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Geiselabkommen mit Hamas Der Deal mit dem Teufel ist in Israel umstritten

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Installation in Jerusalem mit Fotos von Geiseln, die von der Hamas in den Gazastreifen verschleppt wurden.

Installation in Jerusalem mit Fotos von Geiseln, die von der Hamas in den Gazastreifen verschleppt wurden.

(Foto: REUTERS)

Die erste mehrtägige Waffenruhe im Gaza-Krieg läuft, noch heute sollen mehrere Geiseln freikommen. Trotz Vorfreude bei den Angehörigen in Israel wird vor den negativen Konsequenzen des Handels gewarnt.

Nachdem fast sieben Wochen auf dem Opernplatz in Tel Aviv für die Befreiung der Geiseln in Gaza demonstriert wurde, hat Israel einen Deal mit der Terrororganisation Hamas ausgehandelt. Durch Vermittlung von Katar wurde eine viertägige Waffenruhe vereinbart, die heute Morgen in Kraft getreten ist. Ab 16 Uhr Ortszeit werden zunächst 13 Frauen und Kinder freigelassen, bis Montag weitere 37. Im Gegenzug sollen 150 Palästinenser aus israelischen Gefängnissen freigelassen werden.

"Ich befürchte, dass dieses Abkommen ein Desaster wird", sagt Dana Levi aus Jerusalem. "Denn es ermöglicht über 100 Kriminellen die Rückkehr zu terroristischen Aktivitäten. Natürlich beten wir alle für die Befreiung der Geiseln und Israel soll auch alles tun, um dies zu erreichen, aber niemals im Austausch von Terroristen." Levi gehört zu den Überlebenden des Flugzeugdramas von Entebbe im Sommer 1976. Damals wurde eine Air-France-Maschine von palästinensischen und deutschen Terroristen nach Uganda entführt und von einem Spezialkommando der Israelischen Streitkräften (IDF) befreit. Den Deal sieht sie als heikel an: "Immer wenn Israel solche Mörder entließ, wurden die Anschläge schlimmer", sagt sie.

Trotzdem lehnen nur wenige Israelis den Deal ab, denn für die meisten bedeutet das Versäumnis der Regierung, ihre Bürger vor dem beispiellosen Anschlag vom 7. Oktober zu schützen, dass sie nun jeden Preis zahlen muss, um die Verschleppten nach Hause zu bringen. Noch bis Ende der 1970er Jahre hätte der jüdische Staat sich niemals auf so einen Handel eingelassen. Seine damals verabschiedete "Entebbe-Doktrin" erlaubte keine Verhandlungen mit Terrororganisationen. Israelische Geiseln würden entweder durch operative Maßnahmen, lokale Verhandlungen oder einen Austausch nach Ende der Kämpfe freigelassen.

Strategischer Schaden

"Umfassende Vereinbarungen, die eine Massenfreilassung von Gefangenen beinhalten, sind wie eine Kapitulation vor dem Terror", sagt Shai Shabtei, ehemaliger Oberst der IDF. "Die Hamas ist sich bewusst, dass ihre Existenz auf dem Spiel steht. Mit den Geiseln als Faustpfand hat sie ein Ziel: endlose Verhandlungen zu nutzen, um den Abbau ihrer politischen und militärischen Macht zu untergraben." Nach Einschätzung von Shabtei fügen Gefangenenaustausche Israel erheblichen strategischen Schaden zu. Er sieht die zu Kriegsbeginn erklärten Ziele, die Hamas zu entmachten und die über 200 Geiseln zu befreien, durch den Deal als schwer vereinbar. Zusätzlich würde Israel dadurch die internationale Legitimität der Terrororganisation wiederherstellen.

"Das Dilemma besteht nicht darin, ob die Kämpfe weitergehen sollen, sondern ob eine Fortsetzung mit voller Kraft nach der ersten Vereinbarung nicht Gefahren für die verbleibenden Geiseln mit sich bringt", sagt Shabtei. "Die Hamas wird die Kampfpause nutzen, um einen weiteren Gefangenenaustausch zu einem schmerzhaften Preis anzubieten. Dies wird auch die Messlatte für Jerusalem höher legen, wie viel sie bereit sind, für weitere Freilassungen zu zahlen. Die Terroristen verstehen diese Sensibilität und werden sie nutzen, um Israel in eine sehr schwierige Lage zu bringen."

Experten gehen davon aus, dass ein Waffenstillstandsabkommen über die vorgeschlagenen vier Tage hinaus verlängert werden könnte, was möglicherweise zu einem Ende der israelischen Operation in Gaza führen könnte. Zugleich ist derzeit alles andere als klar, ob der Deal ganz oder teilweise umgesetzt wird. "Die israelische Entscheidung zeigt, dass das Leben der Geiseln oberste Priorität hat", sagt der Sicherheitsexperte Eyal Pinko, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Begin-Sadat-Center der Bar-Ilan-Universität. "Das Ziel, die Hamas zu stürzen, ist zweitrangig geworden." Es sei davon auszugehen, dass die palästinensische Terrororganisation auch nach dem Krieg an der Macht bleibe. Das Ende der Kämpfe werde daher "nur vorübergehend" sein.

Waffenruhe macht Ende des Kriegs wahrscheinlicher

Die letzten Details des Waffenstillstandsabkommens, das von den USA, Ägypten und Katar - einem der Hauptsponsoren der Hamas - ausgehandelt wurde, werden noch geklärt. Es wird erwartet, dass auch der Geiselaustausch schrittweise umgesetzt wird. Außerdem soll die israelische Armee ihre militärischen Aktivitäten im Gazastreifen einstellen, einschließlich der Drohnenüberwachung für mehrere Stunden am Tag. "Die Hamas wird diesen Zeitraum so lange wie möglich in die Länge ziehen", so Pinko. "Nach der Freilassung der Zivilisten werden Verhandlungen über die festgehaltenen Soldaten beginnen. Während dieser Zeit kann es vereinzelt zu Kämpfen kommen. Aber je länger der Waffenstillstand dauert, desto mehr endet der Krieg."

Der Sicherheitsexperte geht davon aus, dass eine längere Kampfpause dazu führen könnte, dass die Hälfte der Bevölkerung, die sich derzeit im Süden Gazas befindet, wieder versuchen würde, in den Norden zurückzukehren. In einem solchen Fall wäre die Armee nicht mehr in der Lage, effektiv zu operieren. "Das Ergebnis eines solchen Szenarios ist, dass die IDF gezwungen sein wird, sich aus dem Küstenstreifen zurückzuziehen."

Sollte das Abkommen scheitern, wird Israel seinen Vormarsch auf den südlichen Gazastreifen ausweiten, wo die Hamas-Führung jetzt ihren Sitz hat. Es wird erwartet, dass ein solcher Waffengang für beide Seiten schwierig und blutig wird. Die Terroristen wissen, dass ihre Existenz auf dem Spiel steht, und dürften deshalb die Geiseln nutzen, um politische und militärische Vorteile zu erzielen. "Das Leben ist das höchste Gut im Judentum", erklärt Dana Levi, Ex-Geisel der Entebbe-Flugzeugentführung von 1976. "Eine Menschenseele zu retten ist wie die ganze Welt zu retten, heißt es im Talmud. Doch wenn der Krieg jetzt aufhört und selbst wenn alle Geiseln befreit werden, hat Israel nicht viel erreicht."

Tatsächlich hielten die Waffenstillstände der letzten Gaza-Kriege nicht lange. Die Hamas-Führung ist immer noch da und dürfte ihr Ziel, Israel zu vernichten, bald wieder mit finanzieller und logistischer Hilfe aus Teheran weiterverfolgen. Unabhängig davon, wie der Krieg endet, braucht Israel daher eine längerfristige Strategie. "Mit dem Hamas-Terrorismus wird es unmöglich sein, in einem freien und demokratischen Land weiterzuleben", sagt Levi. "Deshalb sollten diese Fanatiker entmachtet und für ihre Verbrechen vor Gericht gestellt werden. Wir sind es den israelischen Opfern und der nächsten Generation schuldig."

Quelle: ntv.de

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