Politik

Zweite Heimat, erste Wahl Deutsch-Ukrainerin: "Videoüberwachung mit Gesichtserkennung finde ich ganz gut"

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Yana A. lebt seit 2017 in Deutschland und arbeitet nach ihrem Architekturstudium als Projektmanagerin in der Baubranche.

Yana A. lebt seit 2017 in Deutschland und arbeitet nach ihrem Architekturstudium als Projektmanagerin in der Baubranche.

(Foto: privat)

Mit der anstehenden Bundestagswahl steht für viele Menschen, die kürzlich eingebürgert wurden, eine neue Möglichkeit im Raum: Zum ersten Mal dürfen sie in Deutschland wählen. In der politischen Diskussion wird häufig die Sorge geäußert, dass die Lockerung des Einbürgerungsrechts die Bedeutung des deutschen Passes schwächen könnte - dass er zur "Ramschware" wird, wie die Union es formuliert hat. Die Interview-Serie "Zweite Heimat, erste Wahl" geht dieser Frage nach. Wir sprechen mit den neuen Staatsbürgern: Welche politischen Präferenzen haben sie? Welche Partei würden sie wählen, wie sehen sie ihre Rolle in der deutschen Gesellschaft? Heute mit: Yana A.

Name: Yana A.
Alter:
25 Jahre
Herkunftsland: Ukraine, Kyjiw
Wohnort: Düsseldorf

Wie lange leben Sie in Deutschland?

Seit August 2017.

Wie kamen Sie nach Deutschland?

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Ich war damals 17 Jahre alt und bin alleine, ohne meine Familie, zum Studium gekommen. Ich hatte schon in der Ukraine intensiv Deutsch gelernt und ein C1-Zertifikat bekommen. In Deutschland habe ich dann zuerst ein Studienkolleg in der Stadt Nordhausen in Thüringen besucht, weil wir in der Ukraine nur elf Schuljahre haben und ich deswegen das deutsche Abitur nachholen musste. Nach dem Studienkolleg habe ich an der Hochschule Bochum Architektur studiert und das Studium inzwischen abgeschlossen. Danach habe ich in Dortmund gearbeitet und bin jetzt Anfang Februar nach Düsseldorf gezogen.

Was machen Sie beruflich?

Ich arbeite als Projektmanagerin in der Baubranche, speziell in der Projektsteuerung. Ich bin für Kosten, Budgets und die allgemeine Koordination verantwortlich, meist bei Großprojekten der Stadt. Gleichzeitig bin ich Mitglied der Architektenkammer, sodass ich mich jederzeit als Architektin selbstständig machen könnte - und genau das möchte ich in Zukunft tun.

Wann wurden Sie eingebürgert?

Im August 2024.

Warum haben Sie sich entschieden, sich einbürgern zu lassen?

Für mich war immer klar, dass ich hierbleiben möchte. Ich bin hier erwachsen geworden und fühle mich hier zu Hause. Die ständige Visumsverlängerung war mühsam - zuletzt habe ich neun Monate darauf gewartet. Der deutsche Pass erleichtert außerdem das Reisen, was für mich ein großer Vorteil ist.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass ich mit meinem Aufenthaltstitel immer an meinen Arbeitgeber gebunden war. Wenn man aus irgendeinem Grund die Arbeit verliert, erlischt der Aufenthaltstitel - soweit ich weiß - automatisch nach zwei Wochen. Ohne deutschen Pass fühlt man sich hier einfach nicht wirklich sicher.

Behalten Sie Ihre ukrainische Staatsangehörigkeit?

Ja, ich habe die deutsche Staatsangehörigkeit nach dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes erhalten und durfte beide Pässe behalten. Und außerdem ist es aktuell kriegsbedingt unmöglich, die ukrainische Staatsangehörigkeit abzulegen. Ich bin froh, dass ich sie behalten darf. Während der Corona-Zeit durfte ich zum Beispiel meine Eltern in der Ukraine besuchen, was für Menschen ohne ukrainischen Pass nicht möglich war. Ich weiß nicht, was die Zukunft bringt. Aber mit zwei Pässen fühle ich mich auf jeden Fall sicherer. Und - mit meinem ukrainischen Pass kann ich an dem politischen Leben in der Ukraine teilnehmen, also wählen gehen.

Fühlen Sie sich deutsch?

Jein. In Deutschland bin ich immer "die Ukrainerin", in der Ukraine "die, die aus Deutschland kommt". Eigentlich habe ich also keine richtige Heimat, aber ich fühle mich in Deutschland wohl.

Wie fühlt es sich an, zum ersten Mal in Deutschland wählen zu dürfen?

Es fühlt sich gut an, weil man das Gefühl bekommt, etwas ändern zu können und dass die eigene Stimme zählt.

Welche Partei wollen Sie wählen?

Das weiß ich noch nicht genau, aber ich weiß, wen ich auf keinen Fall wählen werde: die AfD. Sie hat derzeit große Chancen, und allein das ist für mich ein Grund, wählen zu gehen - jede Stimme zählt. Früher war die CDU mein Favorit, aber nach der jüngsten Migrationsdebatte und der gemeinsamen Abstimmung mit der AfD tendiere ich eher zur SPD.

Welche Themen spielen für Ihre Wahlentscheidung eine Rolle?

Stabile Wirtschaft ist am wichtigsten, würde ich sagen. Auch der Umweltschutz ist mir wichtig, gerade weil ich in der Baubranche arbeite und weiß, wie viel graue Energie in dieser Branche verbraucht wird. Ein weiteres wichtiges Thema ist die Integration von Menschen, die nach Deutschland gekommen sind.

Außerdem spielt für mich das Thema Sicherheit eine große Rolle. Ich wurde vor Kurzem in Dortmund auf der Straße angegriffen - es gab keine Videoüberwachung, keine Zeugen, einfach nichts. In vielen Ländern gibt es Videoüberwachung auf der Straße, auch mit Gesichtserkennung, und ich finde das ganz gut. Ich glaube, das könnte auch in Deutschland gut funktionieren. Denn in meinem Fall wurde der Täter nicht gefunden, obwohl es wohl schon ähnliche Vorfälle gab. Die Polizei hatte eine Verdachtsperson im Blick, konnte aber nichts tun, weil sie als psychisch krank galt und "nichts Schlimmes" getan habe. Das hinterlässt bei mir ein ungutes Gefühl.

Haben Sie vor, an den Wahlen in der Ukraine teilzunehmen, wenn dort nächstes Mal gewählt wird?

Ja, gerade in der aktuellen Situation ist es sehr wichtig, zumindest zu versuchen, etwas zu ändern. Vor allem muss etwas getan werden, um den Krieg zu stoppen, denn so wie es jetzt läuft, ist kein Ende in Sicht. Ich würde auf keinen Fall die derzeitige Regierung wählen - es muss sich etwas ändern.

Ich kann nicht beurteilen, ob Präsident Selenskyj es richtig oder falsch macht, aber ich denke, es müssen Gespräche geführt werden. Denn alle Ressourcen sind erschöpft, und das muss ein Ende haben. Die aktuell besetzten Gebiete einfach an Russland abzutreten, halte ich allerdings für falsch. Denn dann gibt es eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Russen wiederkommen und weitere Gebiete haben wollen. Das muss verhindert werden. Wie man den Krieg beenden kann, ist nicht einfach zu beantworten. Aber ich denke, es müssen Verhandlungen stattfinden. Gleichzeitig braucht die Ukraine auch Waffen - Gespräche allein werden nicht helfen.

Was läuft in Ihrem Herkunftsland besser als in Deutschland?

Termine sind in der Ukraine viel schneller verfügbar, egal welche - ob beim Arzt, Friseur oder in der Autowerkstatt. Man muss nicht monatelange warten, man kann meist spontan hingehen, und man bekommt oft direkt oder am nächsten Tag einen Termin.

Was stört Sie in Deutschland? Welche Veränderungen wünschen Sie sich?

Die Integration verläuft oft zu langsam. Eine Freundin von mir, die aus der Ukraine geflohen ist, musste anderthalb Jahre auf einen Sprachkurs warten - das ist zu lange. Ob das am Personalmangel oder an zu wenigen Schulen liegt, weiß ich nicht, aber das könnte vielleicht irgendwie verbessert werden. Aber im großen Ganzen finde ich mein Leben hier gut. Mir gefällt alles, ich kann mich nicht beschweren.

Was darf sich in Deutschland nicht ändern, nicht verloren gehen?

Die Offenheit der Deutschen gegenüber anderen Menschen und die Unterstützung, die man bekommt - das gibt es nicht überall. Diese Toleranz und Hilfsbereitschaft sollten auf keinen Fall verloren gehen.

Mit Yana A. sprach Uladzimir Zhyhachou

Quelle: ntv.de

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