Politik

Geben und nehmen Der Fiskalpakt kommt - aber nicht allein

Europas eiserne Lady hat ihren - etwas sprunghaften - Verbündeten Sarkozy verloren.

Europas eiserne Lady hat ihren - etwas sprunghaften - Verbündeten Sarkozy verloren.

(Foto: dapd)

Nicht nur SPD und Grüne, auch konservative Regierungen in Europa sind erleichtert, dass Angela Merkel mit François Hollande nun einen mächtigen Gegenspieler hat. Zwei Schlüssel gibt es in den Verhandlungen mit der deutschen Opposition und dem künftigen französischen Präsidenten: Zeit - und die Finanztransaktionssteuer.

Sarkozy (r.) ist Geschichte, auf Hollande ruhen die Hoffnungen der europäischen Wachstumspolitiker. Am Dienstag traten beide Politiker gemeinsam bei der Feier zum Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkriegs auf.

Sarkozy (r.) ist Geschichte, auf Hollande ruhen die Hoffnungen der europäischen Wachstumspolitiker. Am Dienstag traten beide Politiker gemeinsam bei der Feier zum Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkriegs auf.

(Foto: dpa)

Der Fiskalpakt stehe "nicht zur Disposition", sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel. "Der Fiskalpakt ist nicht mehr zu ändern", sagt FDP-Chef Philipp Rösler. "Aus unserer Sicht ist eine Neuverhandlung des Fiskalpakts nicht möglich", sagt Regierungssprecher Steffen Seibert. Angesichts der vielen Erklärungen an die Adresse des französischen Wahlsiegers François Hollande könnte man auf die Idee kommen, dass die Bundesregierung nervös geworden ist.

Denn ihre Politik ist in die Defensive geraten. In vielen europäischen Ländern ist reine Sparpolitik à la Merkel nicht sehr attraktiv. Nicht von ungefähr wurde bei Hollandes Jubelfeier auf der Pariser Place de la Bastille auch eine irische Trikolore geschwenkt. Die irische Regierung setzt sich zwar - größtenteils sogar aus Überzeugung - für den Fiskalpakt ein. Zugleich jedoch stellte der irische Ministerpräsident Enda Kenny klar, dass er sich über die Unterstützung freut, die Hollandes Wahl für Irland bedeute: Er begrüße, dass Hollande über Wachstum und Investitionen spreche, Irland und andere europäische Länder sprächen schon seit Monaten darüber - nur eben, das sagte er nicht, hört niemand auf sie. Kenny ist übrigens kein Sozialist, seine Fine Gael gehört wie CDU und CSU der Europäischen Volkspartei an.

Auch Monti will nachdenken

Eine irische Flagge wird bei Hollandes Siegesfeier in Paris geschwenkt.

Eine irische Flagge wird bei Hollandes Siegesfeier in Paris geschwenkt.

(Foto: Reuters)

In den Niederlanden ist die liberal-konservative Minderheitsregierung bereits an einem zentralen Punkt des Fiskalpakts gescheitert: an der Defizit-Obergrenze von 3 Prozent. Ursprünglich hätte der Fiskalpakt Ende April vom Parlament in Den Haag ratifiziert werden sollen. Nun stehen dort am 12. September Neuwahlen an - die Abstimmung dürfte zum Test für die bisherige europäische Austeritätspolitik werden. "Das Ergebnis der Wahlen in Frankreich und Griechenland erfordert ein Nachdenken über die europäische Politik", sagt Italiens parteiloser Ministerpräsident Mario Monti, mit dem Merkel sich eigentlich gegen Hollande hatte verbünden wollen.

Die Nervosität der Bundesregierung ist also durchaus berechtigt - zumal die deutsche Position in Europa nicht nur aus inhaltlichen, sondern auch aus stilistischen Gründen zunehmend kritisch beäugt wird. Dennoch ist klar, dass der Fiskalpakt nicht wirklich zur Disposition steht: Im "Duell" bei n-tv widersprach SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann denn auch ausdrücklich der Annahme, mit der Wahl Hollandes zum Präsidenten sei die europäische Sparpolitik beendet. "Ich glaube, Herr Hollande wird am Ende den Fiskalpakt unterzeichnen. Aber genau wie die SPD will er sich damit nicht zufrieden geben." Beide, Hollande und die SPD forderten, "dass der Fiskalpakt, die Sparpolitik ergänzt wird durch ein Wachstumsprogramm".

Merkels Wachstum soll nichts kosten

Der Fiskalpakt

Mit dem am 2. März in Brüssel unterschriebenen Fiskalpakt verpflichten sich die Unterzeichnerländer, striktere Haushaltsdisziplin zu befolgen als bisher vereinbart. So darf das strukturelle Defizit fortan die Grenze von 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) nicht überschreiten - anstatt wie nach EU-Recht bislang 1,0 Prozent. Zudem sollen die Unterzeichner nach dem Vorbild Deutschlands eine verpflichtende Schuldenbremse im nationalen Recht verankern.

Im Fall eines Verstoßes gegen die Regeln werden automatisch Strafverfahren ausgelöst, die nur durch ausdrückliches Mehrheitsvotum der Unterzeichnerstaaten gestoppt werden können. Verankert ein Land die Schuldenbremse nicht im nationalen Recht, droht eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof und die Zahlung einer Geldbuße von bis zu 0,1 Prozent der Wirtschaftsleistung. Nur wer den Fiskalpakt einhält, soll Hilfszahlungen aus dem ESM bekommen können.

Die Linkspartei sowie ein Bündnis, dem unter anderem der Verein "Mehr Demokratie" angehört, wollen vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Fiskalpakt klagen. (hvo/AFP)

Formal hat die Kanzlerin diese Forderung längst erfüllt. Ein eilig anberaumter EU-Sondergipfel am 23. Mai soll sich dem Thema Wachstum widmen - nur fünf Tage, bevor die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union zu ihrem nächsten regulären Treffen zusammenkommen. Bereits am Tag nach der Wahl in Frankreich hatte Merkel gesagt, Hollande werde in Deutschland "mit offenen Armen" empfangen werden. In der aktuellen Diskussion gehe es um die Frage, "ob wir schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme brauchen" oder ob Wachstumsprogramme auf die wirtschaftliche Kraft der einzelnen Länder ausgerichtet seien.

Merkels Antwort auf diese Frage ist klar, der Fraktionsgeschäftsführer der Union, Peter Altmaier, formuliert es so: "Wir können über vieles reden, was am Ende Wachstum stimuliert, aber immer unter der Voraussetzung, dass die Grundentscheidungen des Fiskalpaktes respektiert werden und dass es bei der Politik der Haushaltskonsolidierung bleibt." Mit anderen Worten: Es darf nichts kosten.

Finanzsteuer statt neuer Schulden

Rein rhetorisch sind Opposition und Koalition damit längst auf einer Linie. Auch Oppermann betont: "Wir wollen Wachstum nicht mit neuen Schulden finanzieren." Und die Grünen-Finanzexpertin Priska Hinz sagt im Gespräch mit n-tv.de: "Wir sind nicht der Meinung, dass man Schulden mit mehr Schulden bekämpfen sollte." Doch sie fügt hinzu: "Wir werden die Schuldenkrise auch nicht besiegen, indem wir nichts tun oder nur sparen. Deswegen brauchen wir die Finanztransaktionssteuer. Mit ihrer Hilfe könnte man Investitionsanreize in den krisengeplagten Ländern finanzieren."

Oppermann sieht das ganz genauso. "Wir wollen die Finanzmärkte an den Folgekosten der Krise beteiligen", sagt der SPD-Politiker bei n-tv. "Wir brauchen die Finanztransaktionssteuer. Mit solchen Einnahmen dämpfen wir nicht nur Spekulationen, wir schaffen damit auch eine Finanzierung für Wachstumsprogramme."

Die Ratifizierung

Bis zum 1. Januar 2013 soll die Ratifizierung des Vertrages abgeschlossen sein. Insgesamt haben 25 Staaten den Vertrag unterzeichnet - alle EU-Mitgliedsländer mit Ausnahme Großbritanniens und Tschechiens. Bislang haben nur Griechenland (am 28. März), Portugal (13. April) und Slowenien (19. April) den Fiskalpakt ratifiziert.

Irland ist das einzige Land, in dem das Volk über den Stabilitätspakt entscheidet. Dort findet am 31. Mai ein Referendum statt.

Nach dem Willen der schwarz-gelben Koalition soll Deutschland am 25. Mai im Bundestag und am 15. Juni im Bundesrat über den Fiskalpakt und zugleich über den neuen Schutzmechanismus ESM entscheiden. Die SPD fordert die Verschiebung der Abstimmungen und eine Entkoppelung von der ESM-Entscheidung. (hvo)

Offen ist, wie hier ein Kompromiss mit der Koalition erzielt werden kann. Denn die Bundesregierung muss nicht nur auf europäischer Ebene verhandeln, in Deutschland muss sie auch die Opposition einbinden, denn der Fiskalpakt braucht in Bundestag und Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit. Bislang hat es nicht einmal Verhandlungen zwischen Koalition sowie SPD und Grünen gegeben - die Linken lehnen den Fiskalpakt kategorisch ab, sie wollen beim Bundesverfassungsgericht gegen den Vertrag klagen. Mit SPD und Grünen will man nun in der kommenden Woche sprechen. Die Grünen braucht Schwarz-Gelb im Bundestag zwar nicht für eine Zweidrittelmehrheit. Doch im Bundesrat wird es ohne grüne Zustimmung nicht gehen.

Sowohl in den Verhandlungen mit Frankreich als auch bei den Gesprächen mit der deutschen Opposition könnte eine Finanztransaktionssteuer der Schlüssel zum Erfolg sein. "Es gibt ja bereits eine Beschlusslage des Bundestags zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer", betont Hinz, "und wir erwarten, dass Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble dafür auf europäischer Ebene weiter eintritt."

"Die FDP wird sich das überlegen müssen"

Pech nur, dass die FDP eine solche Steuer bislang ablehnt beziehungsweise nur auf gesamteuropäischer Ebene akzeptieren würde - was wegen des britischen Neins einer kategorischen Ablehnung gleichkommt. Hinz meint, dass es vielleicht nicht unbedingt auf die FDP ankomme. "Wenn ein Paket verhandelt wird, zu dem der Fiskalpakt und eine Finanztransaktionssteuer gehören, und wenn andere europäische Länder sich bereit erklären, diesen Weg zu gehen, dann wird sich die FDP überlegen müssen, ob sie zu einer solchen Lösung wirklich Nein sagen kann."

Finanzieren wollen SPD und Grüne mit den Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer ein Struktur- und Investitionsprogramm. Allerdings ist ein solches Programm aus Sicht der Opposition nicht die einzige Hürde vor einer Zustimmung zum Fiskalpakt. Die zweite Hürde betrifft die Auswirkungen des Fiskalpakts auf Deutschland und die Einhaltung der deutschen Schuldenbremse. "Noch haben wir den automatischen Korrekturmechanismus nicht vorliegen", erläutert Hinz. "Daher wissen wir noch gar nicht, ob die Übergangsfrist, die die deutsche Schuldenbremse für die Bundesländer bis 2020 vorsieht, überhaupt haltbar ist, oder ob wir das Grundgesetz noch mal ändern müssen."

Aus Sicht der Bundesregierung ist es daher sinnvoll, sich bei den Verhandlungen Zeit zu lassen - Zeit um zu klären, was der Fiskalpakt für Deutschland bedeutet. Zeit für Gespräche mit Hollande. Zeit, in der "die Rauchschwaden des Wahlkampfes" abziehen können, wie FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle sagt. Am 10. und 17. Juni finden in Frankreich Parlamentswahlen statt, erst danach ist klar, wie mächtig Hollande als Präsident sein wird. An Reformprozessen führe kein Weg vorbei, so Brüderle, aber über "Zeitachsen" könne man reden. Bis Ende Juni kann sich der Bundestag Zeit lassen. Die Sommerpause beginnt erst am 29. Juni.

Quelle: ntv.de

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