Politik

Tödliche Flüchtlingsdramen im Mittelmeer EU-Politiker sehen Realitätsverweigerung

Die Körper gestorbener Flüchtlinge werden in Italien abtransportiert.

Die Körper gestorbener Flüchtlinge werden in Italien abtransportiert.

(Foto: dpa)

Maltas Regierungschef Muscat fordert erneut EU-Maßnahmen wegen ständiger Flüchtlingsdramen im Mittelmeer. Doch Bundesinnenminister Friedrich blockt ab. EU-Parlamentspräsident Schulz fordert ein Einwanderungssystem wie das der USA oder Australiens.

Widerspricht Friedrich: EU-Parlamentspräsident Martin Schulz.

Widerspricht Friedrich: EU-Parlamentspräsident Martin Schulz.

(Foto: dpa)

Angesichts der jüngsten Flüchtlingsdramen im Mittelmeer hat EU- Parlamentspräsident Martin Schulz einen Kurswechsel in der europäischen Einwanderungspolitik gefordert. Europa müsse "endlich anerkennen, dass es ein Einwanderungskontinent ist" und brauche daher "dringend eine Reform unserer Einwanderungsgesetze", sagte der SPD-Politiker dem "Spiegel". Europa brauche "ein legales Einwanderungssystem", wie es alle großen Einwanderungsregionen dieser Erde hätten, etwa die USA, Australien oder Kanada.

Schulz forderte die Einführung eines Verteilungsschlüssels, der die Aufnahme von Einwandern in den EU-Mitgliedstaaten regelt. "Wenn Sie 10.000 Flüchtlinge auf einer Insel wie Lampedusa haben, die 6000 Einwohner zählt, ist das für die Insel eine Katastrophe. Wenn Sie 10.000 Menschen unter 507 Millionen Europäern in 28 Mitgliedstaaten verteilen, ist das machbar", sagte Schulz. "Weder Italien noch Malta kann man alleine lassen, das muss eine europäische Aufgabe sein."

Mit seinen Forderungen dürfte Schulz bei Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich jedoch nicht auf viel Gegenliebe stoßen. Der CSU-Politiker hatte gesagt, er sehe keinen Grund für eine Änderung der Einwanderungspolitik in Europa. Auch ein stärkeres Engagement Deutschlands, um den Ländern an den EU-Außengrenzen unter die Arme zu greifen, lehnte Friedrich ab. Schulz sieht darin "eine Weigerung, die Realität zur Kenntnis zu nehmen". Er forderte den Innenminister indes auf, Italien konkrete Hilfsangebote zu machen: "Wir können es uns leisten - finanziell und was die Aufnahme von zusätzlichen Flüchtlingen angeht."

"Kann nicht mit Geld gelöst werden"

Maltas Regierungschef Joseph Muscat forderte eine "klare Strategie" der Europäischen Union in der Flüchtlingspolitik angemahnt. "Wir sind keine Supermacht - aber wir kontrollieren nicht nur unsere Grenze, sondern die Grenzen von ganz Europa", sagte Muscat. "Diese Leute hatten ein Leben und einen festen Job in ihrem Land, aber sie konnten dort nicht länger leben", schilderte Muscat die Beweggründe der Flüchtlinge. Der Premierminister beklagte die "sehr geringe Resonanz", die Maltas Appelle an die EU zur Solidarität angesichts der humanitären Krise erzielt hätten. "Die Situation kann nicht mit Geld gelöst werden, sondern mit politischem Einsatz und einer klaren Strategie."

Auch auf solchen Booten wagen Menschen die Überfahrt von Afrika zur EU-Außengrenze.

Auch auf solchen Booten wagen Menschen die Überfahrt von Afrika zur EU-Außengrenze.

(Foto: AP)

Zuvor war Muscat in Libyen mit dem libyschen Regierungschef Ali Seidan zusammengetroffen. Dabei hatte Seidan ein entschlossenes Vorgehen gegen illegale Einwanderer angekündigt. "Wir sind fest entschlossen, uns mit diesem Problem auseinander zu setzen", sagte Seidan nach einem Treffen mit Maltas Regierungschef Joseph Muscat in Tripolis. Er habe die EU bereits um Unterstützung gebeten, fügte Seidan hinzu. Neben Ausrüstung und Schulungen wäre auch ein Zugang zu europäischer Satellitentechnik eine "große Hilfe", um die libyschen See- und Landgrenzen besser überwachen zu können.

Flüchtlinge übers Meer verfolgt

Am 3. Oktober waren bei einer Flüchtlingskatastrophe vor Lampedusa 360 Menschen aus Afrika ums Leben gekommen. Nur 155 der geschätzt rund 550 Bootsinsassen konnten gerettet werden. Seit dem Unglück wird in der EU heftig über die europäische Flüchtlingspolitik diskutiert. Am Freitagabend kenterte ein vor allem mit Syrern besetztes Flüchtlingsboot südlich von Malta und der Lampedusa. Bislang wurden 36 Todesopfer geborgen, italienische und maltesische Schiffe retteten mehr als 200 Passagiere. Wieviele Insassen in dem Boot waren, ist noch unklar - die Zahlen schwanken zwischen 270 und 400.

Während der Überfahrt waren die Flüchtlinge nach eigenen Worten von libyschen Milizionäre beschossen worden. Nach dem Ablegen von der libyschen Küste seien sie stundenlang verfolgt worden. Dabei sei ihr Schlauchboot getroffen worden und allmählich voll Wasser gelaufen. Einer der Überlebenden, Mohammed, berichtete, über vier bis fünf Stunden seien Milizionäre ihrem Boot gefolgt. Plötzlich hätten sie das Feuer eröffnet, zwei Flüchtlinge seien verletzt worden. Die 25-jährige Libanesin Aisha stützte seinen Bericht: "Sie haben auf uns gezielt und unser Geld, unsere Nieren, unsere Lebern gefordert. Als niemand ihnen etwas gab, haben sie auf uns geschossen."

Quelle: ntv.de, rpe/AFP

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