Politik

"Entschuldige mich für jeden Fehler" Der Kapitän verlässt die Brücke

"Wir haben mehr richtig als falsch gemacht."

"Wir haben mehr richtig als falsch gemacht."

(Foto: dpa)

Ein paar Sentimentalitäten, viel Außenpolitik und natürlich Angriffe auf SPD und Grüne: "Es war eine typische Rede, ich kann die Satzbausteine schon nachsprechen", sagt ein Delegierter aus Sachsen. Selbst das Schiff, das dampft und segelt, fehlt nicht in Westerwelles Abschiedsrede.

Um 13.20 Uhr ist Guido Westerwelle Geschichte. Soeben hat der 49-Jährige seine letzte Rede als Vorsitzender der FDP gehalten. 10 Jahre stand er an der Spitze der Partei, zählt man seine Zeit als Generalsekretär hinzu, sind es sogar 17 Jahre. Nun steht Westerwelle oben auf der Bühne der Messehalle in Rostock, winkt und kämpft mit den Tränen. Der minutenlange Applaus der rund 600 Delegierten bringt ihn fast um seine Fassung. Westerwelle fasst sich ans Herz. Falls sie es nicht ohnehin spürt - seine Partei soll sehen, was sie ihm bedeutet.

Eine Stunde lang hat der FDP-Chef zuvor seinen Abgang mit seiner Abschiedsrede zelebriert. "Ein paar sehr persönliche Worte" kündigt Westerwelle an, als er an das Stehpult vor der blauen FDP-Wand tritt. Es bleiben nur ein paar persönliche Worte, am Anfang und am Ende, die eine ansonsten ganz typische Westerwelle-Rede schmücken: Fehler werden eingestanden, aber nur kurz, um sogleich die Gesamtbilanz zu loben und den politischen Gegner anzugreifen.

Westerwelle schaltet auf Angriff um.

Westerwelle schaltet auf Angriff um.

(Foto: REUTERS)

In fünf Sätzen geht Westerwelle auf sein persönliches Versagen ein. "Wer so lange eine Partei führt, der macht auch Fehler", ruft er in die Messehalle. "Niemand weiß das besser als ich. Niemand wirft sich das mehr vor als ich mir selbst." Westerwelles Stimme ist ruhig und klar, sie lässt kein Vertun zu. "Ich stehe zu jedem Fehler, den ich gemacht habe", sagt er und geht noch einen Schritt weiter: "Ich entschuldige mich auch für jeden Fehler." Sagt er jetzt etwa ganz konkret, was er falsch gemacht hat? Nein - er will lediglich eine Debatte darüber verhindern. "Die letzten 10 Jahre waren aber durchaus positiv in der Bilanz. Wir haben mehr richtig als falsch gemacht." Da klingt er wieder wie der alte Westerwelle, der politischen Gegnern und Medien zurief: "Ihr kauft mir den Schneid nicht ab." Und tatsächlich wendet sich der FDP-Chef dann den anderen Parteien zu und beendet damit den emotionalen Anfang seiner Rede.

Begonnen hatte sie mit einer sentimentalen Reise in die Vergangenheit. Er erinnert an seine 17 Jahre an der Spitze der Partei. "Bei der FDP zählt jedes Vorsitzenden-Jahr fast doppelt", sagt er mit einem Grinsen und dankt all jenen, die an seiner Seite waren, nun dort vorne auf dem Podium sitzen und zum größten Teil wie Westerwelle bald Geschichte sind: Hermann Otto Solms, Cornelia Pieper, Andreas Pinkwart, Dirk Niebel, Rainer Brüderle, Birgit Homburger und - in Abwesenheit - Silvana Koch-Mehrin. Besonders Niebel und Pieper bekommen Westerwelles Dank für ihre Treue, Brüderle nennt er einen persönlichen Freund. Als er die abgelöste Fraktionschefin Homburger an ihre gemeinsamen Anfänge bei den Jungen Liberalen erinnert, wo sie "Politik schnupperten", zeigt sich ein ungewohnt breites Lächeln auf Westerwelles Gesicht. Die gute alte Zeit, will er wohl sagen. Doch Westerwelle will sich nicht in Sentimentalitäten verlieren, er schaltet auf Angriff um.

"Sechs SPD-Vorsitzende überlebt"

"In diesen zehn Jahren habe ich sechs Vorsitzende der SPD überlebt", höhnt er über Angriffe aus der Opposition über den Zustand der FDP. "Von den Grünen will ich gar nicht reden. Da waren es wahrscheinlich 20." Westerwelle polemisiert gegen Wut-Bürger, die er zu Mut-Bürgern machen will, spricht über sein Lieblingsthema Geisteshaltung und vor allem über Freiheit. Die FDP als einzige Partei der Freiheit, Vielfalt als Chance und vor allem wettert Westerwelle immer wieder gegen Gleichmacherei.

Der neue und der alte Chef: Philipp Rösler und Guido Westerwelle.

Der neue und der alte Chef: Philipp Rösler und Guido Westerwelle.

(Foto: dapd)

Und dann überrascht Westerwelle noch einmal, als es um Außenpolitik geht - das Feld seiner Zukunft. Die Unruhen und Revolutionen in Nordafrika und dem Nahen Osten passen prima zum Thema Freiheit, außerdem kann er dabei in Erinnerungen an Besuche in Tunesien und Ägypten schwelgen und die deutsche Enthaltung zu Libyen im UN-Sicherheitsrat verteidigen. Er spricht über Freiheitsbewegungen, Demokratie, Menschenrechte und kommt dabei auf China und den inhaftierten Künstler Ai Weiwei. Und plötzlich definiert der deutsche Außenminister das Völkerrecht neu: "Es gibt eine Pflicht zur Einmischung in innere Angelegenheit beim Thema Menschenrechte." Hat er das gerade bewusst gesagt? Als Diplomat und derzeitiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat müsste Westerwelle doch wissen, dass die Nicht-Einmischung das Grundprinzip der Vereinten Nationen und des Völkerrechts ist. Dann prangert Westerwelle in begrüßenswerter Deutlichkeit die "Politik der Renationalisierung" in Europa an, die gerade in Dänemark mit der Wiedereinführung von Grenzkontrollen gipfelt. Vielleicht ist da ja noch etwas vom Außenminister zu erwarten.

Authentische Satzbausteine

Doch heute geht es vor allem um den FDP-Chef und seinen Abschied. Er dankt seiner "zweiten Familie", der Partei und erlaubt sich "ein bisschen Sentimentalität". Er gehe nicht im Zorn, sagt er, sondern mit Dank im Herzen. Und setzt an: "Auf jedem Schiff das dampft und segelt, gibt es einen der die Sache regelt - und das bin ich jetzt nicht mehr." Seinem Nachfolger Philipp Rösler verspricht er, ihm nicht ins Lenkrad zu greifen. Applaus brandet auf, laut und später rhythmisch, immerhin sechs Minuten lang.

"Bei so viel Harmonie fällt es schwer, Kritik zu äußern", sagt ein Delegierter aus Baden-Württemberg nach der Rede. Dem 42-Jährigen ist die Selbstkritik in der Rede des FDP-Chefs eindeutig zu kurz gekommen. "Westerwelle ist ein begnadeter Kämpfer", räumt der Mann von der Basis ein. Da zeige er deutlich mehr Qualität als in seinem Amt als Außenminister. Ähnlich lautet die Bilanz eines Mitglieds aus Sachen. "Es war eine typische Rede, ich kann die Satzbausteine schon nachsprechen." Auch er hätte sich mehr Selbstkritik gewünscht. Doch sei Westerwelles Finale eben dadurch authentisch gewesen. Persönlich auch bewegend, meint der 35-Jährige.

Quelle: ntv.de

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