Inflation bei "Hart aber fair" "Eine schwere Zukunft, die auf uns wartet"
10.01.2023, 03:13 Uhr
"Ich weiß nicht, ob man das überhaupt noch stemmen kann", sagt Metallarbeiter Engin Kelik.
(Foto: WDR/Oliver Ziebe)
Es ist eine gelungene Premiere. Louis Klamroth führt am Montagabend zum ersten Mal durch die ARD-Talkshow "Hart aber fair". Sein Thema: Die Inflation - und wie die Bürger damit klarkommen.
"Erstmal gratuliere ich zur gelungenen Premiere", sagt "Tagesthemen"-Moderatorin Caren Miosga am Ende der Sendung "Hart aber fair" an diesem Montagabend. Es ist die Premiere des neuen Gastgebers Louis Klamroth. Zunächst einmal fällt die neue Kennmelodie zur Sendung auf. Sie ist ruhig, nicht mehr ganz so aufdringlich wie bisher. Klamroth selber führt souverän durch die Sendung, fällt seinen Gästen seltener ins Wort als sein Vorgänger Frank Plasberg. Mit seinen 33 Jahren ist er der mit Abstand jüngste Talkmaster der öffentlich-rechtlichen Sender.
Doch er bringt schon jede Menge Erfahrung mit, die er unter anderem bei ntv und Prosieben gesammelt hat. Das merkt man: Er lässt sich nicht aus dem Konzept bringen, hört seinen Talkgästen zu, lässt ihnen viel Freiraum. Er stellt sich weniger in den Mittelpunkt als seine älteren Kollegen, gibt seiner Redaktion mehr Raum - und damit auch den Zuschauern. Seine Kollegin, die bisher nur für Zuschauerkommentare während der Sendung zuständig war, hat vorab Menschen in der Nähe eines Einkaufszentrums in Erkrath bei Düsseldorf zum aktuellen Thema befragt.
Insgesamt wirkt Klamroth sehr viel lockerer als seine Kollegen. Da passt es, dass ihm bei einer Frage sogar das ARD-Unwort "Scheiße" über die Lippen kommt. Man merkt: Da ist jemand, dem sein Job richtig Spaß macht. Die Information leidet darunter kein bisschen. Da kann man sich der Gratulation von Karen Miosga ohne Weiteres anschließen.
In seiner ersten Sendung hat sich Klamroth gleich einem schweren Thema gewidmet. Die Preise für Strom und Heizung haben bei vielen Bundesbürgern zu Beginn des Jahres kräftig zugelegt. Die Inflation liegt aktuell bei 8 Prozent. Lebensmittelpreise sind jedoch um durchschnittlich gut 20 Prozent in die Höhe geschnellt. Besonders Grundnahrungsmittel sind richtig teuer geworden.
"Es ist eine schwere Zukunft"
Mit seinen 2300 Euro, die er monatlich netto verdiene, könne er seine vierköpfige Familie ernähren, sagt Metallarbeiter Engin Kelik in der Sendung. Aber er müsse oft auf günstigere Eigenprodukte der Discounter zurückgreifen. Trotzdem muss er jeden Cent umdrehen. Für Weihnachten zum Beispiel habe er seinen beiden Töchtern größere Wünsche nicht erfüllen können. Die Geschenke hätten sich in seiner Familie im Zehn-Euro-Bereich bewegt, erzählt Kelik. Vor der Zukunft hat er Angst.
"Ich weiß nicht, ob man das überhaupt noch stemmen kann, ob man sich zum Zweitjob vielleicht noch einen Drittjob suchen muss. Es ist eine schwere Zukunft, die auf uns wartet." Kelik hat zwei Töchter im Alter von 10 und 13 Jahren. Die Wünsche seiner Kinder zu erfüllen, fällt ihm zunehmend schwer. Rücklagen hat er nicht mehr. Die sind während der Corona-Krise draufgegangen. Er erkennt an, dass sich die Bundesregierung Mühe gibt und helfen will. Doch bei den vielen Maßnahmen des letzten Jahres steigt er schon lange nicht mehr durch.
Die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, kann Keliks Sorgen gut verstehen. "Wir sehen, dass durch die hohen Preise die unteren Einkommensgruppen besonders stark belastet werden", sagt sie. Für das Jahr 2023 rechnet sie mit einem Rückgang der Inflation auf 7,4 Prozent, 2024 könnten die Preise weiter sinken. Eine deutliche Entlastung erwartet Schnitzer in zwei Jahren. Für Kelik dauert das zu lange. "In zwei Jahren ist das Schiff nicht mehr vorm Sinken, dann müssen wir uns bemühen, das Wrack zu bergen", so seine pessimistische Prognose.
Spahns Lob und Kritik
Schuld an der Krise sei "der Krieg, der über uns gekommen ist und einen massiven Wohlstandsverlust mit sich gebracht hat", erklärt CDU-Wirtschaftspolitiker Jens Spahn. Schuld sei aber auch die Bundesregierung, die über viel zu viele Themen viel zu lange diskutiert habe. "Wie soll denn da Vertrauen entstehen, wenn Maßnahmen beschlossen werden, bei denen niemand weiß, für wen die überhaupt gelten, und wenn dann noch die Regierung dauernd streitet?", fragt er.
Das lässt natürlich SPD-Chef Lars Klingbeil nicht auf sich sitzen. Die Bundesregierung habe im vergangenen Jahr Fehler gemacht, jedoch seien auch an die 100 Gesetze beschlossen worden. Man habe mehrere 100 Milliarden Euro für die Unterstützung der Bevölkerung in die Hand genommen. "Und wir haben in 200 Tagen den Aufbau von LNG-Terminals geschafft", sagt Klingbeil. Applaus aus dem Publikum - und von Jens Spahn.
"Das muss man anerkennen", sagt er. "Dass es in 200 Tagen in Deutschland klappt, nicht nur eine Idee zu haben, sondern von der Idee über die Planung bis hin zum Bau so was zu machen, hätte keiner gedacht. Als die Bundesregierung pragmatisch gehandelt und alle anderen Fragen zur Seite geschoben hat, da hat es geklappt. Leider hat sie diesen Spirit dann schnell wieder verloren", so Spahn. Einig sind sich die beiden Politiker bei der Forderung, dass auch weitere Projekte wie der Ausbau von Zugtrassen in der gleichen Geschwindigkeit vorangebracht werden müssten.
Schnitzer fordert Reichensoli
Einig sind sich alle Gäste bei "Hart aber fair" in einem Punkt: Die Bürger müssen weiter entlastet werden. Um diese Forderung schnell umzusetzen, könnte die Mehrwertsteuer auf Waren des täglichen Bedarfs für einen bestimmten Zeitraum wegfallen. Das hatte zuletzt Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir von den Grünen gefordert. Doch Klingbeil, Spahn und Schnitzer können dieser Idee nicht viel abgewinnen. Entlastungen müssten zielgerichtet erfolgen. Das könne aber in Deutschland momentan nicht funktionieren.
Darum fordern die Wirtschaftsweisen, diejenigen für eine gewisse Zeit zu belasten, die Entlastungen nicht benötigten. Schnitzer: "Man könnte bei denen, die aktuell den Solidaritätszuschlag noch bezahlen, diesen verdoppeln. Damit könnte der Staat einen zweistelligen Milliardenbetrag einnehmen. Diese Maßnahme könnte man auf ein Jahr begrenzen." Die Mehreinnahmen könnten dann Minderverdienern zugutekommen.
Lars Klingbeil kann der Idee einiges abgewinnen, auch wenn er nicht zustimmen möchte. Aber er verspricht: "Wir müssen über die Finanzierung reden und wir wollen diese Diskussion führen."
Quelle: ntv.de