Kaltblütig und berüchtigt Das ist der neue Al-Kaida-Chef
16.02.2023, 07:35 Uhr Artikel anhören
Auf Al-Adl ist ein Kopfgeld von zehn Millionen Dollar ausgesetzt.
(Foto: REUTERS)
Sein Temperament ist berüchtigt: Der Ägypter Said al-Adl, früher Oberstleutnant der ägyptischen Spezialkräfte, soll der neue Chef des Terrornetzwerkes Al-Kaida sein. "Er ist eine sehr mutige, professionelle und kaltblütige Persönlichkeit", urteilt ein Sicherheitsexperte.
Nach der Tötung von Al-Kaida-Chef Aiman al-Sawahiri im vergangenen Sommer hat nach Erkenntnissen der USA der im Iran lebende Ägypter Said al-Adl die Führung des Terrornetzwerkes übernommen. "Unsere Auswertung ergibt dasselbe wie die der UNO: nämlich dass der neue De-facto-Chef von Al-Kaida, Said al-Adl, im Iran ist", erklärte ein Sprecher des US-Außenministeriums mit Blick auf einen UN-Bericht.
Darin hieß es, die vorherrschende Auffassung der UN-Mitgliedstaaten sei, dass Al-Adl mittlerweile Al-Kaida führe. Er sei demnach aber aus zwei Gründen nicht offiziell zum "Emir" des islamistischen Terrornetzwerkes ausgerufen worden: Zum einen sei die Angelegenheit delikat, weil die in Afghanistan herrschenden radikalislamischen Taliban nicht eingestehen wollten, dass Al-Kaida-Chef Al-Sawahiri vergangenes Jahr von den USA in einem Haus in Kabul getötet worden sei.
Zum anderen lebe Al-Adl im Iran und damit in einem mehrheitlich schiitischen Land, wohingegen Al-Kaida eine sunnitische Gruppe ist. Weiter hieß es in dem UN-Bericht, Al-Adls Aufenthalt im Iran werfe Fragen auf hinsichtlich der "Ambitionen von Al-Kaida bei der Behauptung seiner Führung einer weltweiten Bewegung angesichts der Herausforderungen durch den IS", also die rivalisierende Dschihadistenmiliz Islamischer Staat. Laut dem US-Außenministerium lebt er derzeit im Südosten des Irans und steht unter dem Schutz der Revolutionsgarden.
Experten gehen davon aus, dass der Druck auf Al-Kaida gestiegen war, einen strategischen Anführer auszuwählen, der Anschläge planen und das Netzwerk leiten kann. Nach ihren Angaben agierte Al-Adl mehr als andere führende Al-Kaida-Mitglieder im Verborgenen. Während die früheren Al-Kaida-Chefs sich mit Ansprachen und Drohungen gegen die USA an die Öffentlichkeit wandten, habe sich der Ägypter bei der Planung von Anschlägen im Hintergrund profiliert.
Ein Mann der alten Garde
Der heute um die 60 Jahre alte Al-Adl war früher Oberstleutnant der ägyptischen Spezialkräfte. Er gehört zur alten Garde von Al-Kaida und war nach Einschätzung der Nichtregierungsorganisation Counter Extremism Project daran beteiligt, die Attentäter vom 11. September 2001 für ihren Einsatz in mehreren Passagierflugzeugen auszubilden. Auf ihn ist ein Kopfgeld von zehn Millionen Dollar ausgesetzt.
Ein US-Gericht legte ihm 1998 zur Last, an den Anschlägen auf US-Botschaften in Tansania und Kenia beteiligt gewesen zu sein. Damals starben 224 Zivilisten, über 5000 Menschen wurden verletzt. Auch bei dem Mord am US-Journalisten Daniel Pearl 2002 in Pakistan soll er eine Rolle gespielt haben. Früheste Hinweise auf die Hinwendung zum Extremismus datieren von 1981. Damals wurde Al-Adl verdächtigt, Teil des Mordkomplotts gegen den ägyptischen Präsidenten Anwar al-Sadat gewesen zu sein.
"Er droht jedem, der ihm missfällt"
Der ehemalige FBI-Ermittler Ali Soufan, der an der Fahndung nach Al-Kaida-Aktivisten beteiligt war, beschreibt Al-Adl als gewiefte Persönlichkeit und Pokerface. "Sein Temperament ist berüchtigt. Mit seiner scharfen Zunge droht er jedem, der ihm missfällt, Gewalt an. Er ist dafür bekannt, dass er Illoyalität sofort mit rücksichtsloser Gewalt bestraft", schrieb Soufan in einem Persönlichkeitsprofil für das Combating Terrorism Center. Bei Untergebenen könne er verächtlich und sogar brutal werden.
Andererseits sei er auch für freundliche Ratschläge bekannt. Der Fachmann am Institut für nationale Sicherheitsstudien der Universität Tel Aviv, Yoram Schweitzer, urteilte: "Er ist eine sehr mutige, professionelle und kaltblütige Persönlichkeit."
Experten gehen davon aus, dass Al-Adl seit Jahrzehnten zum innersten Al-Kaida-Kreis gehört. Sie vermuten, dass er die Aufgabe übernehmen muss, die Al-Kaida-Zellen im Nahen Osten, Afrika und Asien strategisch zu führen. Es gibt aber auch Zweifel, ob er diesen Aufgaben gewachsen ist. "Viele Insider sind der Meinung, dass er in der Vergangenheit eine wichtige operative Rolle gespielt hat, dass er aber nicht für eine Führungsrolle geeignet ist", sagte der Experte der International Crisis Group, Jerome Drevon. "Seine Fähigkeiten eignen sich eher für die Planung bewaffneter Einsätze als für die Verwaltung eines großen Netzwerks."
Seit Jahren im Iran
Seit 2002 oder 2003 lebt Al-Adl im Iran. Laut dem früheren FBI-Ermittler Ali Soufan stand er dort zunächst unter Hausarrest. Später habe der Ägypter vom Iran aus aber Reisen nach Pakistan unternommen. "Said ist einer der erfahrensten professionellen Soldaten der weltweiten dschihadistischen Bewegung und sein Körper trägt die Spuren des Kampfes", schrieb Soufan 2021 über Al-Adl.
Nach der Tötung von Osama bin Laden durch US-Spezialeinheiten im Mai 2011 in Pakistan hatte Al-Sawahiri die Führung von Al-Kaida übernommen. Er galt als Kopf hinter den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA, bei denen fast 3000 Menschen getötet wurden. Im Sommer 2022 töteten die USA Al-Sawahiri in Kabul mit von einer Drohne abgeschossenen Raketen.
Quelle: ntv.de, ghö/AFP/rts