"Schlag gegen die Gesetzlichkeit" Chodorkowski legt Berufung ein
31.12.2010, 11:42 UhrDie Verteidigung des verurteilten Kremlkritikers Chodorkowski legt Berufung gegen die Verurteilung zu 14 Jahren Haft ein - auch wenn die Urteilsbegründung noch nicht vollständig vorliegt. EU und USA üben derweil heftige Kritik an dem Prozess. Das Urteil sei ein "Missbrauch" des Rechtssystems, heißt es in Washington.
Einen Tag nach der umstrittenen Verurteilung des russischen Kremlkritikers Michail Chodorkowski zu 14 Jahren Haft hat die Verteidigung des ehemaligen Öl-Magnaten Berufung eingelegt. "Die Urteilsbegründung liegt uns zwar noch nicht vollständig vor, aber wir wollten wegen der anstehenden Feiertage die Frist nicht versäumen", sagte die Anwältin Karina Moskalenko nach Angaben der Agentur Interfax in Moskau.
Bisher umfasse der Widerspruch der Verteidigung neun Seiten, sagte Moskalenko. "Wir werden die Berufung gegen das Urteil ausdehnen, sobald wir alle Dokumente erhalten." Demnach legten auch die Anwälte von Chodorkowskis ebenfalls verurteiltem Geschäftspartner Platon Lebedew Berufung ein.
Ein Moskauer Gericht hatte am Vortag verkündet, dass der Erzfeind von Regierungschef Wladimir Putin wegen Unterschlagung und Geldwäsche bis 2017 hinter Gittern bleiben muss. Im aktuellen Prozess erhielt Chodorkowski dreizehneinhalb Jahre Haft. Eine Strafe von acht Jahren aus einem ersten Verfahren wegen Steuerhinterziehung werde angerechnet. Daraus ergibt sich eine Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren.
Chodorkowski war in der Ära des "Raubtierkapitalismus" nach dem Ende der Sowjetunion 1991 mit undurchsichtigen Mitteln zum reichsten Mann Russlands aufgestiegen. Er hatte in den Jahren vor seiner Verhaftung immer deutlicher Kritik an Putins Regierung geübt und darüber hinaus Oppositionsparteien unterstützt.
"Missbrauch" des Rechtssystems
Die Bundesregierung bezeichnete die Verlängerung der Haftzeit für Chodorkowski und seinen früheren Geschäftspartner Platon Lebedew als Rückschritt auf dem von Kremlchef Dmitri Medwedew eingeschlagenen Weg der Modernisierung Russlands. Prozessbeobachter prangerten viele Ungereimtheiten im Verfahren an.
"Das Urteil stellt einen Schlag gegen die Gesetzlichkeit in Russland dar", kritisierte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) und nannte den Prozess "politisch motiviert". Die Verhandlung habe gezeigt, dass die Probleme des russischen Justizsystems tief verwurzelt seien. "Alles, was die Anklage und den Gerichtsprozess anbelangt, zeugt davon, dass gegen Chodorkowski ein politischer Prozess geführt wurde", heißt es in der HRW-Mitteilung.
Die USA kritisierten die erneute Verurteilung Chodorkowskis als "Missbrauch" des Rechtssystems. Außenamtssprecher Mark Toner sagte in Washington, die US-Regierung sei besorgt über die Berichte über schwerwiegende Verstöße gegen rechtsstaatliche Normen während des Prozesses in Moskau. Die russische Wirtschaft werde sich nur entwickeln, wenn es auch ein unabhängiges Justizwesen gebe, betonte Toner.
Russland weist Kritik zurück
Russland wies unterdessen die internationale Kritik an dem Prozess erneut zurück. "Russlands Gerichte sind weder von ausländischen noch von russischen Behörden abhängig", sagte Außenminister Sergej Lawrow nach Angaben der Agentur Interfax in Moskau. "Falls dieses Urteil jemanden stark beunruhigt, so will ich daran erinnern, dass jeder Angeklagte Widerspruch einlegen kann." Lawrow appellierte an die Richter des Riesenreichs, sich "nicht vom Ausland beeinflussen zu lassen".
"Symbol für alle Probleme" Russlands
Die EU erhöht derweil ihren Druck auf Russland und will das Thema auf diplomatischer Ebene erörtern. "Die Europäische Union wird den Fall genau verfolgen und mit Russland zur Sprache bringen", sagte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton in Brüssel. "Die EU erwartet von Russland, dass es seine international eingegangenen Verpflichtungen im Bereich der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit einhält." Der Präsident des EU-Parlaments, Jerzy Buzek, sagte, das Urteil zeige die Grenzen des Rechtsstaates in Russland auf. Der Fall Chodorkowski sei ein "Symbol für alle Probleme" innerhalb des russischen Justizsystems, erklärte Buzek.
Die 27 EU-Staaten sehen Russland als strategischen Partner an und unterstützen Moskau bei der Modernisierung des Landes - umso größer ist die Enttäuschung in Brüssel. "Die Vorwürfe über Unrechtmäßigkeiten während des Prozesses sind Anlass zu ernster Sorge und Enttäuschung", sagte die Außenbeauftragte in überraschend klaren Worten. Nach Ashtons Worten sind die juristische Unabhängigkeit und das Recht auf einen fairen Prozess ein wesentlicher Bestandteil der Partnerschaft Russlands mit der EU.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP/rts