Politik

China wechselt Führung aus Der Überlebenskampf beginnt

Die Hostessen sind schon da - sie bringen die tausenden Abgeordneten in die Hotels.

Die Hostessen sind schon da - sie bringen die tausenden Abgeordneten in die Hotels.

(Foto: REUTERS)

Tausende kommunistische Abgeordnete strömen in die chinesische Hauptstadt, um am Nationalen Volkskongress teilzunehmen. Es stehen personelle Wechsel an, die natürlich längst ausgemacht sind. Und dennoch: Auch die Inhalte sind von Bedeutung. Denn das Milliardenvolk wartet auf die Einlösung diverser Versprechen.

Die Tage der chinesischen Regierung sind gezählt. Diesem Augenblick fiebert eine wachsende Zahl von Bürgern in der Volksrepublik China entgegen, weil sie es satt hat, sich von einer korrupten Führungselite autoritär bevormunden zu lassen. Doch die Gegner der allein regierenden Kommunistischen Partei müssen sich gedulden. Radikale Veränderungen von heute auf morgen stehen dem Land in unmittelbarer Zukunft keine bevor, obwohl die Tage von Premier und Ministern gezählt sind. Denn wenn in Diktaturen eine Regierung das Feld räumt, steht die nächste Generation schon parat. Die Übergabe der Staatsgeschäfte ist in China ein monatelanger Prozess, der ab Dienstag mit Beginn des Nationalen Volkskongresses in Peking sein verfassungsrechtliches Ende findet. Was danach beginnt, ist der Überlebenskampf des Regimes. Und der könnte wahrhaftig darin münden, dass viele Chinesen ihren Wunsch vom Ende der KP-Diktatur erfüllt sehen.

Denn unter dem Strich geht es um eine einzige Frage: Ist die Elite in der Lage, den Staat politisch und wirtschaftlich zu reformieren? Alles andere ist Makulatur. Zum Überlebenskampf wird diese Frage deshalb, weil die Zeit drängt und es keine Alternativen zum Reformprozess gibt. Die Partei überschritt den "point of no return", als sie sich dazu entschieden hatte, das Land mit einer weltweit einmaligen Dynamik in die Spitze der Wirtschaftsmächte zu führen, ohne von ihrer Macht etwas an seine 1,3 Milliarden Menschen abzutreten. Dadurch ist eine Legitimationsbasis entstanden, die sich ausschließlich auf die Dynamik des Wachstums stützt. Wenn das den propagierten Wohlstand für alle jedoch nicht produzieren kann, werden Chinas Wutbürger auf die Barrikaden gehen. Jetzt steht die Volksrepublik an einem Punkt, an dem gute Absichten nicht mehr ausreichen, um den 100. Geburtstag der Partei im Jahr 2021 feiern zu können. Es muss sich etwas ändern.

Schmerzhafter Prozess

Dieser Weg des Wandels wird endgültig betreten, wenn das Parlament in der Großen Halle des Volkes zusammentritt. Die Delegierten müssen formell bestätigen, was der Parteitag der Kommunisten im vergangenen November schon beschlossen hat. Der neue Parteichef Xi Jinping übernimmt von seinem Vorgänger Hu Jintao das Amt des Staatspräsidenten, gleichzeitig wird Li Keqiang als Nachfolger von Wen Jiabao zum Premierminister inthronisiert. Es werden noch eine ganze Reihe weiterer Personalfragen beantwortet, beispielsweise die nach der Zusammensetzung des neuen Kabinetts oder des Zentralkomitees. Der Volkskongress ist nur der Startschuss zu einem Prozess, der schmerzhafte Einschnitte von der Führungselite verlangt oder gar ihr Ende einleitet. Reformen tun weh, zumal unter Zeitdruck, weil sie umso drastischer ausfallen müssen. Der Führungswechsel gestattet der Partei immerhin einen kleinen Zeitgewinn. Solange Posten vergeben werden, erwartet niemand konkrete Reformpläne. Die muss die Partei wohl erst im Laufe des Jahres präsentieren. Man gesteht ihr zu, dass sich die neuen Köpfe sortieren müssen.

Hu Jintao (l.) gibt ab an Xi Jinping.

Hu Jintao (l.) gibt ab an Xi Jinping.

(Foto: dpa)

Im Wesentlichen geht es dann aber darum, dass es dem Staat gelingt, ein nachhaltiges Wirtschaftsmodell zu entwickeln. Das funktioniert, vereinfacht dargestellt, in erster Linie über mehr Marktwirtschaftlichkeit. Solange Interessengruppen jedoch mehr Liberalität verhindern, ist das schwierig. Staatschef in spe Xi Jinping appelliert deshalb schon seit November an die Reformbereitschaft von Provinzfürsten und Bürokraten. Endlich sollen diverse Ministerien zusammengelegt werden, damit die Effizienz des Apparats erhöht wird. An dieser Stelle wird es bereits die ersten Verlierer im Reformprozess geben. Und dort liegt die Krux. Denn bislang produzierte Chinas Wirtschaftswunder fast ausschließlich Gewinner in der politischen Kaste.

Xi Jinping kramt deshalb Chinas alte Philosophen hervor und rezitiert ihre Weisheiten, die sich jeder zu Herzen nehmen möge. "Ich werde tun, was immer nötig ist, um meinem Land zu dienen, sogar auf Kosten meines eigenen Lebens, unabhängig von Glück oder Unglück für mich selbst", sagte Xi in einer Rede am vergangenen Freitag. Das Zitat stammt von Lin Zexu, ein Gelehrter aus dem 19. Jahrhundert zu Zeiten der Qing-Dynasty. Das klingt vielversprechend, hat aber den Makel, als abgedroschene Phrase verurteilt werden zu können. Zumal der scheidende Regierungschef Wen Jiabao beim Nationalen Volkskongress im Vorjahr das gleiche Zitat nutzte, um ein Fazit seiner Amtsjahre zu ziehen. Doch Xi kann formulieren, was er will. Seine Politik und die der neuen Regierung werden ohnehin nur durch Taten substanziell angereichert.

Die Korruption soll effektiv bekämpft werden. Xi hat bereits eine Anleitung gegeben, was Beamte künftig meiden sollen, um auch nach außen eine neue Bescheidenheit zu dokumentieren. Festliche Bankette sollen sie zum Beispiel meiden. Angehörigen des Militärs hat er untersagt, beim ansonsten sehr beliebten Sturztrinken unter chinesischen Offiziellen mitzumischen. Doch bislang ist alles nur Teil eines theoretischen Rahmens, der nicht ausreicht, um die Probleme zu lösen. Dazu zählt auch der fromme Wunsch der Staatspropaganda, die den Begriff der "zwei 100 Jahre" in Umlauf gebracht. Die ersten 100 Jahre erfüllen sich zum bereits erwähnten Geburtstag der Partei 2021. Die zweiten 100 Jahre werden jedoch erst im Jahr 2049 vollgemacht, wenn die Volksrepublik China das dreistellige Jubiläum feiern könnte. Das klingt wie das Pfeifen im Walde. Mehr als drei Jahrzehnte in die Zukunft zu schauen, ist mindestens gewagt. Manche glauben, es sei sogar blühende Fantasie.

Quelle: ntv.de

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