Scharfe Kritik an Zensus 2011 Das Volk wird gezählt
09.05.2011, 09:45 Uhr
Deutschland wird gezählt - nicht jeder findet das gut.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Heute ist der Stichtag für die Volkszählung. Alle Angaben, die gemacht werden, müssen sich auf den heutigen Montag beziehen. Die erhobenen Daten werden für den Zuschnitt der Wahlkreise und den Finanzausgleich verwendet. Kritiker äußern datenschutzrechtliche Bedenken. Vor allem Fragen zum Migrationshintergrund stoßen auf Ablehnung.
Heute hat offiziell die erste gesamtdeutsche Volkszählung begonnen. In Deutschland werden rund ein Drittel der mehr als 80 Millionen Einwohner befragt. Auskunft geben müssen Immobilienbesitzer, Bewohner von Gemeinschaftsunterkünften und zehn Prozent der Einwohner, die zufällig ausgewählt werden. Bestimmte Daten aller Bürger werden aus den Melderegistern der Kommunen und dem Register der Bundesagentur für Arbeit zusammengetragen.
Der Präsident des Statistischen Bundesamtes, Roderich Egeler, rief die Bürger zur Teilnahme am Zensus auf. "Deutschland braucht den Zensus", sagte er in Berlin. Die dabei gewonnenen Daten kämen allen Menschen in Deutschland zugute. Egeler glaubt zudem an eine andere Situation als zur Volkszählung in den 80er Jahren. "Wir rechnen nicht damit, dass dem Zensus ein Widerstand entgegengesetzt wird, der das Ergebnis infrage stellt", sagte er. Verweigere sich jemand, werde er zunächst gebeten, die Informationen zu liefern. Es gebe Erinnerungen, Mahnungen und Bußgelder. Jeder, der um Auskunft gebeten werde, sei laut Gesetz dazu verpflichtet.
Die letzte Zählung in der damaligen Bundesrepublik gab es unter großen Protesten im Jahr 1987. In der DDR wurde das letzte Mal 1981 gezählt. Der Zensus 2011 geht zurück auf eine Verordnung der Europäischen Union.
Keine Nachteile durch Zensus
Kritiker der Volkszählung führen datenschutzrechtliche Bedenken an. Das Statistische Bundesamt trat diesen entgegen. Kein Befragter müsse Nachteile durch den Zensus befürchten, wenn er zum Beispiel nicht korrekt an seinem Wohnort gemeldet sei, sagte Präsident Egeler. Die Daten würden nicht weitergegeben - auch nicht an Finanzämter, Sozialämter, Einwohnermeldeämter oder Sicherheitsbehörden.
Der "Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung" kritisiert, dass auch Fragen gestellt werden, die über den von der EU geforderten Umfang hinausgehen - zum Beispiel zum Migrationshintergrund und zur Religion, wenngleich diese Frage freiwillig beantwortet werden kann. Zudem fürchtet der Arbeitskreis, dass mit den zusammengetragenen Daten konkrete Rückschlüsse auf den einzelnen Bürger möglich sind.
Der schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte Thilo Weichert hält die Volkszählung für nicht notwendig. Es lägen genügend auswertbare Informationen in den verschiedenen Behörden vor, sagte Weichert dem NDR. Als Beispiele nannte er Rentenversicherung, Bundesagentur für Arbeit und Melderegister. Dagegen verwies Egeler darauf, dass die Registerdaten immer noch auf den Ergebnissen der Volkszählungen von 1987 und 1981 basierten. Im Laufe der Jahre würden die Fortschreibungen immer ungenauer.
"Ich werde mich trotzdem verweigern"
Die Schriftstellerin Juli Zeh will sich der Volkszählung verweigern. "Ich weiß, dass ich gesetzlich verpflichtet wäre, zu antworten", sagte Zeh der "tageszeitung" in einem Streitgespräch mit dem Vorsitzenden der Zensuskommission Gert G. Wagner. "Ich werde mich trotzdem verweigern, sollte ich unter den Auserwählten sein." Sie würde dafür auch ein Bußgeld in Kauf nehmen und dagegen klagen, sagte die Juristin.
"Genauso wenig wie ich will, dass der Nachbar in meinen Schubladen wühlt, will ich mir Fragen stellen lassen müssen, die meinen persönlichen Lebensbereich betreffen", sagte Zeh. Kritisch sieht sie die Frage nach dem Migrationshintergrund. Diese verschärfe den "angeblichen Kampf der Kulturen". Wagner konterte, damit werde die "Diskussion über das Leben von Einwanderern auf eine rationale Grundlage gestellt". Sorgen vor einem Missbrauch der Daten seien "irrational". "Es geht um Statistik und nicht um Spitzelei", sagte er.
Ergebnisse erst im Herbst 2012
Alle Angaben müssen sich auf diesen Montag beziehen, er ist der Stichtag für die Befragung. Es kann aber sein, dass Fragebögen schon früher verschickt wurden oder erst später eintreffen. Wer bei der Volkszählung um Auskunft gebeten wird, darf sie nicht verweigern, sonst droht ein Zwangsgeld. Wie viele Personen leben in Ihrer Wohnung? In welcher Branche arbeiten Sie? Welchen Schulabschluss haben Sie? Das sind Fragen auf dem zehnseitigen Bogen für die Haushaltsbefragung.
Ermittelt werden soll vor allem die genaue Zahl der Einwohner. Danach richtet sich der Zuschnitt von Wahlkreisen, der staatliche Finanzausgleich und wie viele Sitze ein Land im Bundesrat bekommt. Erste Ergebnisse sollen im Herbst 2012 vorliegen.
Lesen Sie hier die Fragen der Volkszählung
Quelle: ntv.de, dpa/AFP