Sparen und kassieren "Die Lage ist katastrophal"
20.11.2002, 00:06 UhrDeutschland braucht nach Ansicht von Grünen-Chef Fritz Kuhn eine "Radikalkur". Die wirtschaftliche Lage sei "katastrophal", dem Land stünden "bittere Jahre" bevor, sagte Kuhn am Mittwoch bei einer Parteiveranstaltung in Frankfurt am Main.
Die Notprogramme der rot-grünen Bundesregierung seien zwar "Erste Hilfe". Notwendig seien aber tiefe Einschnitte, vor allem in den Sozialsystemen, die grundsätzlich umgebaut werden müssten.
Kuhn räumte Fehler bei der Darstellung der Finanzlage ein. Die Bundesregierung habe nicht "hart und klar genug gesagt, wie die Dinge stehen". Es gebe eine "massive Krise, an der ist nichts wegzureden".
Tiefe Einschnitte
Am Mittwoch hatte die rot-grüne Bundesregierung tiefe Einschnitte für Bürger und Unternehmen beschlossen. Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) kündigte angesichts klaffender Haushaltslöcher "gewaltige Reformen" in den sozialen Sicherungssystemen an.
Das Kabinett verabschiedete das Steuer-Sparpaket, den Nachtragshaushalt 2002 und den überarbeiteten Entwurf des Bundeshaushalts 2003. Allerdings will die Union zentrale Bestandteile des Maßnahmenbündels im Bundesrat ablehnen.
Die Sparmaßnahmen reichen von einer neuen 15-prozentigen Pauschalsteuer auf Aktien- und bestimmte Immobiliengewinne, der höheren Ökosteuer auf Heizstoffe über Abstriche bei der Eigenheimzulage bis zu einer Art Mindestbesteuerung für Konzerne. Außerdem wird der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent für mehrere Agrarprodukte, Blumen und Zierpflanzen auf den üblichen Satz von 16 Prozent angehoben.
Eine Veränderung beim Steuerpaket
Das "Gesetz zum Abbau von Steuervergünstigungen und Ausnahmeregelungen" wurde mit einer Änderung angenommen, die Veräußerungsgewinne für Anteile an Kapitalgesellschaften betrifft. Danach soll bei solchen Veräußerungen die Steuer wie bisher nach dem Halbeinkünfteverfahren und dem persönlichen Steuersatz erhoben werden und nicht nach der neuen 15-prozentigen Pauschalsteuer für Wertpapiere und Immobilien. Die Belastung kann dann im Einzelfall höher sein.
Voraussetzung für die Versteuerung bleibt, dass die Beteiligung mindestens ein Prozent am Kapital der Gesellschaft umfasst. Somit bleibt Paragraph 17 des Einkommensteuergesetzes gegenüber dem Entwurf erhalten.
Noch mehr Schulden
Wegen der kürzlich festgestellten Steuerausfälle erhöhte Eichel die Nettokreditaufnahme 2002 von 21,1 auf 34,6 Mrd. Euro. Das ist die zweithöchste Jahresneuverschuldung in der Geschichte der Bundesrepublik. Kommendes Jahr nimmt der Bund neue Darlehen über 18,9 Mrd. Euro auf. Das sind 3,4 Mrd. Euro mehr als ursprünglich vorgesehen.
Von seinem Ziel, 2006 einen ausgeglichenen Staatshaushalt vorzulegen, hat sich Eichel nach eigenem Bekunden dennoch nicht verabschiedet. Der Erreichung dieses Ziels dienten auch die heute gefällten Beschlüsse, sagte er. Die 18,9 Mrd. Euro umfassenden Kredite 2003 seien die niedrigste Neuverschuldung seit der Wiedervereinigung.
"Kammer des Schreckens"
Mit einem Lkw-Konvoi durch Berlin und einem Hupkonzert am Brandenburger Tor hat derweil die Baubranche gegen eine Kürzung der Eigenheimzulage demonstriert. Nach Angaben der Polizei beteiligten sich 229 Trucks an dem Protest.
In der Aktion haben sich private Bauherren und die deutsche Bauwirtschaft zusammengeschlossen. Sprecher Max Schierer rechnete vor, künftig erhalte eine Familie mit einem Kind nur noch eine Förderung von insgesamt 14.400 Euro. Nach heutigen Recht stünden ihr jedoch 26.560 Euro beim Neubau und immer noch 16.338 Euro beim Altbauerwerb zu. Das Bundeskabinett werde für Millionen Menschen "immer mehr zur Kammer des Schreckens", sagte Schierer.
Quelle: ntv.de