Bloß nicht wie die FDP Der Himbeergeist von Meseberg
23.01.2014, 15:45 Uhr
Die Große Koalition leistet harte Sacharbeit im Sinne der Bürger, ist effizient und professionell. Das soll die Botschaft sein, die die Regierung von ihrer Klausur mitbringt. In Wirklichkeit wird auch in Meseberg kalte Machtpolitik betrieben.
Es ist eng im Dorfsaal von Gransee-Meseberg. Die 150 Einwohner des Dorfes nördlich von Berlin passen hier alle gleichzeitig hinein, aber der Pulk aus Journalisten muss etwas zusammenrutschen, damit auch die Kameraleute noch Platz haben. Draußen bringt die klare Wintersonne den Schnee zum leuchten. Als sich die Tür für die Kanzlerin und den Vizekanzler öffnet, strömt mit ihnen eiskalte Luft in den Raum.
Meseberg ist eigentlich einer dieser Orte, die man 20 Kilometer weiter schon nicht mehr kennt. Die wenigen Häuser entlang der Dorfstraße stammen aus der Kaiserzeit oder aus der DDR. Der alte "Konsum"-Laden hat schon lange geschlossen. Doch vor einigen Jahren erkor die Bundesregierung das kleine Schloss im Ort zu ihrem Gästehaus, und seitdem ist Meseberg regelmäßig ein Ort für die große Politik. Staatsgäste kommen hierher oder, wie an diesem Mittwoch und Donnerstag, gleich die ganze Bundesregierung. Im alten "Konsum" wärmen sich jetzt die Polizisten auf, die rund um das verschneite Schloss Wache halten.
Dass sich die Regierung aufs Land zurückzieht, hat zwei Gründe: Zum einen soll es schlicht mehr Zeit geben, die anstehenden Themen zu beraten. Zum anderen sollen die Minister, die sich im Wahlkampf noch bekämpft hatten, die Gelegenheit für gemeinsame Spaziergänge, privatere Gespräche und Getränke im Weinkeller bekommen. Angela Merkel wünscht, dass die Regierung möglichst geschlossen auftritt - also öfter miteinander und seltener übereinander spricht.
Die SPD als Gegenentwurf zur FDP
Der Abend sei harmonisch gewesen, sagt sie am Tag danach. "Soweit mir das zugetragen wurde." Sie selbst entschuldigte sich schon früh mit Verweis auf ihr angebrochenes Becken. Merkel soll so viel liegen wie möglich, sagen die Ärzte. Als jemand fragt, ob es so etwas wie einen "Geist von Meseberg" gäbe, antwortet Sigmar Gabriel nur: "Himbeergeist". Wie die teambildenden Maßnahmen genau aussahen, wird nicht verraten. Merkel ignoriert die Frage komplett.

Das Wetter half der inszenierten Harmonie: Schnee sorgte für eine pittoreske Atmosphäre.
(Foto: dpa)
Wohl aber betonen die Kanzlerin und ihr Vize, dass bei dieser Sitzung viel "über den Tisch hinweg" diskutiert wurde und wie "professionell" man miteinander umgegangen sei. Gabriel sagt das Wort "professionell" auffällig häufig. Er will seine Partei ganz offensichtlich als Gegenentwurf zur FDP präsentieren, die schon nach wenigen Monaten in der Regierung als chaotisch galt. Die Große Koalition soll eine professionelle Koalition sein. Harte Sacharbeit im Sinne der Bürger, keine unschönen Zwischentöne.
Gabriel legt Wert auf "sozialdemokratische Handschrift"
Ob die Regierung aber wirklich so harmonisch arbeitet, wird sich erst in den nächsten Tagen und Wochen zeigen. Ein Brief Gabriels an seine Parteifreunde im Kabinett sagt etwas anderes aus. Darin lädt er die anderen fünf sozialdemokratischen Minister für jeden Mittwoch in sein Büro ein, um die Linie für die folgende Kabinettssitzung abzustimmen, berichtet der "Spiegel". So solle sichergestellt werden, dass in der Regierungsarbeit die "sozialdemokratische Handschrift klar erkennbar" wird. Bei dieser Kabinettsklausur ist das gelungen: Die von Gabriel ausgearbeitete Reform der Energiewende wurde angenommen, die Rentenerhöhungen von Andrea Nahles sind so gut wie beschlossen.
Ihr eigenes Ding macht auch die CSU: Die drei bayerischen Minister gaben gemeinsam eine Erklärung an die Presse, in der sie sich für eine weiterhin hohe Förderung von Gas aus Biomasse aussprechen. Das passt zwar nicht in Gabriels Energie-Konzept, doch in Bayern ist bald Kommunalwahl, da wollen die Vertreter in der Bundesregierung zumindest ein gutes Wort für die Bauern eingelegt haben.
Die Kanzlerin betont zwar, wie zufrieden sie mit Gabriels Energiewende-Vorschlägen ist. Aber das Lob ist vergiftet. Schon am Mittwoch sagte sie, dass Projekte einzelner Minister immer auch Projekte der gesamten Regierung seien. Merkel will zumindest einen Teil des Ruhms von Gabriels Arbeit für sich. Auch am Donnerstag spricht sie zum Abschluss der Klausur als erstes ausführlich über die Energiewende. Das Konzept sei in einem großen Kraftakt entstanden, sagt sie.
Merkel ist ermutigt
Anschließend geht Merkel die weiteren Themen durch: Beim Rentenpaket werden die Wünsche von Union und SPD erwartungsgemäß addiert. Ein letztes handwerkliches Problem soll ausgeräumt sein: Die Reform sieht vor, dass Zeiten, in denen Beitragszahler Arbeitslosengeld I bezogen, bei der Berechnung der Rente berücksichtigt werden, Zeiten mit Arbeitslosengeld II aber nicht. Die Deutsche Rentenversicherung erfasst den Unterschied aber gar nicht. Arbeitsministerin Nahles habe eine Lösung für das Problem gefunden, deutet Gabriel an.
Dann geht es um Demographie, Außenpolitik und eine "digitale Agenda". Besonders konkret wird Merkel nicht. Es gebe viel zu tun, sagt sie. Die Gespräche seien aber so gut gewesen, "dass ich ermutigt bin". Gabriel ergänzt noch die Themen Infrastruktur und Fachkräftemangel. Nichts Neues gibt es zu den Militäreinsätzen in Mali und Zentralafrika. Das Thema Vorratsdatenspeicherung, bei dem zuletzt wieder Meinungsverschiedenheiten zutage traten, wird ganz ausgespart.
Merkel kündigt an, dass Deutschland 2015 den G8-Gipfel auf Schloss Elmau an der österreichischen Grenze ausrichten wird. Dabei werden neben den Finanz- und Außen- auch die Energieminister zusammenkommen. Das ist sicher ein kleiner Erfolg für Gabriel, der sich so auf der ganz großen internationalen Bühne als Gastgeber präsentieren kann.
In Meseberg ist schon fast wieder die normale Ruhe eingekehrt. Die schwarzen Limousinen haben den Schlosshof gen Berlin verlassen, die Polizei packt zusammen. Rund um Schloss Elmau kann man sich schon einmal auf einen Trubel einstellen, der noch weit größer ist.
Quelle: ntv.de