Politik

Zirkeltag der Berliner Mauer "DDR wird zu oft als Regionalthema gesehen"

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Jubelnde Menschen stehen am 10. November auf der Mauer am Brandenburger Tor - am Tag zuvor war die Grenzbefestigung gefallen.

(Foto: dpa)

28 Jahre, 2 Monate und 26 Tage teilte die Mauer Berlin. Genau so lange ist sie nun schon überwunden - der 5. Februar ist ein Zirkeltag. Für Anna Kaminsky, Geschäftsführerin der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, ist das ein Tag der Freude, aber auch des Gedenkens. Zugleich sieht sie Probleme in der Beschäftigung mit der DDR-Geschichte. "Wir stellen doch oft fest, dass das Thema DDR zu oft als ostdeutsches Regionalthema wahrgenommen wird und nicht als gesamtdeutsches", sagt sie im Interview - und fordert mehr Lehrstühle, die sich mit Kommunismus und DDR beschäftigen.

n-tv.de: Die Mauer ist so lange gefallen, wie sie gestanden hat - ist das für Sie ein freudiger Tag oder eher ein Tag des Gedenkens?

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Die Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße erinnert an das Bauwerk und den Todesstreifen.

(Foto: dpa)

Anna Kaminsky: Das ist für mich beides: Da ist sowohl die Freude, dass die Mauer weg ist und mit ihr das System, das auch mich und meine Familie eingesperrt hatte. Da ist aber auch die Trauer und das Gedenken an all die, die ihre Träume von einem anderen Leben jenseits dieser Mauern mit dem Leben, mit Haft, mit Verfolgung, mit der Trennung ihrer Familien und von Freunden bezahlt haben.

War der Mauerabriss nach der Wende zu radikal - hätte sie an mehr Stellen erhalten bleiben müssen, als Mahn- und Gedenkstelle und sichtbares Zeichen einer überwundenen Diktatur?

Von heute aus betrachtet war der fast vollständige Mauerabriss zu voreilig und zu radikal. Natürlich dominierte damals der Wunsch, nicht mehr tagtäglich mit diesem Monstrum konfrontiert zu sein. Die Wunde, die die Mauer für die Stadt darstellte, sollte so schnell wie möglich verheilen. Viele Menschen wünschten sich damals, dass die Stadt ohne Mauer schnell wieder zur Normalität zurückfinden sollte. Aber damit wurde auch die Chance vertan, deutlich sichtbar zu erhalten, was die Mauer und die Teilung für die Stadt bedeuteten und was die SED-Diktatur damit den Menschen angetan hat. Glücklicherweise füllt die Gedenkstätte in der Bernauer Straße mittlerweile diese Lücke auf beeindruckende Weise.

Mauer und DDR werden zunehmend zur Geschichte, was sich nicht verhindern lässt. Wo genau sehen Sie Schwachstellen in der historischen Aufarbeitung?

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Im August 1961 wurde die Mauer errichtet und trennte die Stadt, aber auch Familien, Freunde oder Schulklassen.

(Foto: dpa)

Wir leben mittlerweile glücklicherweise bereits 28 Jahre ohne Mauer, ohne Grenze, ohne Angst vor der Stasi oder willkürlichen Repressionen. Aber das heißt auch, dass das Wissen darüber an jene, die die DDR und die Teilung nicht erlebt haben und die sich glücklicherweise nicht vorstellen können, was es heißt, in Unfreiheit zu leben, vermittelt werden muss - und zwar nicht nur in den Schulen, sondern auch an den Universitäten und vor allem in der Lehrerausbildung, damit die Lehrkräfte von morgen fit sind, um auch dieses Thema angemessen im Unterricht aufzugreifen und zu behandeln. Wissen über die Verhältnisse in der DDR, über die Unterschiede zwischen Diktatur und Demokratie tragen auf jeden Fall dazu bei, Verklärungen und Verharmlosungen des Lebens in der Diktatur entgegenzuwirken.

Sie fordern einen Lehrstuhl für die Geschichte der DDR - würde sich dieser nicht auch nur an einen kleinen, wissenschaftlichen Kreis wenden?

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Dr. Anna Kaminsky leitet seit 2001 die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Sie hat mehrere Bücher zur DDR-Alltagskultur und zur Gedenkkultur veröffentlicht.

(Foto: picture alliance / Soeren Stache)

Was ich fordere, ist, dass die Kommunismusgeschichte und mit ihr die Geschichte der DDR selbstverständlicher Bestandteil von Forschung und Lehre sind - und zwar in der gesamten Bundesrepublik. Hier müssen Impulse gesetzt werden, die die Verstetigung des Themas und die Einordnung der Geschichte der kommunistischen Diktatur in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR in die langen Linien des 20. Jahrhunderts vornimmt und vor allem auch die bis heute anhaltenden Folgen der Diktatur thematisiert. Es wird doch immer wieder darauf verwiesen, dass Wissenschaft und Forschung die Grundlagen für die schulische und außerschulische Bildung und die fundierte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit liefern. Die von hier ausgehenden Impulse werden also folgend in den Bildungsprogrammen aufgegriffen - und vor allem künftige Lehrkräfte müssen dies in ihrer Ausbildung ganz selbstverständlich haben, um es später einbringen zu können. Und natürlich ist es mit einem einzigen solchen Lehrstuhl nicht getan.

Welche Gründe sehen Sie für eine mögliche Vernachlässigung der DDR-Geschichte? Liegt das auch daran, dass es in den alten Bundesländern an Verständnis fehlt für die Lebensbedingungen in der DDR?

Es gibt in Westdeutschland auf lokaler Ebene durchaus die Bereitschaft, sich mit der DDR-Geschichte auseinanderzusetzen. Allein unsere aktuelle Ausstellung zum DDR-Alltag, die Bilder des renommierten ostdeutschen Fotografen Harald Hauswald präsentiert, wird 2018 an über 500 Orten in westdeutschen Bundesländern zu sehen sein. Auch die Volkshochschulen haben das Thema immer wieder in ihren Programmen. Aber insgesamt stellen wir doch oft fest, dass das Thema DDR zu oft als ostdeutsches Regionalthema wahrgenommen wird und nicht als gesamtdeutsches.

Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der ungenügenden Aufarbeitung der DDR-Geschichte und den Wahlerfolgen populistischer Bewegungen und Parteien im Osten?

Ist die DDR-Geschichte wirklich ungenügend aufgearbeitet? Sehen Sie, wir haben in den vergangenen 25 Jahren viel Engagement im Osten Deutschlands gehabt. Da wurde unter schwierigen - auch finanziellen und personellen - Bedingungen die Auseinandersetzung mit der kommunistischen Diktatur, aber auch der NS-Diktatur vorangebracht. Ich denke aber auch, es ist wichtig, zu schauen, welche Folgewirkungen aus der DDR bis heute zu spüren sind. Das ist das eine. Das andere ist: Welche Erfahrungen sind in der Transformationszeit gemacht worden? Was hat nach 1990 dazu geführt, dass es offenbar im Osten der Bundesrepublik ein so hohes Frustrationspotenzial gibt? Wo fühlen sich Bürger - ob berechtigt oder nicht - nicht wahrgenommen und vertreten? Da kann Aufarbeitung im Sinne von politischer und historischer Bildungsarbeit vor allem Diskussionsräume bieten, Argumente bringen.

Welche Lehren kann man aus der Beschäftigung mit der DDR, aber speziell auch mit der Mauer, für heute ziehen?

Die für mich wichtigste Erfahrung ist: Man kann den individuellen und gesellschaftlichen Freiheitswillen nicht dauerhaft unterdrücken. Heute ist es vor allem wichtig, die Unterschiede zwischen Diktaturen und demokratischen Verhältnissen zu verdeutlichen und für Bedrohungen und Einschränkungen demokratischer Rechte und Freiheiten zu sensibilisieren. Diktaturen und autoritäre Herrschaft beginnen meist mit kleinen Schritten.

Mit Anna Kaminsky sprach Markus Lippold

Quelle: ntv.de

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