Militäraktion gegen Gaddafi vom Tisch EU-Gipfel stoppt Sarkozy
11.03.2011, 21:06 Uhr
Wandschmiererei in der Rebellenhochburg Bengasi: Die EU sucht nach einer Lösung der Libyen-Krise - fordert aber auch Entscheidungen von UN und Arabischer Liga.
(Foto: REUTERS)
Die Regierungschefs der EU lehnen ein militärisches Eingreifen in Libyen vorerst ab. Die Voraussetzungen seien noch nicht erfüllt, heißt es. Damit scheitert der französische Präsident Sarkozy mit einem entsprechenden Vorschlag. Auch dessen diplomatische Anerkennung der Rebellen ist nicht mehrheitsfähig. Derweil gehen die Kämpfe in dem Land weiter.
Während sich die Kämpfe in Libyen weiter zuspitzen, sieht die EU die Bedingungen für ein militärisches Eingreifen noch nicht erfüllt. Zwar forderten die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union bei einem Sondergipfel in Brüssel den Rücktritt des libyschen Staatschefs Muammar al-Gaddafi. Mit ihrem Ruf nach gezielten Militärschlägen blieben Frankreich und Großbritannien jedoch isoliert. Auch in Washington wird weiter über militärische Optionen - etwa eine Flugverbotszone - nachgedacht. Die Truppen Gaddafis setzten die Aufständischen unterdessen weiter unter Druck.
Die Mehrheit der 27 EU-Staaten - darunter Deutschland - befürwortet ein militärisches Eingreifen, das einen Krieg bedeuten würde, nur unter strengen Bedingungen. "Voraussetzung dafür ist, diese Optionen sind notwendig, haben eine klare Rechtsgrundlage und werden aus der Region heraus unterstützt", sagte EU-Gipfelchef Herman Van Rompuy. Diese Bedingungen seien derzeit noch nicht erfüllt. Generell halten Diplomaten ein militärisches Eingreifen ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates für undenkbar.
Regierungstruppen aus Ras Lanuf vertrieben
Den Aufständischen gelang es derweil nach eigenen Angaben, Regierungstruppen aus Ras Lanuf zu vertreiben, nachdem diese zuvor von Land und See her weite Teile des Ortes eingenommen hatten. Die Soldaten Gaddafis hätten sich nach heftigen Kämpfen zurückgezogen, sagte einer der Aufständischen. Das Areal werde nun von den Einheiten der Rebellen durchkämmt. Über der kleinen Stadt standen dichte Rauchwolken, die aus brennenden Öltanks der Raffinerie hochstiegen.
Die Regierung wies Vorwürfe der Rebellen zurück, sie habe den Ölverarbeitungs-Betrieb bombardiert. Östlich von Ras Lanuf flog die Gaddafi-treue Luftwaffe Angriffe auf die Hafenstadt Ukajlah. Augenzeugen berichteten auch von Bombardements in Breda. Die an Feuerkraft und Ausrüstung überlegenen Truppen im Dienste Gaddafis wollen entlang der Küste in die von Rebellen gehaltenen östlichen Landesteile vordringen. Auf diesem Weg liegt Benghasi, die Hochburg der Aufständischen.
Die Regierungstruppen nahmen allerdings nach Medienberichten die Stadt Al-Sawija wieder ein. Um die westlich von Tripolis gelegene Stadt war in den vergangenen Tagen erbittert gekämpft worden. Dabei soll es viele Tote und Verletzte gegeben haben.
Keine einseitige NATO- oder EU-Militäraktion
Bundeskanzlerin Angela Merkel bremste in Brüssel das Vorpreschen Frankreichs. Die Kanzlerin sagte: "Ich bin grundsätzlich skeptisch, weil man immer das Ende bedenken muss." Auch Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker, der dienstälteste Regierungschef in diesem Kreis, warnte: "Wir möchten nicht in einen innerlibyschen Bürgerkrieg involviert werden." Es könne keine einseitige NATO- oder EU-Militäraktion geben.
Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy verteidigte die britisch-französische Idee für einen Luftschlag. Man wolle nicht zuschauen, wenn es Angriffe libyscher Flugzeuge oder Hubschrauber auf die friedliche Zivilbevölkerung geben sollte. "Alle sind für eine politische und diplomatische Lösung."
Alle 27 Staats- und Regierungschefs forderten den libyschen Diktator in der Abschlusserklärung des Gipfels zum sofortigen Rücktritt auf. "Das Problem hat einen Namen: Gaddafi. Er muss gehen", sagte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso.
Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi glaubt nach eigenen Worten nicht an den freiwilligen Abtritt Gaddafis. "Von dem Moment an, als verkündet wurde, dass er vor den internationalen Strafgerichtshof gebracht werden sollte", sei klar gewesen, dass Gaddafi die Macht nicht abgeben würde, sagte Berlusconi in Brüssel. Demnach wird der libysche Revolutionsführer aus Furcht vor einer Strafverfolgung auch nicht ins Exil gehen. "Ich glaube nicht, dass irgendjemand ihn dazu bringen kann, seine Meinung zu ändern." Italiens Regierungschef war lange einer der engsten Partner Libyens.
Zögerliche Annäherung an Rebellen
Um den Druck zu erhöhen, fasst die EU auch weitere Strafmaßnahmen gegen das libysche Regime ins Auge. "Die EU steht bereit, weitere Sanktionen zu verhängen", heißt es in der gemeinsamen Gipfel-Erklärung. Die EU hat bereits die Vermögenswerte von fünf libyschen Finanzinstituten eingefroren. Zudem gibt es schon länger EU-Sanktionen gegen den Gaddafi-Clan wie Einreiseverbote und Kontensperrungen.
Die Europäer sehen die libysche Opposition in Bengasi zwar als Gesprächspartner an, sind aber nicht bereit, sie als einzige Vertretung des libyschen Volkes anzuerkennen. "Wir sehen sie als ausreichend zuverlässig an, um mit ihr zu sprechen", sagte Van Rompuy lediglich. Als erster EU-Staat hatte Frankreich bereits am Donnerstag im Alleingang die libysche Opposition anerkannt - was Berlin und andere EU-Regierungen verstimmte. Libyen setzte im Gegenzug seine diplomatischen Beziehungen mit Frankreich aus. Die libysche Regierung werde ein anderes Land beauftragen, ihre Interessen in Frankreich zu vertreten, sagte der Vize-Außenminister Chaled Kaaim.
Die US-Regierung will einen Sondergesandten für die Kontakte zu den Rebellen einsetzen. "Wir haben entschieden, dass es angemessen ist, einen Vertreter mit der spezifischen Aufgabe zu betrauen, Kontakte zur Opposition zu unterhalten und Wege herauszufinden, wie wir ihr weiter helfen können", sagte US-Präsident Barack Obama in Washington. Auch ein Militäreinsatz werde weiter erwogen. Keine Option sei vom Tisch, sagte der Präsident. Alle Aktionen müssten in Abstimmung mit der internationalen Gemeinschaft erfolgen. USA weiteten zudem ihre Sanktionen gegen die libysche Führung aus. Das Finanzministerium in Washington teilte mit, dass das Vermögen von neun Angehörigen und Vertrauten Gaddafis eingefroren würde und US-Firmen jede Geschäftsbeziehung mit ihnen fortan untersagt sei.
Arabische Liga tagt zu Libyen

In Ras Lanuf bereitet sich ein Aufständischer auf den Angriff von Gaddafis Truppen vor.
(Foto: REUTERS)
In den USA und Europa ist die Angst groß, dass bei einem militärischen Eingreifen in der arabischen Welt neuer Zorn gegen den Westen hochkochen könnte. Als Bedingungen für die Einrichtung einer Flugverbotszone werden immer wieder ein Mandat der Vereinten Nationen sowie die Zustimmung der Arabischen Liga genannt. Um das weitere Vorgehen zu beraten, solle es dazu einen Dreiergipfel von EU, Arabischer Liga und Afrikanischer Union geben, sagte Merkel. Die Afrikanische Union hat bislang eine ausländische Intervention zurückgewiesen, die Arabische Liga will die Lage in Libyen am Samstag beraten und hat bislang eine Flugverbotszone nicht ausgeschlossen. Grünes Licht vom UN-Sicherheitsrat für eine derartige Maßnahme ist unwahrscheinlich, da sie bislang von den Vetomächten Russland und China abgelehnt wurde. Die Arabische Liga berät am Samstag in Kairo über ihre Haltung. Auch eine Delegation Gaddafis will daran teilnehmen.
Gaddafis Sohn Saif al-Islam al-Gaddaf bezeichnete den Aufstand in seinem Heimatland als Werk der Terrorbewegung Al-Kaida. "Das war von allem Anfang an ein militärisches Komplott", sagte er in Tripolis. Die Führer der Rebellen seien ehemalige Häftlinge des US-Gefangenenlagers Guantánamo. Auch sein Vater hatte die Rebellen schon als Handlanger von Al-Kaida beschimpft. Saif al-Islam Gaddafi sagte zudem, jetzt müsse gehandelt werden, die Zeit für Verhandlungen sei vorbei. Daran könne auch das Ausland nichts ändern: "Wir haben keine Angst vor der US-Flotte, der NATO, Frankreich, Europa. Dies ist unser Land, wir leben hier, wir werden hier sterben."
In mehreren arabischen Ländern haben nach dem Freitagsgebet wieder Tausende Menschen für mehr Demokratie und bessere Regierungen demonstriert. In Saudi-Arabien untersagten die Behörden jegliche öffentliche Kundgebung. Im Jemen und in Bahrain gingen die Sicherheitskräfte mit Gewalt gegen die Demonstranten vor. In Ägypten, im Irak und in Jordanien verliefen die Kundgebungen weitgehend friedlich.
Quelle: ntv.de, mli/AFP/dpa/rts