Nach einer blutigen Nacht in Alexandria Die Ägypter wählen
15.12.2012, 09:00 Uhr
Wahltag in Ägypten: 120.000 Soldaten helfen der Polizei, für Ruhe zu sorgen.
(Foto: AP)
Nach heftigen Ausschreitungen in der Nacht pilgern die Ägypter zu den Urnen, um über den Entwurf einer neuen Verfassung abzustimmen. Zehntausende Soldaten und Polizisten sichern die Wahllokale. Die Angst vor weiterem Blutvergießen ist groß.
Polizei und Armee sichern die Wahllokale ab. Nach heftigen Zusammenstößen in der Nacht mit etlichen Verletzten stimmt Ägypten über die umstrittene neue Verfassung ab. 51 Millionen Wahlberechtigte sind aufgerufen, über die erste Verfassung nach dem Sturz von Langzeitmachthaber Husni Mubarak vor knapp zwei Jahren abzustimmen. Die ersten Wähler kamen in Kairo, Alexandria und acht weiteren Provinzen an die Wahlurnen. Es ist die erste Runde des Referendums. In den restlichen 17 Provinzen sollen die Ägypter eine Woche später wählen.
Wegen des großen Andrangs beim Verfassungsreferendum bleiben die Wahllokale zwei Stunden länger geöffnet. Statt um 19.00 Uhr Ortszeit (18.00 MEZ) sollen die Wahllokale in zehn Provinzen erst um 21.00 Uhr schließen.
Der Verfassungsprozess hat das Land tief gespalten. Der Entwurf war von den islamistischen Muslimbrüdern mit Unterstützung der radikalen Salafisten erarbeitet worden. Die liberalen Parteien und die Linke wollen gegen den Verfassungsentwurf stimmen. Aus ihrer Sicht handelt es sich um eine Verfassung für die Islamisten und nicht das ganze ägyptische Volk. Sie bemängeln unter anderem das islamisch-konservative Weltbild. Die Gegner befürchten, dass Grundrechte eingeschränkt werden könnten, weil die Verfassung die Macht der Religionsgelehrten auf Kosten der Justiz ausweitet. Weitere Kritikpunkte: Sie bemängeln, dass die Gleichberechtigung der Frau in der Verfassung nicht explizit erwähnt ist. Außerdem kritisieren sie, dass die Verfassung die Gründung unabhängiger Gewerkschaften verbiete und dass sich die Löhne der Arbeiter an der Produktivität und nicht an den Unternehmensgewinnen orientieren sollen.
Der Vorsitzende der Partei der Muslimbruderschaft, Saad al-Katatni, erklärte dagegen nach Angaben lokaler Medien, wer für die Verfassung stimme, sei "für die Herrschaft des Volkes". Die Abstimmung gilt auch als Votum über Präsident Mursi, der den Verfassungsentwurf maßgeblich unterstützt hat.
15 Verletzte in Alexandria
Vor dem Referendum kam es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen Gegnern und Unterstützern von Präsident Mursi. Acht Menschen starben in den vergangenen Tagen bei blutigen Auseinandersetzungen vor dem Präsidentenpalast in Kairo. Hundert weitere erlitten Verletzungen. Der Palast wird seitdem von Panzern der Präsidentengarde bewacht. Für die Abstimmung wurden zudem 120. 000 Soldaten zur Unterstützung der Polizei mobilisiert.
In der Küstenstadt Alexandria setzte die Polizei noch in der Nacht vor dem Referendum Tränengas gegen Oppositionelle ein. Die Demonstranten belagerten Stunden lang eine Moschee, in der ein Prediger zur Abstimmung für den Verfassungsentwurf aufgerufen hatte. Verhandlungen der Polizei, die die Demonstranten dazu bringen wollte, sich zurückzuziehen, schlugen laut Augenzeugen fehl. Mindestens 15 Menschen wurden verletzt.
Zuvor hatten sich in Alexandria bereits Anhänger der Islamisten und der säkularen Opposition mit Steinen beworfen. In der Hauptstadt Kairo versammelten sich mehr als 2000 Anhänger Mursis vor einer Moschee, um ihre Zustimmung zu dem Entwurf auszudrücken.
Quelle: ntv.de, ieh/tle/dpa/AFP