Politik

Europa und die USA "Deutschland braucht Bündnispartner"

Obama und Merkel: Ein gewisses Machtgefälle prägt die Beziehungen ihrer Länder.

Obama und Merkel: Ein gewisses Machtgefälle prägt die Beziehungen ihrer Länder.

(Foto: dpa)

Der langjährige CDU-Außenpolitiker Polenz glaubt nicht, dass Deutschland zu schüchtern ist im Umgang mit den USA. "Man muss einfach zur Kenntnis nehmen: Es sind sehr ungleiche Größenverhältnisse", sagt er über die deutsch-amerikanischen Beziehungen.

n-tv.de: Als vor einem Monat zwei Mitglieder des US-Kongresses in Berlin waren, sprachen sie fast so viel über das geplante Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA wie über die NSA-Affäre. Geht es im transatlantischen Bündnis um mehr als nur um Geld?

Ruprecht Polenz: Man darf die Wirtschaftsbeziehungen nicht auf das Materielle beschränken. Engere wirtschaftliche Beziehungen, wie sie beim Transatlantischen Freihandelsabkommen angestrebt werden, bedeuten zugleich einen engeren Austausch von Personen. Das trägt zum besseren Verständnis über die Wirtschaft hinaus bei.

Ruprecht Polenz war von 2005 bis 2013 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestags.

Ruprecht Polenz war von 2005 bis 2013 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestags.

(Foto: picture alliance / dpa)

Wie sehr braucht Europa die USA noch, wo der Kalte Krieg seit bald einem Vierteljahrhundert vorbei ist?

Das 21. Jahrhundert ist dadurch geprägt, dass sich neue Machtzentren herausbilden. Über kurz oder lang wird es wieder eine Welt geben, die von Großmächten geprägt ist. China wird sicherlich dazugehören, wahrscheinlich Indien, natürlich weiterhin die USA, Russland wegen seiner militärischen Stärke. Für ein Land wie Deutschland stellt sich die Frage, wie es seine Interessen in einer solchen multipolaren Welt vertreten will.

Wie?

Mittelgroße Länder wie Deutschland, Frankreich oder auch die Türkei können ihre Interessen nicht allein vertreten, sie brauchen Bündnispartner. Für uns ist dies zuallererst die Europäische Union. Aber auch Europa ist gegenüber einem Giganten wie China nicht in der Lage, allein zu bestehen.

Während des Kalten Kriegs gab es zwischen den USA und Europa ein starkes Machtgefälle. Ist das heute anders?

Es kommt drauf an, worauf man schaut. Das wirtschaftliche Gewicht ist in etwa gleich, Europa und die USA stehen jeweils für etwa ein Viertel der Wirtschaftsleistung der Welt. Wenn man genauer hinsieht, stellt man aber fest, dass die Amerikaner bei wichtigen Zukunftstechnologien die Nase vorn haben. Ähnlich ist es in der Sicherheitspolitik: Die Europäer stellen bei Auslandseinsätzen zwar genauso viele Soldaten wie die Amerikaner, vielleicht sogar ein paar mehr. Aber ihre militärische Stärke entspricht nur zehn bis zwanzig Prozent der militärischen Fähigkeiten der USA.

Die Journalisten Christian Fuchs und John Goetz schreiben in ihrem Buch, amerikanische Diplomaten seien achtzehn Monate lang in zwölf afrikanischen Ländern unterwegs gewesen, um die jeweiligen Regierungen zu fragen, ob diese ihnen einen Standort für ihr Afrika-Kommando AFRICOM geben würden. Alle lehnten ab. Die Deutschen hätten dagegen keinerlei Bedenken gehabt. Ist Deutschland zu schüchtern im Umgang mit den USA?

Nein. Anders als andere Staaten, die die USA möglicherweise noch gefragt haben, sind wir mit den USA in einem Bündnis. Und wir haben an Vorfällen in Afrika gesehen, dass die Amerikaner dort gebraucht werden. Die Nato-Mission zum Schutz der libyschen Zivilbevölkerung, bei der die USA bewusst den Europäern den Vortritt gelassen haben, hat letztlich ohne amerikanische Hilfe nicht funktioniert. Die Amerikaner mussten mit Munition und Logistik helfen, damit Briten, Franzosen und andere die Aufgaben erledigen konnten.

Deutschland hat sich 2011 bei der Libyen-Abstimmung im Sicherheitsrat enthalten. Ist der deutsche Hang zur militärischen Zurückhaltung ein Problem für die deutsch-amerikanischen Beziehungen?

Meinungsunterschiede zwischen Deutschland und den USA hat es immer gegeben. Der Vietnamkrieg etwa führte zu heftigen Demonstrationen gegen die USA.

Zwischen den Regierungen gab es damals keinen Streit.

Die Ablehnung des Vietnamkriegs reichte bis weit in die deutsche Parteienlandschaft hinein. Der Nato-Doppelbeschluss hat sogar mit dazu beigetragen, dass es 1982 zu einem Regierungswechsel kam. Es ist nicht so sehr die Frage, ob deutsche Regierungen den Mut zur Kritik haben. Man muss einfach zur Kenntnis nehmen: Es sind sehr ungleiche Größenverhältnisse. Und die spielen in der Außenpolitik eine Rolle.

Könnte eine Bundesregierung Edward Snowden gegen den Willen der Amerikaner Asyl gewähren?

Sie könnte es sich leisten, aber es wäre alles andere als klug. Die USA verfolgen Snowden ja nicht aus politischen Gründen: Es ist die amerikanische Justiz, die ihm Gesetzesverstöße vorwirft und ihn deshalb vor Gericht bringen will. Gewährten wir Snowden Asyl, würden wir den Amerikanern attestieren, kein Rechtsstaat zu sein. Dem wichtigsten Bündnispartner eine solche Botschaft um die Ohren zu hauen, das würde ich nicht empfehlen.

Unterm Strich: Betrachten Sie die Entwicklung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses eher mit Sorge oder mit Zuversicht?

Beziehungen leben davon, dass man sie pflegt. Durch die Art und Weise, wie die Amerikaner bei der Nachrichtengewinnung mit ihren Verbündeten umgegangen sind, haben wir eine schwere Meinungsverschiedenheit. Die muss ausgeräumt werden. Es heißt, die USA wollen nun doch kein No-Spy-Abkommen mit Deutschland abschließen. Ich bin sehr gespannt, wie sie stattdessen das Vertrauen wiedergewinnen wollen. Es reicht natürlich nicht, dass amerikanische Kongressabgeordnete nach Berlin kommen und sagen, das sei alles nicht böse gemeint gewesen.

Mit Ruprecht Polenz sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

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