Nach Haftentlassung Deniz Yücel ist wieder zuhause
16.02.2018, 21:58 Uhr
Yücels Ehefrau Dilek Mayatürk Yücel schloss den 44-Jährigen noch am Gefängnistor in ihre Arme.
(Foto: imago/Depo Photos)
Endlich in Sicherheit - für Deniz Yücel endet ein Martyrium. Nachdem er aus der Haft entlassen wurde, bringt ihn ein Flugzeug von Istanbul zurück nach Berlin. Dort wird schon gefeiert. Die Hintergründe der plötzlichen Freilassung bleiben unklar.
Deniz Yücel ist wieder in Deutschland. Wenige Stunden nach seiner Freilassung aus türkischer Haft landete der "Welt"-Journalist am Freitagabend an Bord einer Chartermaschine auf dem Flughafen Berlin-Tegel. Der 44-Jährige hatte mehr als ein Jahr ohne Anklage in der Nähe von Istanbul in Untersuchungshaft gesessen. Am Freitag nun nahm ein Istanbuler Gericht die Anklage wegen "Propaganda für eine Terrororganisation" und "Aufstachelung des Volkes zu Hass und Feindseligkeit" an. Dafür drohen Yücel zwischen vier und 18 Jahre Haft. Gleichzeitig verfügte das Gericht aber Yücels Entlassung aus der Haft, ohne eine Ausreisesperre zu verhängen.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Kanzlerin Angela Merkel und Bundesaußenminister Sigmar Gabriel reagierten erleichtert. Yücels Ehefrau Dilek Mayatürk Yücel schloss den 44-Jährigen noch am Gefängnistor in ihre Arme. Auf Twitter schrieb sie: "Endlich!!! Endlich!!! Endlich!!! Deniz ist frei!" Die beiden hatten im April 2017 im Gefängnis in Silivri westlich von Istanbul geheiratet. Am Freitagabend flogen sie gemeinsam von Istanbul aus nach Deutschland. Noch bevor Yücel wieder deutschen Boden betragt, feierten Freunde, Kollegen und andere Unterstützer seine Freilassung in Berlin mit einem Autokorso. Einige hatten Plakate oder Zettel, auf einem stand "Keine Freiheit ohne Pressefreiheit". Yücels Freilassung war auch beim Fußball-Bundesligaspiel zwischen Hertha BSC und Mainz 05 Thema: "#DenizFree" war auf der Bande im Berliner Olympiastadion zu lesen.
"Etwas Bitteres bleibt"
In einer am Abend per Twitter verbreiteten Videobotschaft betonte Yücel: "Ich weiß immer noch nicht, warum ich vor einem Jahr verhaftet wurde, genauer, warum ich vor einem Jahr als Geisel genommen wurde - und ich weiß auch nicht, warum ich heute freigelassen wurde." Er fügte hinzu: "Natürlich freue ich mich, aber es bleibt etwas Bitteres zurück."
Immer noch säßen viele Kollegen in der Türkei in Haft. Er habe seinen Zellennachbarn zurückgelassen, einen türkischen Journalisten, der nur wegen seiner journalistischen Tätigkeit in Haft sitzt - "und viele andere Journalisten, die nichts anderes getan haben, als ihren Beruf auszuüben." In dem Statement, das auf dem Twitter-Account "Freundeskreis #FreeDeniz" verbreitet wurde, dankte der 44-Jährige sichtlich bewegt allen, die in der ganzen Zeit an seiner Seite gestanden hätten. Yücels Arbeitgeber atmete auf: "Ein Jahr lang haben wir jeden Tag "Free Deniz" geschrieben, gelesen, gesagt. Heute können wir sagen: "Deniz is free"", sagte Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner.
Hintergründe sind unklar

Yücel reiste am Tag seiner Freilassung aus der Türkei aus. Ob er je wieder zurückkehren kann, ist fraglich.
(Foto: dpa)
In einem Interview der Deutschen Presse-Agentur aus der Haft im vergangenen Monat hatte Yücel betont, er stehe "für schmutzige Deals nicht zur Verfügung." Seine Freiheit wolle er "weder mit Panzergeschäften von Rheinmetall oder dem Treiben irgendwelcher anderen Waffenbrüder befleckt wissen, noch mit der Auslieferung von gülenistischen Ex-Staatsanwälten oder putschistischen Ex-Offizieren". Bundesaußenminister Sigmar Gabriel versuchte am Freitag dann auch, derartige Vermutungen zu zersteuen: "Ich kann Ihnen versichern, es gibt keine Verabredungen, Gegenleistungen oder, wie manche das nennen, Deals in dem Zusammenhang." Am Abend fügte der Außenminister im ZDF-"heute journal" hinzu, die türkische Seite habe keine Forderungen gestellt, und die deutsche Seite habe nichts anbieten können.
Politische Einflussnahme habe es allenfalls bei der "Verfahrensbeschleunigung" gegeben. Nachdem ein Jahr lang nichts geschah, ging es plötzlich tatsächlich schnell: Erst kurz vor einem Besuch bei Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin hatte der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim überraschend gesagt, in den Fall komme Bewegung. WDR, NDR und "Süddeutsche Zeitung" berichteten am Freitag, der Freilassung Yücels seien "geheime diplomatische Verhandlungen" vorausgegangen: Nicht nur habe sich Gabriel in den vergangenen Wochen in Rom und Istanbul mit Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan getroffen, der Yücel als "deutschen Agenten" und "Terroristen" bezeichnet hatte. Auch Ex-Kanzler Gerhard Schröder - der Erdogan früher einen "lieben Freund" nannte - habe sich im Januar bei einer Türkei-Reise beim Staatspräsidenten für Yücel eingesetzt.
Schröder hatte schon bei der Freilassung des deutschen Menschenrechtlers Peter Steudtner aus türkischer Untersuchungshaft Ende Oktober eine Rolle gespielt. Im selben Monat hatte die Bundesregierung nach einem "Spiegel"-Bericht eine Vorgenehmigung zur Nachrüstung von türkischen M60-Kampfpanzern aus US-Produktion erteilt. Eine solche Modernisierung wünscht sich die Türkei auch für die deutschen "Leopard 2"-Panzer in ihren Beständen - die derzeit bei der Offensive gegen die Kurdenmiliz YPG in Syrien eingesetzt werden. Was genau in den von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" berichteten Gesprächen zur Freilassung Yücels beredet wurde, dürfte wohl erstmal nicht bekannt werden. Klar ist aber, dass sich ein Wunsch der Regierung in Ankara nun erfüllen dürfte, auch wenn es keine konkrete Gegenleistung gegeben haben sollte: Dass sich das miserable Verhältnis zu Deutschland wieder verbessert, was die Türkei vor allem aus wirtschaftlichen Gründen seit längerem anstrebt.
Hoffen auf bessere Beziehungen zur Türkei
Der Fall Yücel war zuletzt der größte, aber nicht einzige Streitpunkt im Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei. Der Journalist hatte sich am 14. Februar 2017 freiwillig der Justiz gestellt und war kurz darauf wegen Terrorvorwürfen in Untersuchungshaft genommen worden. Bundesaußenminister Gabriel dankte ausdrücklich Merkel und seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu. Merkel sagte mit Blick auf Yücel: "Ich freue mich natürlich für ihn, ich freue mich für seine Frau und die Familie, die ja ein sehr, sehr schwieriges Jahr der Trennung aushalten mussten." Bundespräsident Steinmeier äußerte die Hoffnung, dass die Freilassung "Bedingungen schafft, die zu einer Verbesserung der deutsch-türkischen Beziehungen führen".
Aus türkischen Behördenkreisen hieß es, die Freilassung Yücels sei "vollständig nach rechtsstaatlichen Prinzipien" erfolgt. Gerichte können in der Türkei zu Beginn eines Verfahrens oder auch davor die Freilassung von Verdächtigen aus der Untersuchungshaft verfügen. Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim sagte, die Beziehungen zu Deutschland seien auf dem Wege der Besserung. "Es scheint, dass heute einige Probleme in den deutsch-türkischen Beziehungen der letzten Zeit gelöst wurden", zitierte ihn die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu.
Nach den Worten des türkischen Journalisten Can Dündar sind in der Türkei immer noch mehr als 100 Journalisten hinter Gittern. Am Tag der Haftentlassung Yücels wurden drei prominente türkische Journalisten wegen angeblicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung zu lebenslanger Haft verurteilt. Der frühere Chefredakteur der inzwischen geschlossenen Zeitung "Taraf", Ahmet Altan, sowie sein Bruder, der Ökonomieprofessor und Autor Mehmet Altan, und die Journalistin Nazli Ilicak wurden gemeinsam mit drei anderen "Taraf"-Mitarbeitern verurteilt, wie Anadolu meldete. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes sitzen auch noch fünf Deutsche aus politischen Gründen in der Türkei in Haft. Ihre Namen werden aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht mitgeteilt. Die Bundesregierung fordert ihre Freilassung.
Quelle: ntv.de, hul/ino/dpa