NSU-Verfahren muss transparent geführt werden Ein Prozess ist kein Untersuchungsausschuss
06.05.2013, 08:21 Uhr
Jetzt zählen das Strafgesetzbuch und die Strafprozessordnung.
(Foto: picture alliance / dpa)
Schon wegen des gewaltigen Aktenvolumens ist das Verfahren um die Taten des NSU eine echte Herausforderung für die beteiligten Juristen. Bei der Aufgabe, den Prozess untadelig zu führen, vertraut der Sprecher der Neuen Richtervereinigung, Wenning-Morgenthaler, auf die Professionalität seiner Berufskollegen. Beim Umgang mit der Öffentlichkeit gebe es jedoch noch vieles zu verbessern.
n-tv.de: Kann der Vorsitzende Richter Manfred Götzl nach dem ganzen Hick-Hack um die Vergabe der Presseplätze das NSU-Verfahren noch souverän führen?
Martin Wenning-Morgenthaler: Natürlich kann er das Verfahren noch gut führen. Es sind zwei völlig verschiedene Sachen, ob sich ein Vorsitzender mit dem Verfahrensinhalt oder mit dem Verfahrensdrumherum beschäftigen muss. W er ein Verfahren professionell führen kann, ist vielleicht manchmal mit Dingen, die auf den ersten Blick als Kleinigkeiten erscheinen, etwas überfordert. Aber das hat nichts mit dem Inhalt des Verfahrens zu tun.
Was hätte Götzl im Vorfeld besser machen können?
Das ist ein bisschen schwer zu beurteilen, wenn man nicht vor Ort ist. Soweit ich das verfolgt habe, hätte man sich zu Beginn des Verfahrens viel schlauer mit der Platzvergabe verhalten können. Man hätte das von vornherein transparenter machen und vom Gericht besser kommunizieren können. Man hätte erklären können, warum muss was wie sein. Dann hätte man sich auch schneller wieder um den Inhalt kümmern können. So hat sich das Gericht wochenlang mit Nebenschauplätzen beschäftigt, das kann schon zu Lasten der Vorbereitung gehen. Aber da schätze ich Richter Götzl als so professionell ein, dass er sich in das Verfahren akribisch und hundertfünfzigprozentig eingearbeitet hat.
Hat er vielleicht unterschätzt, wie sensibel jede Kleinigkeit bei dem Verfahren wahrgenommen wird?
Ich kenne Götzl nicht persönlich und kann das nicht beurteilen, aber von außen erscheint das so, dass er gedacht hat, man schottet sich ab und dann fährt man gut damit. In der Praxis, besonders bei einem Verfahren, das so unter Beobachtung steht, funktioniert das aber nicht. Da muss ich offensiv mit der Öffentlichkeit umgehen.
Wo muss die Öffentlichkeit möglicherweise mehr Sensibilität dafür entwickeln, was die Arbeit der Juristen und besonders des Vorsitzenden Richters bei diesem Verfahren ausmacht?
Für die Öffentlichkeit ist es ganz schwer zu unterscheiden, was die Aufgabe der Untersuchungsaussschüsse und was die Aufgabe eines Gerichts ist. Die Untersuchungsausschüsse waren ja auch wochenlang in den Medien und haben Missstände aufgedeckt. Die Aufgabe eines Gerichts ist es jedoch, die individuelle Schuld der Angeklagten im Rahmen des Anklagevorwurfs festzustellen und nicht Missstände generell. In die Richtung ist noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten.
Wo liegen die größten Herausforderungen des Prozesses, in der schwierigen Beweislage oder in den politischen Begleiterscheinungen des Prozesses?
Für den Richter ist es die Beweislage, für die Öffentlichkeit die politische Dimension. Die Schwierigkeit liegt sicher in beidem. Solange die Angeklagten keine Aussage machen, habe ich als Richter nur Indizien oder Zeugen, auf die ich mich für die Beweislage berufen kann. Natürlich wäre es einfacher, mit einer Einlassung der Angeklagten den Sachverhalt beurteilen zu müssen. Aber das ist das normale Geschäft in Strafverfahren, dass ein Angeklagter sich nicht äußert und man dann auf Grund von anderen Beweismitteln die Schuld oder Unschuld feststellt. Es führt nur unter Umständen dazu, dass es nicht zu dem Urteil kommt, das die Öffentlichkeit erwartet. Hier besteht die Schwierigkeit darin, die Entscheidung des Gerichts als Ahndung persönlicher Schuld nach außen zu vermitteln. Der politische Fokus spielt normalerweise für den Juristen keine Rolle.
Das NSU-Verfahren ist immer wieder mit den RAF-Prozessen oder dem Prozess gegen Anders Behring-Breivik verglichen worden. Halten Sie diese Vergleiche für zulässig?
Es ist, was die öffentliche Aufmerksamkeit angeht, vergleichbar. Aber ansonsten sind das ganz unterschiedliche Tatkomplexe. Anders Behring-Breivik war ein Einzeltäter, dem die Schuld unmittelbar nachgewiesen wurde, der auch geständig war. Bei den RAF-Prozessen ging es zwar auch um die Taten einer kriminellen Vereinigung, aber es ist trotzdem anders. Die RAF hat häufig offen zu ihren Taten gestanden und damit konnte auch die Schuld leichter festgestellt werden.
Der Prozess wird sehr lange dauern, was bedeutet das für Richter und Anwälte?
Es ist so, dass die Anwälte und auch der Richter komplett in diesem Verfahren gebunden sind. Man muss Protokolle lesen und sich auf die nächsten Verhandlungstage und die weiteren Zeugen vorbereiten, das kostet alles viel Zeit. Es wird sicher im Lauf des Verfahrens Ermüdungserscheinungen geben. Aber Richter Götzl gilt als akribischer Vorsitzender, der das Verfahren auch über einen so langen Zeitraum korrekt behandeln wird. Ob die Angehörigen der Opfer und vor allem die Öffentlichkeit so viel Geduld haben, bis nach ein oder zwei Jahren die Aufklärung erfolgt ist, da habe ich meine Zweifel.
In dem Verfahren gibt es ganz verschiedene Angeklagte, zwei haben Taten gestanden, andere schweigen, wie könnte sich das auf die Prozessführung auswirken?
Man kann unter Umständen einzelne Tatkomplexe abtrennen, so dass einzelne Angeklagte früher verurteilt werden. Dafür gibt es unter Umständen ja auch den sogenannten Deal im Strafverfahren. Aber das ändert nichts an der Laufzeit des Verfahrens, weil ja die Haupttäterin bis zum Schluss dabei sein wird.
Die Nebenkläger bitten vor allem Frau Zschäpe immer wieder, ihr Schweigen zu brechen, damit sie erfahren, warum ihre Angehörigen sterben mussten. Erwarten die Nebenkläger zu viel von diesem Prozess?
Ich glaube, wenn ich Nebenkläger wäre, würde ich diese Erwartung auch haben. Aber es gilt eben der rechtsstaatliche Grundsatz, ich muss mich nicht selbst belasten. Ich kann schweigen im Verfahren, ich habe das Aussageverweigerungsrecht. Das muss dann jeder mit sich selbst ausmachen, ob er das vor sich und seinem Gewissen verantworten kann.
Was muss der Prozess auf jeden Fall leisten, damit das, was immer als Rechtsfrieden bezeichnet wird, am Ende eintreten kann?
Das Wichtigste ist, dass er der Öffentlichkeit immer wieder deutlich macht, was im Verfahren passiert und warum. Das muss so geschehen, dass das Gericht immer zeigt, wir sind nicht im luftleeren Raum, sondern Teil der Öffentlichkeit. Saubere Aufarbeitung, nachvollziehbare Erklärung, verständlich und offen – so sollte das Verfahren sein. Das ist aber nicht nur die Aufgabe der erkennenden Strafkammer, sondern noch viel weitergehender eine Aufgabe der Leitung des gesamten Oberlandesgerichts.
Wir sind noch weit von einem Urteilsspruch entfernt, aber wie könnte der vor allem in Zschäpes Fall aussehen?
Da kann man nicht spekulieren, man muss alle Seiten gehört haben und die Akten kennen. Sie kann wegen der angeklagten Taten verurteilt werden oder auch nur wegen eines Teils davon. Es ist derzeit noch genauso wahrscheinlich, dass sie freigesprochen wird, wie dass sie verurteilt wird.
Mit Martin Wenning-Morgenthaler sprach Solveig Bach
Quelle: ntv.de