Wie groß ist das Potenzial von Trittins Truppe? Die Grenzen der Grünen
30.08.2013, 05:24 Uhr
Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin - das Spitzenduo der Grünen.
(Foto: Reuters)
Die Grünen stehen in Umfragen so mies da wie seit Jahren nicht mehr. Nur 11 Prozent der Wähler wollen ihnen ihre Stimme geben. Dabei sah es einmal so gut aus für die Ökopartei.

Haben Sie Ihre Wahlentscheidung schon getroffen?
Jürgen Trittin und seine Kollegen blicken sicher mit Wehmut auf das Jahr 2011 zurück. Und was war das auch für eine Zeit. In Umfragen lagen die Grünen bei bis zu 28 Prozent. Medien nannten die Truppe Trittins eine Volkspartei, spekulierten über einen möglichen Kanzlerkandidaten. Und jetzt?
Drei Wochen vor der Bundestagswahl erreichen die Grünen in der jüngsten Forsa-Umfrage nur noch 11 Prozent. Die Medien stürzen sich auf Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Herausforderer Peer Steinbrück (SPD). Die Grünen kommen in der Berichterstattung kaum vor. Das wirft zwei Fragen auf: Wie konnte es bloß dazu kommen? Und wichtiger vielleicht: Wie groß ist das Potenzial der Grünen wirklich?
Wähler trauen den Grünen beim Thema Gerechtigkeit nicht
Nach Angaben des Forsa-Politikchefs Peter Matuschek haben die Grünen zuletzt vor allem verloren, weil ihr Versuch, das Thema soziale Gerechtigkeit für sich zu vereinnahmen, scheiterte. "Nach außen hin ist die Linke bei den sozialen Themen deutlich kohärenter und konsequenter", sagt Matuschek. Ähnlich sieht das der Parteienforscher Uwe Jun: "Beim Thema soziale Gerechtigkeit haben die Grünen noch geringe Kompetenzzuschreibungen", sagt er n-tv.de. Für Jun allerdings ist das nur ein eher kleiner Teil des Problems der Grünen. Hauptsächlich belaste die Partei, dass es keine realistische Machtoption für sie gebe.
Einer rot-grünen Bundesregierung fehlt es derzeit deutlich an Zustimmung. Eine Koalition mit der Union schließen die Grünen zudem weitgehend aus. "Es glauben nur wenige an eine Regierungsbeteiligung der Partei", sagt Jun. "Das wirkt für viele potenzielle Wähler nicht gerade mobilisierend."
Entscheidend ist Jun zufolge aber etwas anderes: Die Grünen waren nie eine Volkspartei und sind es auch heute nicht. Sie könnten nur dann größere Teile der Gesellschaft erreichen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Doch selbst dann mobilisieren sie laut dem Professor von der Uni Trier nur eine eingeschränkte Zahl von Wählergruppen. Und etliche Studien geben Jun hier recht. Potenzielle Wähler der Grünen sind vor allem Bürger mit mittlerem oder hohem Einkommen und einem formal hohen Bildungsabschluss. Sozial schwache, ungebildete Menschen erreicht die Partei kaum.
Grünes Understatement
Die Gründe für dieses Phänomen sind gerade jetzt im Wahlkampf allzu offensichtlich. Von Flensburg bis München, von Köln bis Dresden - überall werben die Grünen mit Plakaten, auf denen nicht einmal der Name der Partei steht. Zu sehen sind stattdessen etwa frech dreinblickende Kinder, über denen der Schriftzug prangt: "Meine Mudda wird Chef." Daneben steht nur die Frage: "Und du?"
Die Partei setzt seit jeher auf ein gewisses Understatement. Wortspiele, Ironie, Provokation – all das gehört zum grünen Lebensgefühl dazu. Allzu direkt mögen es die Grünen dagegen nicht. Parteienforscher Jun sagt: "Der Politikstil der Grünen ist sehr stark von einer Ansprache geprägt, die sich eher an akademische oder formal höher gebildete Schichten richtet."
Hinzu kommt, dass die Grünen mit postmaterialistischen Themen groß geworden sind und noch immer dafür stehen. Umweltpolitik, Bürgerrechte – für sozial weniger privilegierte Schichten sind derlei Fragen oft zweitrangig. Da geht es um Mindestlöhne und Rentenansprüche.
Den Zeitgeist nicht mehr im Rücken
Ihren Höhenflug des Jahres 2011 haben sie allein dem Umstand zu verdanken, dass grüne Themen damals ganz oben auf der gesellschaftlichen Agenda standen, ihr Wählerpotenzial besonders groß war und sie es nahezu vollständig ausschöpfen konnten. Schwarz-Gelb hatte schließlich gerade die Laufzeiten für Atomkraftwerke verlängert. Und nur wenig später schreckte die Atomkatastrophe von Fukushima die Bürger in Deutschland auf. Zugleich wurde der Bio-Boom immer deutlicher spürbar. Für Jun ist klar: "Damals hatte die Partei die Themenkonjunktur, den Zeitgeist im Rücken." Vergleichbare Werte könnten die Grünen angesichts ihrer begrenzten Wählergruppen unter anderen Bedingungen als 2011 nicht mehr erreichen.
Und doch traut Jun den Grünen auch 2013, da die Energiewende und andere klassische grüne Themen im Wahlkampf nur eine Nebenrolle spielen, mehr zu. Mehr zumindest als jene 11 Prozent, die die Grünen derzeit in Umfragen erreichen. Dass sie ihr ganzes Wählerpotenzial, das Jun derzeit auf 15 bis 20 Prozent einschätzt, noch bei dieser Bundestagswahl abrufen können, glaubt er allerdings nicht.
Neben einer gewissen Wehmut muss Trittin und seine Kollegen angesichts dieser Prognosen also noch ein weiteres unbequemes Gefühl erfüllen: Verzweiflung. Selbst wenn es ihnen wider Erwarten doch gelingen sollte, ihr Wählerpotenzial restlos auszuschöpfen, könnten sie die Schwäche der SPD nicht ausgleichen. Schwarz-Gelb hätte weiterhin eine Mehrheit.
Quelle: ntv.de