
Einen Monat lang sammelte Ryan Hendrickson Minen in der Ukraine. Im November will er weitermachen.
(Foto: Ryan Hendrickson)
Ein ehemaliger US-Soldat geht in die Ukraine - nicht um zu kämpfen, sondern um Minen zu räumen. Er weiß aus eigenem Erleben, wie gefährlich die Dinger sind: In Afghanistan ist er selbst auf eine Mine getreten.
Die Arbeit auf dem Feld sei eine echte Achterbahnfahrt, sagt Ryan Hendrickson. "Das fängt mit der Langeweile des langsamen Suchens an, bis das Suchgerät eine Mine gefunden hat. Dann schießt das Adrenalin in die Höhe, dein Hirn fängt an, sehr schnell zu arbeiten: Was für eine Mine ist es? Ist eine Sprengfalle dran? Man geht die Szenarien durch, zieht die Mine aus dem Boden und entschärft sie. Das Adrenalin beruhigt sich - bis man die nächste Mine findet."
Den August hat Hendrickson auf ukrainischen Feldern verbracht und Minen eingesammelt. Er ist Profi: Acht Mal war er in Afghanistan, um genau das zu machen - Minen zu suchen und zu entschärfen. Zunächst jahrelang als Soldat, später für ein Unternehmen, das von der US-Regierung beauftragt worden war. Zum letzten Mal verließ er Afghanistan im Juli 2021, kurz bevor die Taliban wieder die Macht übernahmen.
"Also ging ich in die Ukraine"
Als im Februar Russland in die Ukraine einfiel, hatte Hendrickson das Bedürfnis, etwas zu tun. "Ich hatte noch immer diesen Job", sagt er per Videoschalte aus Florida, wo er zuhause ist. "Es war tolle Arbeit, aber sie hat mich nicht erfüllt. Und ich hatte immer noch eine Menge unerledigter Dinge aus Afghanistan im Herzen und im Kopf. Also habe ich gekündigt und bin in die Ukraine gegangen, um zu helfen."

Insgesamt hat Hendrickson bei seinem Einsatz im August 334 Minen eingesammelt und entschärft.
(Foto: Ryan Hendrickson)
Für einen Moment habe er durchaus erwogen, in den Reihen der internationalen Legion auf Seiten der Ukraine zu kämpfen. "Aber ich dachte, dass ich mehr bewirken kann, wenn ich nicht kämpfe." Im März schloss Hendrickson sich einer Missionsgesellschaft an. Zunächst holten sie Zivilisten aus Gebieten, die an die Russen zu fallen drohten. Als die Besatzer im April Orte wie Butscha und Irpin aufgeben mussten, fing die Gruppe an, Lebensmittel und andere Dinge des täglichen Bedarfs dorthin zu liefern.
"Eine der besten Entscheidungen meines Lebens"
Schon bei diesen Einsätzen habe er überall Minen und Sprengfallen gesehen, erzählt Hendrickson. "Nachdem die Russen abgezogen waren, kamen die Zivilisten. Und je mehr von ihnen zurückkehrten, desto mehr Menschen wurden durch Minen verletzt oder getötet." Als er im Mai wieder in die USA flog, wusste er bereits, dass er wiederkommen würde. Zuhause sammelte er Spenden, um seine Reise und die Ausrüstung zu finanzieren, schon im August war er wieder in der Ukraine. Wo genau, will er aus Sicherheitsgründen lieber nicht verraten. Irgendwo im Donbass. An den Ort kam er über einen Kontakt bei der ukrainischen Armee, der wiederum Bauern kannte, deren Felder vermint waren.
"Das war eine der besten Entscheidungen meines Lebens", sagt er. Dabei ist die Arbeit als Minenräumer ganz offenkundig hart. In einem Video, das ein Berater des ukrainischen Innenministers auf Twitter postete, zeigt Hendrickson das Ergebnis der Arbeit eines halben Tages: zahlreiche Minen, die er am Rande eines Feldes aufgestapelt hat. Man hört ihn keuchen, im Hintergrund sieht man Rauch. Er sei "ziemlich kaputt", sagt er, wirkt aber zufrieden.
Die Bauern, deren Felder er räume, seien immer sehr dankbar. "Sie wollen ihr Land zurück, sie wollen ihr Leben zurück. Sie alle sagen: Wir müssen jetzt erst mal den Krieg gewinnen. Aber man hat gemerkt, dass sie es für sie eine sehr emotionale Sache war, wenn ich die Minen von ihren Feldern holte. Sie wollen einfach wieder normal leben."
Am 12. September 2010 trat er selbst auf eine Mine
Insgesamt hat Hendrickson bei seinem Einsatz im August 334 Minen eingesammelt und entschärft. Manchmal hatte er Hilfe von zwei Mitgliedern der Territorialverteidigung - das hing aber davon ab, welche Aufgaben die Einheit jeweils hatte. Hendrickson betont, dass er auf eigene Faust unterwegs war - nicht im Auftrag des ukrainischen Militärs, sondern als Freiwilliger, als humanitärer Helfer. Die Idee, dass die Bauern ihre Felder selbst räumen könnten, weist er freundlich als abwegig zurück. "Auf einem der Felder, auf denen ich war, waren bereits zwei Traktoren auf Landminen gefahren. Dadurch wurden diese riesigen Maschinen in Schrott verwandelt. Glücklicherweise haben die Fahrer überlebt." Die Leute hätten Angst vor Minen, "und das ist auch gut so, sonst wäre die Zahl der Todesopfer noch viel höher".
Hendrickson weiß aus eigenem Erleben, wie gefährlich Minen sind. Ein paar Monate nach Beginn seines ersten Einsatzes in Afghanistan trat er mit seinem rechten Fuß auf eine Mine, am 12. September 2010. Er gehörte zu einem Spezialkommando der US-Armee, den Green Berets. Seine Aufgabe war es, IEDs zu finden, "improvised explosive devices", Sprengfallen. "Als ich auf dem Boden lag und der Staub sich legte, hob ich mein Knie hoch und mein Stiefel kippte einfach zur Seite. Ich sah meine beiden Knochen aus meinem Bein herausragen. Ich dachte: Oh Mann, das ist schlimm." Er verlor seinen Fuß, aber, dank zahlreicher Operationen, nicht das Bein. Anderthalb Jahre später war er wieder in Afghanistan und suchte wieder nach Minen. Und jetzt in der Ukraine, freiwillig, nach einer so traumatischen Erfahrung? "Ich habe nie gesagt, dass ich hier oben alles zusammen habe", lacht er auf die Frage und tippt sich an die Stirn.
"Ich war halbwegs sicher"
Minen zu räumen, um Zivilisten zu schützen, sei jetzt seine Lebensaufgabe, "bis ich entweder die falsche Landmine erwische", auch dabei lacht er kurz, "oder bis Gott mir sagt, dass es reicht." Im Moment sammelt er wieder Geld, er will im November zum dritten Mal in die Ukraine reisen und wieder Minen räumen. Langfristig plant er den Aufbau einer Nonprofit-Organisation, denn das Problem geht ja weit über die Ukraine hinaus. "Tausende Zivilisten sterben jedes Jahr rings um die Welt an Minen oder werden verletzt."
Auf dem Feld, bei der Arbeit, habe er meist Songs im Kopf und mache einfach immer weiter, sagt Hendrickson. Erst auf Nachfrage erzählt er, dass er sich in der Nähe der Front aufgehalten hatte. Er habe Artillerie und Raketenbeschuss gesehen und gehört. "Aber ich war mitten auf dem Feld, ich war halbwegs sicher." Die Nähe zur Front wurde trotzdem zum Problem: Irgendwann sei der Kommandeur der Region zu ihm gekommen und habe ihm für seine Arbeit gedankt, aber auch gesagt, dass es jetzt zu gefährlich werde. "Das war der Grund, warum ich die Gegend verließ: Es hatte sich herumgesprochen, dass ein Amerikaner auf den Feldern herumlief und sein Ding machte. Es war Zeit zu gehen."
Angst davor, auf irgendeiner russischen Liste zu stehen, hat Hendrickson nicht. "Ich habe nicht gekämpft und ich werde nicht kämpfen. Ich bin nur da wegen der Zivilisten." Wenn Russen ihn fragen würden, ob er Minen aus ihren Dörfern räumt, würde er auch das machen.
Quelle: ntv.de