Politik

Bouffier und Seehofer verklagen die Armen Ein Verfahren zur Unzeit

Wollen im Jahr 2013 Wahlen gewinnen: Volker Bouffier aus Hessen und Horst Seehofer aus Bayern.

Wollen im Jahr 2013 Wahlen gewinnen: Volker Bouffier aus Hessen und Horst Seehofer aus Bayern.

(Foto: picture alliance / dpa)

Hessens und Bayerns Ministerpräsidenten haben recht: Das System des Länderfinanzausgleichs muss reformiert werden. Dass sie dagegen klagen, ist jedoch den in ihren Ländern anstehenden Wahlen geschuldet. Im Sinne eines neuen, gerechteren Mechanismus ist das Verfahren nicht.

Horst Seehofer und Volker Bouffier führen den Kampf der Gerechtigkeit. Die Ministerpräsidenten Bayerns und Hessens klagen vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die geltende Fassung des Länderfinanzausgleichs. Dass ihre Länder sie zu Beginn des neuen Jahrtausends selbst befürwortet haben, schreckt sie nicht. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass das Grundgesetz die "Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse" vorschreibt. Wie genau das zu erfolgen hat, verrät die Verfassung allerdings nicht. Und genau hier beginnt das Problem.

Die nackten Zahlen geben den Unionsherren aus München und Wiesbaden zunächst einmal recht: Bayern tritt im Jahr 2012 3,9 Milliarden Euro seiner Steuereinnahmen für den Länderfinanzausgleich ab. Baden-Württemberg, das nicht klagt, ist mit 2,7  Milliarden Euro, Hessen mit immerhin noch 1,3 Milliarden Euro dabei. Alle übrigen Bundesländer sind Nehmer, neuerdings auch Hamburg. Mit Abstand größter Empfänger - und damit bajuwarisches und hessisches Hassobjekt Nummer eins - ist Berlin, in die Hauptstadt fließen alleine 3,3 Milliarden Euro.

Seehofer tönt: Die "Schmerzgrenze ist erreicht." Vor seinen Bürgern könne er diese Geldflüsse "nicht mehr verantworten". Wie gewohnt einer der lautstärksten Vertreter der Bewegung ist Bayerns Finanzminister Markus Söder. Die Belastung sei nicht akzeptabel, findet er und rechnet vor: Der Freistaat muss ganze 16 Prozent der Steuereinnahmen nach Norden transferieren. Für das Geld könnte sich Bayern 150.000 zusätzliche Lehrer oder 400.000 Krippenplätze leisten, sagt er. Während sich Länder wie Rheinland-Pfalz kostenlose Krippenplätze leisten, verkneifen sich das die Geberländer. Diese Zahlen klingen ziemlich gewaltig. Und genau das sollen sie auch.

Wahlkampf schadet der Sache

Denn es ist sicherlich kein Zufall, dass Bayern und Hessen die Klage in Karlsruhe ausgerechnet jetzt einreichen. Seehofer und Bouffier befinden sich im Wahlkampf, die Landtage werden im September, parallel zum Bundestag, neu besetzt. Der CSU steht mit dem SPD-Mann Christian Ude zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder ein Gegenkandidat gegenüber, der Seehofer zumindest ein bisschen wehtun könnte. Und in Hessen droht der Union dank starker Grüner, wiedererstarkter Sozialdemokraten und in den Keller gerauschter Liberaler gar der Machtverlust. Da ist Profilierung gefragt. Nach dem Motto: "Wir kämpfen für das Geld unserer Bürger."

Im Wahlkampf werden Debatten und Argumente gerne eindimensional, weil sie einfach zu verstehen sein müssen. Genau das geschieht derzeit auch beim Länderfinanzausgleich. Die Zahlen, die da präsentiert werden, sind isoliert kaum aussagekräftig. Denn die Regelungen, gegen die jetzt geklagt werden, sind beileibe nicht die einzigen Mechanismen, über die unterschiedliche Voraussetzungen der Teilstaaten der Bundesrepublik reguliert werden.

Geber profitieren an anderer Stelle

Dass sie Milliarden nach Berlin transferieren müssen, macht die Bayern stinkig.

Dass sie Milliarden nach Berlin transferieren müssen, macht die Bayern stinkig.

(Foto: dpa)

Da gibt es etwa einen Umsatzsteuervorwegausgleich. Das Wortungetüm meint: Bevor berechnet wird, welches Land wohin Geld transferieren muss, zahlen Bundesländer einen Teil der ihnen zustehenden Umsatzsteuererlöse an einnahmeschwächere. Das Beispiel Nordrhein-Westfalen zeigt, dass ein Blick auf diese Zahlen lohnt. 2012 erhielt das Land 402 Millionen Euro aus dem Länderfinanzausgleich, zahlte aber vorab bereits 2,4 Milliarden Euro von der Umsatzsteuer. NRW ist so gesehen also kein Nehmer-, sondern ein Geberland.

Weitere Geldströme kommen hinzu, die ein reiner Blick auf die Zahlen des Länderfinanzausgleichs nicht berücksichtigt: Über Ergänzungszuweisungen gleicht der Bund Unterschiede aus. Bei der Forschungsförderung, die sich ebenfalls aus Ländermitteln speist, profitiert Baden-Württemberg am meisten. Und weil in Bayern besonders viele Photovoltaikanlagen stehen, fließen auch besonders viele Subventionen im Zuge der Energiewende in den Freistaat. All das macht die Argumentation Hessens und Bayerns, dass es grundsätzlich nicht in Ordnung sein kann, dass nur 3 Länder 13 andere am Leben erhalten und das zu Fehlanreizen führt, nicht komplett falsch. Doch ein differenzierteres Bild ergibt sich dadurch schon.

Urteil lässt Jahre auf sich warten

Hinzu kommt: Nicht aus jedem der Länder, die das heutige System als ungerecht geißeln, kamen in der Vergangenheit kritische Stimmen. Bayern etwa befand sich über Jahrzehnte bis zum Ende der 80er Jahre unter den Nehmerländern. Dass es den Bayern heute finanziell so gut geht, hat also auch etwas damit zu tun, dass es einen Länderfinanzausgleich gibt. Heute gehen die meisten Zahlungen aus dem Finanzausgleich in den Osten der Republik - in den Teil des Landes also, der historisch bedingt nicht dieselben Voraussetzungen hat wie die alten Länder. 

Nun muss fairerweise festgestellt werden: Bayern und Hessen stellen dieses Solidarsystem nicht vollkommen infrage. Ihnen geht es bei der Klage um bessere Konditionen, nicht um einen Ausstieg. Für Bayern lautet das Ziel angeblich, dass im Jahr etwa eine Milliarde Euro weniger fließt als bisher. Wenn die Karlsruher Richter in zwei, vielleicht drei Jahren zu ihrem Urteil kommen, dann werden sie - wie bei bisherigen Klagen auch - kaum eine detaillierte Neufassung des Finanzausgleichs vorlegen. Vielmehr werden sie die Maßstäbe präzisieren. Und genauer fassen, was unter der Verfassungsklausel zu verstehen ist: "Durch das Gesetz ist sicherzustellen, dass die unterschiedliche Finanzkraft der Länder angemessen ausgeglichen wird."

Verfahren ist Gift für den Länderfinanzausgleich

Und dann liegt es wieder an den Ländern, zu verhandeln. Denn spätestens 2019 muss das System auf neue Füße gestellt werden, wenn der Solidarpakt der Länder ausläuft. Stellschrauben, an denen gedreht werden kann, gibt es zuhauf: die sogenannte "Einwohnerveredelung" etwa. Sie bedeutet, dass Bürger, die in Stadtstaaten oder besonders strukturschwachen Ländern leben, mit einem höheren Faktor berücksichtigt werden als andere. Anpassungen könnten die Summen, die nach Berlin und in den Osten fließen, verringern. Eine Möglichkeit wäre auch ein sogenanntes "Hauptstadtgesetz": Die Sonderaufgaben, die Berlin als Kapitale zu erfüllen hat, werden durch Extrazahlungen aus dem Bundeshaushalt übernommen.

Das sind schwierige Verhandlungen, die da in den kommenden sechs Jahren geführt werden müssen. Zumal mit der ab 2020 geltenden Schuldenbremse ein neuer Faktor in die Haushaltspolitik der Länder eingreift. Dass ausgerechnet jetzt geklagt wird, ist aus wahlkampftaktischen Gründen verständlich. Doch aus verhandlungsstrategischer Sicht ist das anstehende Verfahren Gift. Denn bis ein Urteil gefallen ist, wird es zu keiner politischen Lösung des Problems kommen. Wegen des Wegfalls der Sonderregeln nach der Einheit und des Schuldenstopps muss eine große Neufassung her und nicht bloß eine kosmetische Korrektur. Ernsthafte Gespräche darüber kann es jedoch nicht geben, da sie stets unter dem Vorbehalt eines Urteils stehen würden. Gerechtigkeit hin oder her. Aber das kann niemand wollen.

Quelle: ntv.de

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