Mehrheit der Iren gegen Reform EU-Vertrag könnte scheitern
06.06.2008, 15:05 UhrIn der Europäischen Union schrillen die Alarmglocken: Wenige Tage vor der Volksabstimmung über den EU-Vertrag von Lissabon zeichnet sich in Irland erstmals eine Mehrheit für die Gegner des Abkommens ab. 35 Prozent der Bürger lehnen den Vertrag nach einer am Freitag von der Zeitung "Irish Times" veröffentlichten Umfrage ab, nur noch 30 Prozent unterstützen ihn.
Damit würde erneut der Versuch scheitern, die Europäische Union (EU) zu reformieren und ihr einen Grundlagenvertrag zu geben. Damit der Vertrag von Lissabon zum 1. Januar 2009 in Kraft treten kann, müssen ihn alle Mitgliedsländer ratifizieren. Im ersten Anlauf vor drei Jahren stoppten Franzosen und Niederländer die Ratifizierung der EU-Verfassung und erzwangen damit die abgespeckte Version, über die diesmal nur in Irland in einem Referendum abgestimmt werden muss. In den anderen 26 Mitgliedsstaaten entscheiden die Parlamente.
Mit dem Vertrag soll die Union ein demokratischeres Abstimmungsverfahren erhalten, einen festen außenpolitischen Vertreter und diplomatischen Dienst sowie einen Präsidenten, der durch eine längere Amtszeit für mehr Kontinuität sorgen soll.
"Es gibt keinen Plan B"
"Die Regierung steht vor einer Katastrophe", titelte die Tageszeitung "Irish Examiner" angesichts der Umfrageergebnisse. Tatsächlich wäre aber nicht nur der neue irische Ministerpräsident Brian Cowen mit dem Desaster konfrontiert. "Es gibt keinen Plan B", sagte EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso vor einigen Tagen. "Wenn es in Irland ein 'Nein' gibt, dann hätte das eine sehr negative Auswirkung auf die EU."
Cowen rief zu einem "enthusiastischen" Ja-Votum auf. Es gehe bei der Abstimmung darum, Arbeitsplätze zu sichern und Mittel zu finden, das Wachstum der heimischen Wirtschaft zu verlängern. Dem Nein-Lager warf er vor, eine "Angst-Kampagne" gegen den Lissabon-Vertrag zu führen. Die Gegner des "Reformvertrags" halten dagegen, dass dieser wie der gescheiterte Verfassungsvertrag die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zu militärischer Aufrüstung enthält und die EU zu einer neoliberalen und unsozialen Wirtschaftspolitik verpflichtet.
Im 'Nein'-Lager sammelt sich eine lockere, aber lautstarke Koalition all derer, die sich von Globalisierung und europäischer Integration übervorteilt sehen. Der Umfrage zufolge wollen 39 Prozent der Arbeiter gegen das Abkommen stimmen. Nur ein knappes Viertel unter ihnen ist für den Vertrag. Selbst in der sozialistischen Labour-Partei, der drittgrößten im Land, sind 47 Prozent der Mitglieder dagegen und nur 30 Prozent dafür. Die Bessersituierten sind die einzige Gruppe, in der die Befürworter überwiegen.
Ein "Nein" würde Krise in EU beschwören
Ein "Nein" würde bedeuten, dass der Vertrag von einem Staat gestoppt wird, in dem weniger als ein Prozent der 490 Millionen EU-Bürger lebt. Aus dem zehn Tage später angesetzten Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs würde schlagartig ein Krisengipfel. Zudem dürfte die Entscheidung erneut die Diskussion über ein Europa der zwei Geschwindigkeiten schüren, in dem Staaten wie Deutschland oder Frankreich ihre Zusammenarbeit vertiefen und Staaten wie Irland oder Großbritannien weiter an den Rand rücken würden.
35 Prozent der Iren sagten den Meinungsforschern, sie seien noch unentschieden. Die EU-Kommission forderte die Bürger auf, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. "Wir kommentieren keine Umfragen. Es kommt auf die Entscheidung des irischen Volkes an", sagte Sprecher Johannes Laitenberger in Brüssel.
Quelle: ntv.de