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Feindbild Rot-Rot-Grün Die roten Socken sind wieder da

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Peter Hintze bei der Präsentation des Rote-Socken-Plakates 1994.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

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Die Rote-Socken-Kampagne des CDU-Politikers Peter Hintze ist legendär. Dabei war die Wahlkampfstrategie in den 90ern sogar in der eigenen Partei umstritten. Dennoch scheint sie ein Comeback zu feiern.

Martin Schulz, Sahra Wagenknecht und Toni Hofreiter lugen verschmitzt hinter einer Bettdecke hervor - zumindest auf einer Fotocollage, die CDU-Generalsekretär Peter Tauber in dieser Woche bei Twitter postete. "Wer am Wahlabend mit dem verklärten Blick auf den Bürgermeister von Würselen einschläft, läuft Gefahr, morgens in Berlin im Bett zwischen Sahra Wagenknecht und Toni Hofreiter aufzuwachen", schreibt Tauber. Ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl schießt sich die Union auf Rot-Rot-Grün ein. In Umfragen kratzen SPD, Grüne und Linke plötzlich an einer Mehrheit. CDU und CSU wettern schon gegen eine "Linksfront". Die legendäre Rote-Socken-Kampagne könnte im Wahlkampf eine Wiederauferstehung erleben.

Die Wahlkampfstrategie hat ihren Ursprung in den 90er Jahren. Der mittlerweile verstorbene damalige CDU-Generalsekretär Peter Hintze erfand die Kampagne als Reaktion auf die frühen Wahlerfolge der PDS in den neuen Bundesländern. Nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im Juni 1994 tolerierte die Partei die rot-grüne Landesregierung von Ministerpräsident Reinhard Höppner. Im Juli präsentierte Hintze ein Wahlplakat für die Bundestagswahl. Es zeigt eine rote Socke an einer Wäscheleine und die Aufschrift: "Auf in die Zukunft … aber nicht auf roten Socken!" Hintze ging es darum, vor einer möglichen Regierungsbeteiligung der PDS im Bund zu warnen. Er wolle sich später "vor der deutschen Geschichte nicht den Vorwurf machen lassen, wir hätten seelenruhig zugeschaut, wie eine linksradikale Partei unter einem Protestmäntelchen getarnt sich in Deutschland ausbreitet".

Streit um Socken und Hände

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Peter Hintze zeigt 1998 ein Wahlplakat der CDU.

(Foto: picture-alliance / dpa)

Aber selbst in der CDU war die Kampagne umstritten. Die Ost-Verbände lehnten Hintzes Plakat ab. "Wie so oft wünschte ich mir, dass, wenn in Bonn jemand was plant, was den Osten betrifft, man das Telefon nimmt und mal bei einem von uns anfragt, wie wir das bei uns empfinden würden", sagte der thüringische CDU-Ministerpräsident Bernhard Vogel. Nicht alle Landesverbände schlossen sich der Kampagne an. Dennoch sagte Hintze später, sie sei wahlentscheidend gewesen. Am 16. Oktober wurde Kanzler Helmut Kohl mit 41,1 Prozent wiedergewählt, die PDS scheiterte an der 5-Prozent-Hürde - dennoch ist es schwierig zu überprüfen, woran es gelegen hat. Schon 1996 kündigte Hintze an, mit der Rote-Socken-Kampagne auch in den kommenden Bundestagswahlkampf ziehen zu wollen. Christoph Bergner, damals CDU-Fraktionschef in Sachsen-Anhalt, warnte, die Socken grenzten nicht nur PDS-Mitglieder, sondern alle ehemaligen SED-Mitglieder aus. Schließlich griff Kohl höchstpersönlich ein und erklärte, die CDU werde keinen Rote-Socken-Wahlkampf führen.

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Wahlkampf mit Socken: der damalige SPD-Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering 1998.

(Foto: picture-alliance / dpa)

Dennoch starb die Kampagne nicht ganz. Im Mai 1998 präsentierte Hintze in der Bonner Parteizentrale die Plakate für die Bundestagswahl. Das Motiv zeigte ein abgewandeltes SED-Logo: zwei verschlungene Hände mit dem Hinweis "SPD und PDS" und "Wir sind bereit". Eine Anspielung auf die Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur SED in der DDR nach 1945. Wieder waren nicht alle in der CDU begeistert. Zu den Kritikern gehörten der damalige Verteidigungsminister Volker Rühe und der frühere DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière. Der sächsische Justizminister Steffen Heitmann warnte, die Plakate würden der PDS Wähler zutreiben und zu einer Solidarisierung der Wähler führen. Die SPD veröffentlichte daraufhin ein eigenes Socken-Plakat mit der Aufschrift: "Worauf Sie sich bei der CDU verlassen können: immer dieselbe Politik, immer dieselbe Reklame, keine neuen Ideen."

"Die Steigbügelhalter der Kommunisten"

Die PDS reagierte mit Humor. Im Landtag von Sachsen-Anhalt schenkte Fraktionsgeschäftsführerin Petra Sitte ihrem CDU-Kollegen Bergner rote Socken und rote Fäustlinge, die hülfen "gegen soziale Kälte … doch immer noch am besten". Mehrfach kündigten PDS-Vertreter im Wahlkampf an, den SPD-Kandidaten als Kanzler zu wählen. Aber am Ende wurde die PDS gar nicht gebraucht. Nach der Bundestagswahl reichte es für Rot-Grün. Hintzes Kampagne verschwand in der Schublade. 2008, ein Jahr vor der Wahl, erklärte CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla, es werde keine Neuauflage geben. "Die roten Socken sind im Archiv und bleiben auch dort." In den neuen Ländern gab es zwar verschiedene Regierungsbeteiligungen der Linken, aber im Bund waren SPD, Grüne und Linke jahrelang viel zu weit von einer Mehrheit entfernt, als dass die Union ernsthaft vor einer "Linksfront" hätte warnen müssen. Auch nicht 2013. Die SPD schloss ein Bündnis mit Grünen und Linken bereits im Wahlkampf aus.

Anfang 2017 ist die Lage anders. Nicht nur könnte es nach der Wahl laut den Umfragen für Rot-Rot-Grün reichen. Die drei Parteien schließen ein Bündnis auch nicht mehr aus. Das ruft den für die Tonalität der Wahlkampfstrategie zuständigen Generalsekretär Peter Tauber, aber auch andere Politiker der Union auf den Plan. "Die Erben der SED sind real, SPD und Grüne sind die Steigbügelhalter der Kommunisten", sagte der CSU-Politiker Alexander Dobrindt beim Politischen Aschermittwoch in Passau. Die Attacken gegen ein Linksbündnis dienen wohl auch einem anderen Zweck: Sie sollen vom eigenen Streit ablenken.

Ob das zieht? "Die Akzeptanz der Linken ist in der Bevölkerung deutlich gewachsen", sagt der Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer. Tatsächlich sei der Erfolg einer Kampagne gegen eine "Linksfront" aber schwer zu messen, weil nicht zu belegen sei, wie viele potenzielle Wähler ein solches Bündnis abschreckt. Ist die Gruppe größer als die Zahl derer, die wegen der Aussicht auf eine neue Große Koalition ihr Wahlverhalten ändern würden? Niemand kann das mit Gewissheit sagen. Für Niedermayer geht die SPD mit ihrer Wahlkampfstrategie auf Nummer sicher. Schulz bekennt sich nicht eindeutig zu Rot-Rot-Grün. Er vermeidet einen Lagerwahlkampf und hält sich mehrere Optionen offen, also sowohl ein Mitte-Links-Bündnis, als auch eine Koalition mit der Union unter seiner Führung - um möglichst wenige Wähler zu verprellen.

Quelle: ntv.de

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