit dem Verteidigungshaushalt zu erreichen.

Die Aussage als solche war wenig überraschend, Pistorius hatte sich schon vergangene Woche wie andere NATO-Kollegen für zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts als Untergrenze ausgesprochen, und auch der Kanzler sprach in München von dauerhaft zwei Prozent für den Verteidigungsetat.

Doch im Haushalt hinterlegt ist das noch nicht. Der Minister legte sich damit persönlich fest zu einem Zeitpunkt, zu dem sein Verteidigungsetat dafür noch gar nicht die nötigen Mittel hat. Kann er die zusätzlichen Milliarden beim Kanzler dann doch nicht durchsetzen, dann steht er bei seinen Amtskolleginnen und -kollegen als unglaubwürdig und schwach da. Mit dieser Zusage zeigte Pistorius mehr Mut, als es auf den ersten Blick den Anschein hatte.

Neben der Zusage für die Zukunft brachte der Minister in München auch deutsche Selbstkritik an, in dem er die zwei Prozent "überfällig" nannte. Berlin hat das Zwei Prozent-Ziel 2014 selbst mit verabschiedet und seitdem jedes Jahr verfehlt, meistens deutlich. Mit dem hinzugefügten "überfällig" signalisierte der Minister ein Bewusstsein für dieses Versagen aus den vergangenen Jahren.

Für den wortkargen Kanzler könnte der muntere Pistorius ein hilfreicher Kollege werden, um deutsche Verteidigungspolitik verbindlicher und verständlicher zu machen. Oder aber einer, der ihm unabsichtlich die Show stiehlt? Von vielen in München wurde er als souverän und sympathisch wahrgenommen. Auf die Frage, ob er denn optimistisch sei, Koalitionspartner, Kabinett und die eigene Partei vom Zwei Prozent-Ziel zu überzeugen, entgegnete der Minister grinsend: "I am always optimistic - look at my face".

5. Eine Hälfte Frauen - das tut gut

Der neue Chef der Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, hatte sich das als Ziel gesetzt: 50 Prozent Frauen auf den Panels - in der über viele Jahre männerdominierten Sicherheitsbranche kein ganz einfaches Unterfangen. In der Riege der Staats- und Regierungschefs wird man hingegen leicht fündig - mit Premierministerin Kaya Kallas aus Estland, mit der finnischen Regierungschefin Sanna Marin oder auch Moldaus Präsidentin Maia Sandu. Der Debatte tat der Frauenanteil durchweg gut, und gerade die Vertreterinnen des östlichen Europas öffneten spannende Perspektiven.

So hat die Münchner Sicherheitskonferenz dieses Ziel, das nicht ehrgeizig, sondern eigentlich Standard sein sollte, problemlos erreicht und sich selbst dadurch bereichert. Gute Nachricht von Sanna Marin: Sie versicherte beim Panel auf Nachfrage, sie habe auch nach ihrem von manchen skandalisierten Partybesuch im vergangenen Sommer nicht aufgehört zu tanzen.

Quelle: ntv.de

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