Tunesier kaufen verbotene Bücher EU will Ben Alis Konten sperren
20.01.2011, 18:13 Uhr
Sicherheitskräfte versuchen, gewaltlos für Ordnung zu sorgen.
(Foto: REUTERS)
Die EU bereitet ein ganzes Maßnahmenbündel vor, um die politische Wende in Tunesien zu begleiten. Es gibt "breite Übereinstimmung", dass gehandelt werden muss. Die millionenschweren Konten von Ex-Machthaber Ben Ali und seiner Familie sollen gesperrt werden. In den deutschen Unternehmen im Land kehrt bereits wieder der Alltag ein.
Die Europäische Union will die Guthaben des gestürzten tunesischen Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali einfrieren. Die Maßnahme solle auch für dessen Angehörige und Vertraute gelten, hieß es aus Diplomatenkreisen in Brüssel. Die Schweiz hatte bereits zuvor den Zugriff auf Konten und Immobilien des Ben-Ali-Clans gesperrt.
In Tunis trat derweil das Übergangskabinett des vorläufigen Ministerpräsidenten Mohammed Ghannouchi unter anhaltenden Protesten aus der Bevölkerung zusammen. Mit dem Staatsminister für lokale Verwaltung, Zouheir M'Dhaffer, trat der fünfte Minister zurück. Das Kabinett beschloss eine Generalamnestie, die auch für die unter Ben Ali verbotene islamistische Partei Ennahda gelten soll. Das Parlament muss noch zustimmen.
Tunesien Thema bei EU-Außenministern

Das Übergangskabinett ist zur ersten Sitzung zusammengekommen. Fünf Minister allerdings fehlen bereits.
(Foto: AP)
Eine Grundsatzeinigung zum Einfrieren der Guthaben wurde bereits auf einem Expertentreffen der 27 Mitgliedsstaaten erzielt. Es gebe "breite Übereinstimmung", das gehandelt werden müsse, sagten Diplomaten. Es gebe aber derzeit weder einen endgültigen Beschluss noch eine Liste mit den Namen aller Betroffenen.
Die Einigung muss noch von den EU-Botschaftern und dann von den Außenministern bestätigt werden. Dies soll wahrscheinlich bei einem EU-Außenministertreffen am 31. Januar geschehen. Die EU bereitet nach Angaben der Sprecherin der Außenbeauftragten Catherine Ashton ein ganzes Maßnahmenbündel vor, um die politische Wende in dem nordafrikanischen Land zu begleiten.
Ben Ali war am vergangenen Freitag nach wochenlangen sozialen Unruhen nach Saudi-Arabien geflohen. Er soll sich auf Kosten seines Volkes enorm bereichert haben, der genaue Umfang seines Vermögens ist aber nicht bekannt. Gegen 33 seit dem vergangenen Freitag festgenommene Familienangehörige Ben Alis wurden unterdessen Ermittlungen eingeleitet, wie das tunesische Fernsehen unter Berufung auf Behördenkreise berichtete. Die Namen der Festgenommenen nannte der Sender nicht.
Fünf Minister zurückgetreten
Während der Sitzung des Übergangskabinetts in Tunis waren bis auf fünf zurückgetretene Minister alle Mitglieder anwesend. An der Sitzung nahm auch Übergangspräsident Foued Mebazaa teil. Alle noch amtierenden Minister des alten Regimes traten vor der Sitzung aus Ben Alis früherer Regierungspartei RCD aus. Die RCD-Führungsspitze löste sich daraufhin auf. Mebazaa und Ghannouchi hatten die Partei angesichts der anhaltenden Proteste in der Bevölkerung bereits am Dienstag verlassen.

Blumen in den Gewehren der Soldaten, die das Hauptquartier der früheren Regierungspartei RCD vor wütenden Demonstranten schützen.
(Foto: AP)
Vor der RCD-Zentrale in der Hauptstadt protestierten erneut rund tausend Menschen. Um ein Eindringen der Demonstranten in das Gebäude zu verhindern, gab das Militär Warnschüsse ab. "Das Volk will den Rücktritt der Regierung", skandierten die Demonstranten. "Verräter, wir haben keine Angst mehr vor Euch", war auf Transparenten zu lesen. Seit Mitte der Woche hat die Polizei offensichtlich den Befehl bekommen, auf Gewalt zu verzichten. Vier Reihen von Polizisten, teils mit Plastikschilden und Helmen, schafften es nicht, die Menge aufzuhalten. Die Menge drückt sie einfach beiseite und bahnte sich einen Weg bis zum Sitz der alten Einheitspartei RCD, die offiziell etwa 1,5 Millionen Mitglieder hat. Trotz der Warnschüsse gelang es ihnen, das verhasste Parteilogo abzumontieren.
Die Demonstranten waren zuvor auch am Innenministerium vorbeigezogen. Sie forderten erneut den Rückzug aller RCD-Anhänger aus der Politik. Rund hundert Anwälte demonstrierten zudem für die Unabhängigkeit der Justiz.
"Verbotete Bücher" in Buchläden
Buchläden verkaufen erstmals seit langer Zeit "verbotene" Bücher. Vor einem Laden auf der Flaniermeile Avenue Bourguiba im Zentrum von Tunis drängelte sich eine Menschenmenge, um die Auslage zu bestaunen. Dort fand sich unter anderem das Buch "Die Regentin von Karthago", das die krummen Machenschaften des Trabelsi-Clans von Leila Ben Ali beschreibt. Bis zum Sturz ihres 23 Jahre herrschenden Mannes Zine el Abidine Ben Ali hätte niemand gewagt, es zu verkaufen. "Viele Tunesier haben es natürlich trotzdem gelesen. Wir haben uns solche Bücher eben aus dem Ausland mitbringen lassen", sagte Buchhändlerin Amel.
Arbeit in deutschen Firmen geht weiter
In den deutschen Unternehmen in Tunesien kehrt bereits wieder der Alltag ein. Nach Einschätzung der Deutsch-Tunesischen Industrie- und Handelskammer (AHK) sind nahezu alle Beschäftigten und Unternehmer wieder an ihren Arbeitsplätzen. "Dies ist vor allem ein Verdienst der besonnenen Tunesier, die selbst in Tagen des Umbruchs und der politischen Veränderungen mit Bürgerwehren auch ihre Arbeitsplätze geschützt haben", kommentierte die AHK in Tunis.
In Tunesien leben und arbeiten nach AHK-Angaben ständig bis zu 3000 Deutsche, von denen kaum jemand das Land im Zuge der Unruhen verlassen hat. In den rund 280 Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung sind rund 45.000 Mitarbeiter beschäftigt. Damit gehören deutsche Betriebe laut AHK zu den größten Arbeitgebern des Landes. Aus Tunesien soll mittlerweile jeder siebte Kabelbaum eines deutschen Autos kommen.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP