Wenn Gauck über Armenien spricht Deutsch-Türken warnen vor dem V-Wort
22.04.2015, 19:55 Uhr
Im vergangenen Jahr demonstrierten Deutsch-Türken in Konstanz gegen die Aufführung eines Theaterstücks über den Völkermord an den Armeniern.
(Foto: picture alliance / dpa)
Die deutsche Politik will den Tod von bis zu 1,5 Millionen Armeniern wie die Mehrzahl seriöser Historiker als Völkermord bezeichnen. Nicht nur Ankara ist entsetzt. Türkische Verbände in Deutschland rechnen mit schlimmen Folgen.
Sie zücken immer wieder Bücher, Zeitungsartikel und historische Dokumente. Die Vertreter türkischer Verbände in Deutschland versuchen damit, die Glaubwürdigkeit ihrer Sicht der Geschichte zu untermauern. Eine Sicht, die sich in etwa so zusammenfassen lässt: In den Jahren 1915 und 1916 sind tausende osmanische Armenier bei Umsiedlungen gestorben, von 1,5 Millionen kann nicht die Rede sein. Es handelte sich um ein gegenseitiges Morden, nicht um einseitige Massaker. Das Osmanische Reich musste sich gegen Armenier verteidigen, die mit Russland kooperierten. Einen "Völkermord" gab es nicht.
Die Vertreter der türkischen Verbände erklären ihre Sicht an diesem Vormittag in Berlin nicht bis ins letzte Detail. Dafür fehlt bei dem kurzfristig anberaumten Termin die Zeit und darum geht es ihnen eigentlich auch gar nicht. Sie wollen vor allem eines: diejenigen warnen, die jetzt wie die Mehrzahl ernstzunehmender Historiker eine andere Sicht verbreiten.
Die Debatte um den Begriff "Völkermord" erzürnt nicht nur Ankara, sondern auch Vertreter türkischer Vereine in Deutschland. Sie sind wütend und besorgt.
"Papst war noch nie Verkünder von Wahrheiten"
Die Wut bekommt Papst Franziskus ab, der bereits ausdrücklich vom "Völkermord" gesprochen hat. "Der Papst war noch nie Verkünder von Wahrheiten", sagt Ali Söylemezoglu vom Verein Dialog und Frieden. "Das Papsttum ist eher dafür bekannt, Wahrheiten zu unterdrücken." Es gehe ihm um Politik.

Niyazi Öncel, Mitglied des Vereins Gedankengut Atatürks, versucht seine Sicht der Geschichte durch Bücher, Zeitungsartikel und historische Dokumente zu untermauern.
(Foto: imago/IPON)
Die Besorgnis der Verbände hat viel mit Bundespräsident Joachim Gauck und dem Bundestag zu tun. Gauck wird auf Einladung der Evangelischen Kirche am Donnerstagabend bei einem ökumenischen Gottesdienst "anlässlich der Erinnerung an den Völkermord an den Armeniern" reden. Und es gilt als sicher, dass er das große Sterben jener Jahre als "Völkermord" bezeichnen wird. Der Bundestag will am Freitag zum 100. Jahrestag des Beginns der Tragödie eine Resolution beschließen, in der nach langem Ringen auch das Wort "Völkermord" fallen soll.
"Wenn Herr Bundespräsident von Völkermord spricht, dann überschreitet er seine Kompetenzen", sagt Söylemezoglu. Sein Ansehen würde Schaden nehmen. Bekir Yilmaz von der Türkischen Gemeinde zu Berlin verweist darauf, dass angeblich 80 Prozent der Türken in Deutschland die Bezeichnung "Völkermord" ablehnen. Er versucht deutlich zu machen, dass viele Deutsch-Türken sich ohnehin nicht angenommen fühlen. Dabei spricht er auch die jüngsten Aufmärsche der fremdenfeindlichen Pegida-Bewegung an. Seine Argumentation: Wenn die Politik voreilig von Völkermord spricht, würde es türkischstämmigen Bürgern noch schwerer Fallen, sich als Teil der Gesellschaft zu fühlen.
Sollte auch der Bundestag von Völkermord sprechen, würden die türkischen Verbände das als "Anmaßung" bewerten. Für Söylemezoglu, Yilmaz und auch Niyazi Öncel vom Verein "Gedankengut Atatürks" ist es Aufgabe von Gerichten, darüber zu entscheiden, ob das, was 1915 und im darauffolgenden Jahr geschehen ist, ein Völkermord war. Denn bei dem Begriff handelt es sich um einen Straftatbestand aus dem Völkerrecht.
Eine Frage der türkischen Identität
Der Bundesregierung werfen die Verbandsvertreter vor, mit zweierlei Maß zu messen. Wie bei den Massakern an den Armeniern sind sich Historiker auch bei den blutigen Vertreibungen der Hereros und Nama in der deutschen Kolonie Südwestafrika zwischen 1904 und 1908 weitgehend einig, dass es sich um einen Völkermord handelt. Die Bundesregierung erkennt dies aber nicht an, weil damals noch keine Völkermordkonvention existierte. Ein Argument, dass sie nicht gelten lässt, wenn es um die Massaker an den Armeniern geht.
"Wenn Europa, der Papst, die Bundesregierung und der Bundestag dazu beitragen wollen, dieses Problem aus der Welt zu schaffen, sollten sie dafür sorgen, dass sich die Türkei und die Armenier gemeinsam an einen Tisch setzen", sagt Yilmaz. Da die türkischen Verbände nicht mehr damit rechnen, dass Gauck oder das Parlament sich doch noch gegen den Begriff entscheiden, rufen sie bereits zu einer Demonstration am Samstag auf.
Quelle: ntv.de