Lindner blockt nur eine Frage ab "Die Farbe des Kinderzimmers lässt krasseste Rückschlüsse zu"
12.02.2025, 16:12 Uhr
Christian Lindner ist bereits seit 2013 Bundesvorsitzende der FDP und damit der am längsten dienende Parteichef Deutschlands.
(Foto: Florian Seifert)
Christian Lindner hat die FDP 2017 nach vier Jahren außerparlamentarischer Opposition zurück in den Bundestag geführt. Jetzt kämpft er um sein politisches Vermächtnis: Bei der Wahl am 23. Februar könnte die Partei erneut an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Im "ntv Salon" berichtet Lindner ausführlich, ob ihm die ungewisse Zukunft den Schlaf raubt, ob er sich noch für den richtigen FDP-Chef hält und welche Fehler er selbst gemacht hat. Nur Fragen zum ersten Nachwuchs wehrt er standhaft ab.
ntv.de: Guten Tag Herr Lindner. Wie geht es Ihnen?
Christian Lindner: Danke der Nachfrage. Mir geht es gut.
Gestern war die 212. und letzte Bundestagssitzung der aktuellen Legislaturperiode. Viele Menschen spüren eine gewisse Erleichterung. Sie auch?
Es ist gut, dass am 23. Februar gewählt wird. Eine neue Wahl ist in der Demokratie nie eine Krise, sondern immer eine Chance. Im Winter ist der Wahlkampf etwas beschwerlicher als im Sommer. Es ist kalt draußen, die Kundgebungen sind für alle Beteiligten nicht so angenehm. Aber dafür gibt es eine Chance auf einen politischen Frühling für unser Land.
Eine dornige Chance?
Eine Chance, die man sich erarbeiten muss. Insofern dürfte dieser Satz eines großen Philosophen hier passen. (schmunzelt)
Sie werden auch bald Vater. Worauf freuen Sie sich mehr?
Das kann keine echte Frage sein. Natürlich ist das bedeutsamere Ereignis, das für mein Leben das größte Glück darstellt, dass unsere Familie wächst.
Ist das Kinderzimmer schon eingerichtet? Die Farbe ausgewählt?
... ja.
(Das Publikum lacht.)
Ich habe von meiner Frau strenge Anweisungen bekommen, bei familiären Themen vorsichtig zu sein!
Dieses Interview ist eigentlich ein Live-Podcast: Im "ntv Salon" stehen Persönlichkeiten wie FDP-Chef Christian Lindner, Virologe Christian Drosten oder die Militärexperten Carlo Masala und Sönke Neitzel Rede und Antwort - und das Publikum ist bei Bier, Wein und Sekt im Hauptstadtstudio von RTL und ntv hautnah dabei.
Sie möchten wissen, was Wolfram Weimer über die israelische Teilnahme am ESC, die AfD und die deutsche Erinnerungskultur denkt? Hier finden Sie die vollständige Aufzeichnung vom 23. September 2025.
Das Geschlecht dürfen Sie also nicht verraten?
Um Gottes willen, dann hätte ich ein Riesenproblem!
Kennen Sie das Geschlecht denn oder lassen Sie sich überraschen?
Nee, wir wissen das.
Wie ist das Zimmer denn …
Fragen Sie jetzt bitte nicht nach der Farbe! (lacht)
Wir sind in Berlin, hier streichen einige Eltern ihre Kinderzimmer bereits genderneutral.
Nein. Das machen wir nicht. Nein.
Die Farbe lässt also Rückschlüsse auf das Geschlecht zu?
Krasseste. Aber jetzt fahren Sie bitte nicht alle Obi-Märkte ab und fragen mit einem Foto von mir, ob und welche Farbe ich gekauft habe.
Wir möchten eigentlich wissen, wie Sie sich auf die Zukunft vorbereiten. Sie sind Optimist und sagen, dass Sie sich auf den Wiedereinzug in den Bundestag einstellen. Wachen Sie nachts trotzdem manchmal auf und denken: Mist, das könnte schiefgehen?
Ein Wahlkampf ist physisch schon relativ fordernd. Ehrlich gesagt ist die Batterie abends so leer, dass für Grübelei nachts keine Energie mehr da ist. Die Batterie muss erst mal aufgeladen werden, aber dann geht es morgens direkt weiter mit Wahlkampf. Natürlich, in der Demokratie ist alles möglich, aber ich konzentriere meine Energie darauf, für eine liberale Stimme im Parlament zu werben, denn die unterscheidet sich von anderen. Neulich hat sogar Sigmar Gabriel als überzeugter Sozialdemokrat im Fernsehen gesagt, dass er für eine FDP im Parlament kämpft - als liberales Gegenelement zu den staatsgläubigen Parteien. Das hat mir gefallen.
Das können wir uns vorstellen. Beim TV-Duell kam das auch zur Sprache.
Genau. Olaf Scholz und Friedrich Merz haben gesagt, der Bundestag wäre ärmer ohne uns, was umgekehrt bedeutet: Die FDP ist eine Bereicherung.
Die beiden haben aber nicht gesagt, dass der Bundestag ohne Christian Lindner ärmer wäre. Sind Sie noch der Richtige, um den Liberalen eine Stimme zu geben? Sie sind der am längsten dienende Parteivorsitzende, Ihr Parteiprogramm heißt: Alles lässt sich ändern. Das auch?
Warum erklären Sie mich mit 46 Jahren schon zum Methusalem? (lacht) Ich habe das Gefühl, gerade erst angefangen zu haben. Für manche ist das eine Verheißung, für andere eine Drohung.
Trotzdem stehen Sie und die FDP in Wahlumfragen bei unter 5 Prozent.
Warten wir doch auf die wichtige Umfrage am 23. Februar. Mich hat jedenfalls sehr motiviert, dass ich im ARD-Deutschlandtrend bei den persönlichen Beliebtheitswerten sechs Prozentpunkte zulegen und damit als Spitzenkandidat der 4-Prozent-FDP den Bundeskanzler der 16-Prozent-SPD einholen konnte.
Bei der Bundestagswahl 2021 hat die FDP 11,4 Prozent geholt, jetzt stehen Sie bei 4 Prozent. In der Ampel wurde Scholz dafür gescholten, dass er Führung versprochen, aber nicht geliefert hat. Robert Habeck wollte den Menschen die Heizung "rausreißen". Was haben Sie falsch gemacht? Wo sind 7 Prozent Ihrer Stimmen hin?
Wir haben mit SPD und Grünen koaliert.
Das war der Fehler?
Das war das Schicksal, denn es gab 2021 keine andere Option. Ich hätte gerne mit Armin Laschet eine Jamaika-Koalition gebildet. In Nordrhein-Westfalen hatten wir vorher eine schwarz-gelbe Koalition ausgehandelt - innerhalb von vier Wochen, ohne öffentlichen Streit, geräuschlos. Die hat gut regiert. Das hätte ich mir auch für den Bund vorstellen können, aber die Union konnte und wollte nicht mehr: Die CSU ist Herrn Laschet nach der Wahl von der Fahne gegangen. Deshalb musste die FDP als liberale Partei mit zwei Parteien links der Mitte koalieren. Das haben unsere Unterstützerinnen und Unterstützer nicht durchgehend begeistert aufgenommen, obwohl wir jeden Tag an unserer Agenda gearbeitet haben, wie man durch den öffentlichen Streit ja wahrnehmen konnte. Jetzt müssen wir unser Profil wieder herausarbeiten: Wir setzen als Partei in besonderer Weise auf Eigenverantwortung und Freiheit, achten das Leistungsprinzip, haben Respekt vor dem Eigentum. Wenn wir das machen, werden die Leute sagen: Das ist wieder die FDP, die ich gut finde.
Aber wohin sind denn Ihre Wählerinnen und Wähler abgewandert?
Die haben sich bisher nicht entschieden, vielleicht wählen sie dieses Mal auch CDU und CSU. Manche erwägen aus einer gewissen Protestsituation heraus - und unklugerweise - vielleicht sogar, die AfD zu wählen.
Die Grünen waren auch Mitglied der Ampel und stehen in den Umfragen ungefähr da, wo sie 2021 standen.
Die Wählerinnen und Wähler der FDP sind in ihrem Urteilsvermögen kritischer.
Aber Sie waren doch sogar stolz auf die "gelbe Handschrift" des Koalitionsvertrags.
Bitte legen Sie mir nichts Falsches in den Mund: Das war nicht ich, die Medien haben damals geschrieben, der Koalitionsvertrag sei in gelber Tinte verfasst. Tatsächlich ist viel auch erreicht worden: Wir haben dreimal zum 1. Januar die Steuern reduziert, die kalte Progression überkompensiert, hatten Rekordinvestitionen trotz Schuldenbremse, die Vernachlässigung der Bundeswehr beendet. Der Klimaschutz ist ein Stück marktwirtschaftlicher als in der Großen Koalition. Die Schulen erhalten in den kommenden zehn Jahren durch das Startchancen-Programm 20 Milliarden Euro. Vertrauen Sie mir, ich könnte die Regierungsbilanz in diesem Duktus weiter fortsetzen.
Vielen Dank für diesen Werbeblock.
Das war kein Werbeblock, das wurde erreicht. Auch in der Wirtschaftspolitik und der Migration ist manches passiert, aber SPD und Grüne wollen in eine ganz andere Richtung: Schulden und Subventionen statt marktwirtschaftlicher Rahmenbedingungen; SPD und Grüne sind ambivalent bei der Steuerung und Begrenzung von Migration. Die Grünen wollen sogar mehr Familiennachzug. Diejenigen, die uns wählen, sagen: qualifizierte Einwanderung, weltoffenes Land, aber Begrenzung der irregulären Migration auch mit robusten Mitteln. Die Ampel konnte bei diesen Themen nicht liefern. Insofern ist die Wahl eine Chance nicht nur fürs Land, sondern auch für meine Partei.
Sozialstaat begrenzen, Migration in den Griff bekommen und die Wirtschaft auf Vordermann bringen ... das sind doch derzeit mehrheitsfähige Themen. Warum steht die FDP bei 4 und nicht bei 18 Prozent?
Hans-Dietrich Genscher hat einmal gesagt: Die Wählerinnen und Wähler der FDP sind wie Rehe. Es braucht lange, bis sie auf die Lichtung kommen. Dann fällt ein Schuss und sie sind sofort wieder weg.
Und Sie sind sicher, dass die FDP ohne Sie schlechter dran wäre?
Ich bin froh, dass wir viele sind, aber auch erleichtert, dass die FDP mich hat - Spaß beiseite: Die Menschen, die uns gut fanden, haben sich nicht fundamental geändert, sondern sagen eher: In der Ampel wurde mir zu wenig FDP präsentiert. Das begegnet mir relativ oft in Gesprächen mit einfachen Menschen, aber auch Vertretern der deutschen Wirtschaft: Die sagen sehr deutlich, dass unsere Pläne für eine Wirtschaftswende das sind, was das Land braucht. Und wenn Sie die persönliche Charakterfrage stellen möchten: Ich bin enorm selbstkritisch und meistens nicht zufrieden mit meiner Arbeit, dem Auftreten meiner Partei. Ich überlege fortlaufend, was falsch gewesen ist.
Zum Beispiel?
Nach dem Haushaltsurteil des Verfassungsgerichts im November 2023 hätten wir die Geschäftsgrundlage der Ampel neu verhandeln müssen. Das wäre möglich gewesen. Das habe ich nicht gemacht, das bereue ich. Denn seitdem war die Regierung im Trudeln.
Vielleicht hätten Sie auch anders aus der Ampel austreten sollen.
Ich bin nicht aus der Ampel ausgetreten. Ich bin entlassen worden.
Das ist doch das Problem. Wäre es nicht besser und ehrlicher gewesen, auszusteigen? Stattdessen gab es diesen inszenierten Rausschmiss, der bei vielen schlecht ankam.
Der Rausschmiss wurde von Herrn Scholz inszeniert, nicht von mir.
Da gibt es unterschiedliche Auffassungen ...
Es kann keine geben, weil es eine historische Wahrheit gibt. Die lautet: Ich habe Herrn Scholz eine Neuausrichtung des Haushalts und der Wirtschaftspolitik angeboten und gesagt: Wenn wir das nicht hinbekommen, gehen wir als Koalition - wie Gerhard Schröder 2005 - vor die Wählerinnen und Wähler und verkünden Neuwahlen. Dann hätte es übrigens auch den Migrationsantrag von CDU und CSU mit AfD-Unterstützung nicht gegeben. Wäre es besser gewesen, die Ampel damals direkt aufzukündigen? Im Nachhinein vielleicht. Aber ich habe mich für einen anderen Weg entschieden, weil ich noch Hoffnung auf eine Einigung und gemeinsam herbeigeführte Neuwahlen hatte.
Vielleicht hätten dann auch alle FDP-Minister mitgemacht.
Wer weiß. Das ist alternative Geschichtsschreibung.
Dann geben Sie uns zum Schluss noch einen Tipp: Landet die FDP am 23. Februar bei 4 oder 6 Prozent?
Warum der Gnade der Wähler so enge Grenzen grenzen? (schmunzelt)
Und die letzte Frage, Junge oder Mädchen?
Ich muss heute noch nach Hause kommen dürfen! (lacht)
Mit Christian Lindner sprachen Clara Pfeffer und Tilman Aretz. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das vollständige Gespräch können Sie sich hier als Podcast anhören oder hier anschauen.
Quelle: ntv.de