Politik

Streit um den Fiskalpakt Die Zeit des Zockens ist vorbei

(Foto: picture alliance / dpa)

Kurz vor den entscheidenden Verhandlungen von Regierung und Opposition über den Fiskalpakt steht fest: Für Taktierereien ist kein Raum mehr. Denn ausgerechnet Deutschland könnte dafür verantwortlich sein, dass das Abkommen für mehr Haushaltsdisziplin platzt, Spaniens Banken keine Kredite bekommen und das Projekt Europa scheitert.

Es ist eine skurrile Situation: Monatelang schon kämpft Kanzlerin Angela Merkel dafür, dass Europa dem deutschen Kurs bei der Euro-Rettung folgt. Solides Haushalten und Sparen, das ist ihr Credo. Merkels Bemühen manifestiert sich im Fiskalpakt für mehr Haushaltsdisziplin. Obendrein hebt sie seit jeher hervor, dass die wirtschaftlich starken Länder ihren schwächelnden Partnern um jeden Preis beistehen müssen. Nun deutet vieles darauf hin, dass ausgerechnet Merkels Deutschland diesen Kurs nicht halten kann.

Kurz vor den entscheidenden Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition in Deutschland zeigt sich: Der Ratifizierungsprozess des Fiskalpakts könnte an der Bundesrepublik scheitern. Die Rettung spanischer Banken droht zu platzen.

Setzt die Bundesregierung unter Druck: Jürgen Trittin.

Setzt die Bundesregierung unter Druck: Jürgen Trittin.

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Vor wenigen Monaten, im März, sah die Lage noch deutlich besser aus. Alle Länder der EU außer Großbritannien und Tschechien unterzeichneten das Abkommen für mehr Haushaltsdisziplin. Sie einigten sich auf eine Obergrenze für Staatsschulden und automatische Sanktionsmechanismen für Länder, die sich nicht an die vereinbarten Regeln halten. Es war ein Durchbruch für Merkel. Doch der Rückschlag kam prompt. Kurz nach dem Schluss des Paktes stand fest: Ohne Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat kann Deutschland das Fiskalabkommen nicht ratifizieren.

In beiden Kammern ist die schwarz-gelbe Koalition weit davon entfernt, diese Mehrheit aus eigener Kraft aufzubringen. Sie ist auf Stimmen der Opposition angewiesen. Und die stellt Bedingungen. Die SPD fordert unter anderem ein begleitendes Wachstumspaket und Programme gegen die Jugendarbeitslosigkeit. Da habe die Koalition außer Überschriften noch nicht viel geliefert, sagte Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" am Wochenende. SPD-regierte Länder pochen zudem neben etlichen Vergünstigungen darauf, dass

Regierung macht Kompromisse zunichte

Zusammen mit den Grünen will die SPD zudem Finanztransaktionen besteuern, um Spekulationen vor allem der Banken einzudämmen. Union und Liberale einigten sich auf Arbeitsebene auf eine Finanzmarktsteuer. Doch nur Stunden später machte die Regierung den Kompromiss zunichte.

CDU Finanzminister Wolfgang Schäuble räumte ein, dass es die Steuer in dieser Legislaturperiode wohl nicht mehr geben werde. Und laut "Spiegel" sagte sein Parteikollege, Kanzleramtschef Ronald Pofalla, in kleiner Runde, man könne der SPD darum ruhig entgegenkommen.

Die Opposition zeigte sich schwer verärgert. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sagte dem "Handelsblatt": "Anscheinend rückt die Koalition wieder von der einzigen Einigung ab, die es bisher gab." Er warnte mit einer Blockade des Fiskalpakts. Im ZDF entlud sich seine Wut dann besonders über die Liberalen: "Was fehlt, ist eine klare deutsche Initiative, eingebracht und herangetragen an die Kommission, dies auf den Weg zu bringen. Das liegt nicht an anderen, sondern das liegt an der Zockerei des kleinsten Koalitionspartners: der FDP." Die Liberalen stehen der Finanztransaktionssteuer skeptisch gegenüber.

Schäuble übte sich zuletzt in Beschwichtigungsversuchen: "Die Opposition kann sich völlig auf die Zusagen der Koalition verlassen", beteuerte er im Deutschlandfunk. Doch die Stimmung bleibt aufgeheizt.

Keine Hilfen ohne Deutschland

Die Bundesregierung hat sich sehr viel Zeit gelassen, bis sie das Gespräch mit der Opposition über Fiskalpakt und ESM suchte. Jetzt muss es schnell gehen. Sonst dürfte es kaum noch möglich sein, den Pakt wie geplant vor der Sommerpause zu ratifizieren. Die letzte Bundestagssitzung, in der das geschehen könnte, ist noch im Juni, die letzte Bundesratssitzung am 6. Juli. Eine Einigung erscheint in dieser kurzen Frist und angesichts der Stimmung zwischen den Parteien mehr als fraglich. Und das hat weitere Folgen.

Denn mit dem vorläufigen Scheitern der Fiskalpakt-Ratifizierung geriete auch Spanien und damit die gesamte Euro-Zone in Gefahr. Noch ist unklar, aus welchem Topf Madrid die benötigten Milliarden für seine Banken abziehen möchte - aus dem alten Rettungsschirm EFSF oder dem neuen ESM. Genauso ungewiss ist, wann es die Zusagen für die Mittel braucht. Entscheidet sich Madrid für den ESM und brauchen Spaniens Banken das Geld schnell, dann wird es kritisch.

Der ESM soll am 1. Juli in Kraft treten, für den Fiskalpakt hat die Bundesregierung noch ein halbes Jahr länger Zeit. Doch die Koalition will über den neuen Rettungsschirm ausgerechnet zusammen mit dem Fiskalpakt abstimmen. Denn die Haushaltsdisziplin hält sie für eine Voraussetzung für weitere Milliardenzusagen an die Krisenstaaten.

Sicher ist: Ohne Deutschland kann der ESM nicht in Kraft treten. Für den Start des Rettungsmechanismus müssen die Mitgliedsländer 90 Prozent der Garantien des Gesamtvolumens des Schirms zusichern. Unmöglich ohne Deutschland, denn die Bundesrepublik allein bürgt für 27 Prozent dieser Mittel.

Schäuble: "Fiskalpakt muss ratifiziert werden"

Finanzminister Wolfgang Schäuble dürfte all das bewusst sein. Die deutsche Opposition und die Bundesregierung beginnen heute Abend ihre Sondierungsgespräche, um den Fiskalpakt noch rechtzeitig auf den Weg zu bringen. Am Mittwoch dann sollen die Partei- und Fraktionschefs bei einem Spitzengespräch mit der Kanzlerin eine Einigung erzielen.

Kurz vor diesen Treffen erinnerte Schäuble an die Bedeutung der anstehenden Verhandlungen. "Der Fiskalvertrag muss ratifiziert werden", sagte er im Deutschlandfunk. Es handle sich um eine "ernste, schwere Entscheidung".

Die Entscheidung ist so ernst, dass Kanzlerin Merkel nicht mehr viele Optionen bleiben, um ihren deutschen Kurs der Eurorettung noch zu retten. Sie kann sich die Zustimmung der Opposition durch weitreichende Zugeständnisse erkaufen. Dazu gehört neben der Börsensteuer auch die Bereitschaft, die Abstimmung über den Fiskalpakt und den ESM zu entkoppeln. Oder sie kann darauf hoffen, dass die SPD bereit ist, aus staatspolitischer Verantwortung den eigenen politischen Erfolg hintanzustellen. Nur: Kann Merkel es jetzt noch auf einen derartigen Poker ankommen lassen? Wohl kaum. Die Zeit des Taktierens muss nun vorbei sein, das erscheint nun ganz sicher. Denn ein Scheitern des deutschen Kurses wäre in der heutigen Situation mehr als ein gewaltiger Imageschaden für die Kanzlerin und ihre Regierung. Ein Scheitern würde das Vertrauen in die Märkte restlos zerstören und das Projekt Europa an einen tiefen Abgrund drängen.

Quelle: ntv.de

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