Politik

Bundespräsident ein Jahr im Amt Der Wulff im Schafspelz

Ein Jahr Staatsoberhaupt: Christian Wulff.

Ein Jahr Staatsoberhaupt: Christian Wulff.

(Foto: REUTERS)

Den Bundespräsidenten hat der Mut verlassen: Seit einem Jahr ist Christian Wulff im Amt. Doch weil er sich zu Beginn gleich zweimal die Finger verbrannt hat, hält sich das deutsche Staatsoberhaupt nun bis zur Bedeutungslosigkeit zurück. Dabei wären einige grundsätzliche Worte durchaus angebracht.

Es sind hektische Zeiten in Berlin: Wutbürger, Atompolitik, Abschaffung der Wehrpflicht, Euro- und Europa-Krise, dem Wahlrecht droht Verfassungsbruch und die Volksparteien verlieren dramatisch an Vertrauen. Atemlos eilt die Regierung von Krise zu Krise, nicht nur so mancher Politiker verliert bei all den Herausforderungen den Überblick. Die Wogen schlagen hoch. Doch Christian Wulff möchte kein Wellenbrecher sein. Der Bundespräsident hält sich lieber fern von der stürmischen See, bedacht darauf, nicht nass zu werden.

"Man muss gelegentlich anecken, provozieren, Widerspruch hervorrufen. Aber man darf nicht die Erwartung Einzelner, mancher Medien auch erfüllen wollen, ständig anzuecken und die Medien quasi zu bespaßen", sagte Wulff über seine Rolle als deutsches Staatsoberhaupt. Das klingt angemessen für die Jobbeschreibung des Bundespräsidenten. Wobei Wulff als Politiker sicher noch nie unter Verdacht stand, durch Provokationen aufzufallen oder die Medien bespaßen zu wollen. Nun ist er jedenfalls seit fast einem Jahr im Amt, und derzeit sieht es so aus, als wolle Wulff überhaupt nicht mehr anecken oder irgendwelche Erwartungen an ihn erfüllen. Seit seinem Amtsantritt am 30. Juni verblasst der Bundespräsident zusehends.

Berliner Rede begraben

Dabei hat Wulff selbst hohe Ansprüche an seine Amtszeit. "Zusammenhalt der Gesellschaft, Zukunft der Demokratie und Mut zum Wandel" lauten seine drei Schwerpunkte. Angesichts von Wut- und Mutbürgern, politischem Vertrauensverlust oder der Energiewende ließen sich derzeit eine Menge Anknüpfungspunkte im politischen Tagesgeschäft finden, zu denen grundsätzliche Einlassungen, ordnende Worte und Ermahnungen an die politisch Verantwortlichen angebracht wären. Oder hat Wulff nichts zu all dem zu sagen? Nicht einmal zur schweren Krise, in der sich das historisch so bedeutsame Projekt der europäischen Einigung befindet? Der Bundespräsident wolle sich nicht treiben lassen, heißt es. Wulff meidet die Einmischung ins politische Tagesgeschäft um jeden Preis und gibt dafür sogar eine Institution preis: Die Berliner Rede, einst von Roman Herzog eingeführt, will er nicht fortsetzen und überlässt sie dem polnischen Präsidenten. Das mag für die Beziehungen beider Staaten eine schöne Geste sein, wirkt aber wie Desinteresse.

Ein bisschen Spaß muss sein: Wulff ist Schirmherr der Frauen-Fußball-WM.

Ein bisschen Spaß muss sein: Wulff ist Schirmherr der Frauen-Fußball-WM.

(Foto: dpa)

Ein Grund für diese unbedingte Zurückhaltung könnten die Fehler zu Beginn seiner Amtszeit sein. Gleich zweimal verbrannte sich Wulff die Finger, als er sich zu vorschnellen Äußerungen hinreißen ließ. Nach dem Unglück bei der Loveparade in Duisburg empfahl er Oberbürgermeister Adolf Sauerland den Rücktritt. Der ehemalige niedersächsische Ministerpräsident war noch ganz in seiner Rolle als CDU-Politiker verhaftet. Das wirkte auch bei Thilo Sarrazin noch nach, der mit seinen islamfeindlichen Thesen den Ruf der Bundesbank beschädigt hatte. Wulff empfahl seine Entlassung, obwohl er qua Verfassung selbst noch über den Rausschmiss des Vorstandsmitglieds entscheiden musste. Der Bundespräsident stolperte in sein Amt, "der kann es nicht", ätzte die Opposition bereits.

Die Worte vom 3. Oktober

Doch dann schien Wulff seine Rolle zu finden. Am 3. Oktober hielt der Bundespräsident zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit in Bremen eine Rede, in der er viel über sein Lieblingsthema Versöhnung und Verständigung sprechen konnte. Und völlig unerwartet sorgte er mit seiner Feststellung für Wirbel, dass neben Christen- und Judentum auch der Islam inzwischen zu Deutschland gehöre. Es war eine nachgeholte Reaktion auf Sarrazin, die ihm vor allem in den Reihen der Union viel Kritik einbrachte. Doch Wulff ließ sich nicht beirren und spannte bei seiner viel beachteten Rede vor der Nationalversammlung der Türkei den Bogen über den Bosporus: Was für Muslime in Deutschland gelte, müsse auch für Christen in der Türkei selbstverständlich sein  - sie sollten dazu gehören. Der Bundespräsident als Verständiger zwischen den Welten, den Religionen, das schien Wulffs Rolle zu sein.

Doch schien ihm der große Wirbel um seine Worte zum Islam nicht zu behagen. Hoffnungen, er würde angesichts der weiterhin hitzigen Debatte über das Verhältnis Deutschlands zu Muslimen und dem Scheitern der Islamkonferenz an seiner Linie festhalten, wurden enttäuscht. Wulff legte nicht nach. Seine Reden plätschern seitdem im sprachlichen Konsens des politisch Korrekten daher. Ein letztes wahrnehmbares Zeichen gelang ihm nur bei seiner Weihnachtsansprache, die er als erstes Staatsoberhaupt im Kreis von engagierten Menschen und nicht vor einem toten Bücherregal hielt.

Mehrheit fordert "klare Kante"

Grüßonkel im Ausland: Wulff mit Frau Bettina in Südamerika.

Grüßonkel im Ausland: Wulff mit Frau Bettina in Südamerika.

(Foto: picture alliance / dpa)

Seitdem beschränkt sich Wulff auf die Rolle des repräsentierenden Staatsoberhaupts, des netten Grüßonkels. 300 Termine habe er bislang wahrgenommen, erklärt das Bundespräsidialamt. Er hält weiter Reden, im Ausland wie vor den Landesparlamenten, sucht aber vor allem den persönlichen Kontakt mit Bürgern und ausländischen Staatsoberhäuptern. Wulff liebt die direkte Begegnung mit den Menschen, und die Menschen mögen ihn auch. 80 Prozent der Deutschen finden ihn laut einer Umfrage sympathisch, 83 Prozent meinen, dass Wulff das Land gut repräsentiere. Doch fast ebenso viele Menschen (78 Prozent) sind der Meinung, Wulff solle "mehr klare Kante" zeigen. 80 Prozent wünschen sich gar, dass der Bundespräsident zu aktuellen Themen wie Euro-Rettung, Atomausstieg oder Bundeswehrreform Stellung bezieht.

Wulff macht also aus Sicht der Bürger nichts wirklich falsch als Bundespräsident. Er machte aber auch nicht wirklich etwas. Staatsbesuche, Bürgergespräche und Grußworte gehören zu seiner Jobbeschreibung, sie sind richtig und ehrenvoll. Aber Wulff scheut bislang die Verantwortung eines so bedeutsamen öffentlichen Amtes. Es wird mehr von ihm erwartet. Sein Vorgänger Horst Köhler hat der Bundesregierung immerhin regelmäßig ins Gewissen gesprochen, und etwa die Unterzeichnung von Gesetzen als Machtinstrument eingesetzt.

"Ein bisschen früh"

"Also wenn man die neun bisherigen Bundespräsidenten anschaut, dann kann man sehr genau sehen, dass sich ein Bild nach 5 oder 10 Jahren verfestigt hat.  Das ist einfach ein bisschen früh nach einem Jahr", verteidigte Wulff sich kürzlich in einem Interview. Er will nicht nur Alphatiere in der Politik, betonte er zudem. Die Zukunft gehöre den Sanftmütigen, den Friedfertigen. Wulff will ein solcher Präsident sein, ein Versöhner. Dabei droht er vollends zu verharmlosen. Ein Präsident zum Kuscheln mag zwar keine Gegner haben. Viel bewirken wird er aber nicht.

Wulff hat selbst schon festgestellt, dass er kein großer Rhetoriker ist. In der Islam-Debatte hat er aber bewiesen, dass er sehr wohl in der Lage ist, den richtigen Ton zu treffen. Leise im Stil, deutlich in der Sache – so hätte der Bundespräsident werden können. Vielleicht wird Wulff auch noch – in welcher Rolle auch immer. Im Moment scheint es aber, als sei der Islam-Ausspruch die Ausnahme gewesen, ein Ausrutscher, die gepflegte Langeweile dagegen der wahre Wulff.

Quelle: ntv.de

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