Politik

Grenzen von Davutoglus Loyalität Entgleitet Erdogan die Türkei?

Davutoglu gilt als treu ergebener Erdogans, als einer seiner engsten Vertrauten.

Davutoglu gilt als treu ergebener Erdogans, als einer seiner engsten Vertrauten.

(Foto: REUTERS)

Erdogan will auch als Präsident die Macht in der Türkei behalten. Sein enger Vertrauter und Ministerpräsident in spe, Davutoglu, wird ihm helfen. Wenn die geplante Einführung eines Präsidialsystems scheitert, ist aber fraglich, ob das so bleibt.

Ist das die Rochade, die es Recep Tayyip Erdogan ermöglicht, all seine Gegner matt zu setzen? Wenn der amtierende Ministerpräsident der Türkei am 28. August das Amt des Staatspräsidenten übernimmt, rückt Ahmet Davutoglu auf die freigewordenden Plätze an den Spitzen der AK-Partei und der Regierung nach. Er ist ein Mann, der als treuer Ergebener Erdogans gilt. Und es gibt keine Zweifel daran, dass er seinem politischem Ziehvater dabei helfen wird, die Türkei in ein Präsidialsystem zu verwandeln um dessen Machtfülle auszudehnen.

Der Türkei-Kenner Yasar Aydin glaubt trotzdem, dass Davutoglus Loyalität Grenzen hat. "In der Türkei erwarten die Menschen, dass Davutoglu in seinem neuen Amt unter dem Einfluss Erdogans stehen wird. Ob das tatsächlich der Fall sein wird, ist aber abzuwarten", sagt der Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik. "Unter gewissen Voraussetzungen kann er sich von Erdogan emanzipieren." Das ist eine erstaunliche These: Denn bei einem Blick auf Davutoglus Biografie entsteht der Eindruck, als könne er gar nicht anders, als Erdogan treu zu dienen.

Eine gemeinsame Vision

Abdullah Gül ist nicht gut auf Erdogan zu sprechen. Er wollte Ministerpräsident der Türkei werden. Erdogan ließ ihn nicht.

Abdullah Gül ist nicht gut auf Erdogan zu sprechen. Er wollte Ministerpräsident der Türkei werden. Erdogan ließ ihn nicht.

(Foto: REUTERS)

Davutoglu kam in der zentralanatolischen Stadt Konya zur Welt, einer Hochburg der religiös-konservativen AKP. Er studierte Politikwissenschaft und schlug eine akademische Laufbahn ein. Als Professor publizierte er das Buch "Stratejik Derinlik" (Strategische Tiefe), in dem sehr deutlich auszumachen ist, dass sich seine Vision der Zukunft der Türkei sehr mit der Vision Erdogans deckt. Es geht um eine Politik, die zwar das historische Band der Türkei zum Westen aufrecht erhält, sich aber durch eine Politik der Akzeptanz unter seinen direkten Nachbarn zu einer Regionalmacht entwickelt. Hinzu kommt der Versuch, mit einer exportorientierten Wirtschaftspolitk neue Absatzmärkte zu erschließen. Dazu kommen nationalistische Töne, die die AKP bewusst anklingen lässt. Davutoglu und Erdogan sind hier ganz auf einer Linie. Im Westen deutet man den neuen Kurs als neo-osmanisch, als eine ideologische Rückbesinnung auf die Zeit des Osmanischen Reiches.

Nach dem Sieg bei den Parlamentswahlen 2002 holte Erdogan sich Davutoglu in seine Regierung - erst als außenpolitischen Chefberater. 2009 ernannte er ihn zum Außenminister. "Davutoglu gilt als loyal, seine Beziehung zu Erdogan ist seit jeher sehr gut", sagt auch Türkei-Kenner Aydin. Doch womöglich gibt es jenseits der Loyalität Zwänge, denen sich Davutoglu nicht entziehen kann.

Gegner in den eigenen Reihen

Laut Aydin hängt die Loyalität Davutoglus eng mit dem Erfolg der Einführung des Präsidialsystems zusammen. Erdogan war elf Jahre lang Ministerpräsident der Türkei. Es ist das einflussreichste Amt in Ankara. Wegen parteiinterner Regeln darf er aber nicht noch einmal kandidieren. Deshalb entschied er sich, ins Amt des Präsidenten zu wechseln und dieses per Verfassungsänderung von einem rein repräsentativen Amt in eines mit exekutiven Vollmachten zu verwandeln.

Voraussetzung dafür, dass dieser Plan gelingt, ist, dass die AKP bei den Parlamentswahlen im nächsten Jahr eine Zwei-Drittel-Mehrheit bekommt. Entweder allein oder in einer Koalition. Doch was geschieht, wenn es nicht zur Zwei-Drittel-Mehrheit kommt? Dann wäre die einzige Möglichkeit für Erdogan, weiterhin Macht auszuüben, seinen Ministerpräsidenten Davutoglu zu einer Marionette zu degradieren. Die Frage ist, ob ihm das gelingt.

"Wenn es gelingt, das Präsidialsystem einzuführen, dann hat Erdogan die Macht", sagt Türkei-Kenner Aydin. "Wenn es nicht gelingt, Davutoglu aber ein gutes Ergebnis bei den Parlamentswahlen einfährt, wird er sich von Erdogan abnabeln."

Eine Persona non Grata

Das mag eine Frage des Stolzes Davutoglus und seiner eigenen Ambitionen sein, vielleicht aber nicht nur das. Erdogan hat sich trotz seiner gewaltigen politischen Erfolge auch Feinde in der eigenen Partei gemacht. Sein autoritärer Kurs, sein Umgang mit dem Grubenunglück von Soma - all das stieß nicht nur bei der türkischen Jugend und in der politischen Opposition auf Verärgerung. Jetzt hat er auch noch den amtierenden Staatspräsidenten und Parteikollegen Abdullah Gül vergrätzt, weil er nicht ihn, sondern Davutoglu als Nachfolger im Ministerpräsidentenamt auserkoren hat. Die Zahl der Gegner Erdogans in der AKP wächst, und sie werden sich womöglich endgültig von Erdogan abwenden, wenn der große Plan scheitert. Und dann könnte auch Davutoglu unter gewaltigen Druck geraden. Zumal seine Stellung in der Partei schon jetzt umstritten ist.

Als Außenminister ist es Davutoglu nicht gelungen, seine Visionen Realität werden zu lassen. Im Gegenteil. Seine Strategie der Freundschaftspolitik mit allen Nachbarstaaten hat die Türkei eben nicht als Regionalmacht etabliert. Arabischer Frühling auf der einen und das Aufkeimen eines neuen Islamismus auf der anderen Seite - weil die Türkei den Zusammenbruch der alten Ordnung im Nahen Osten hingenommen hat, ohne Partei zu ergreifen, haben sich viele Staaten abgewendet. Die Nachrichtenagentur Reuters zitierte kürzlich einen europäischen Diplomaten mit den Worten, Davutoglu sei im Nahen Osten praktisch eine Persona non grata, eine unerwünschte Person.

Lässt sich Davutoglu zur Marionette Erdogans machen, liegt es nahe, dass die Gül-Fraktion und andere kritische Kräfte in der AKP auch diese Schwäche für ihre Zwecke nutzen. Gelingt es nicht, die Türkei in ein Präsidialsystem zu verwandeln, könnte Davutoglu geradezu gezwungen sein, ein starker, unabhängiger Ministerpräsident zu sein.

Laut Aydin versucht Erdogan allerdings schon jetzt, dieses Szenario um jeden Preis zu verhindern. Die AKP befeuert dem Türkei-Kenner zufolge eine Debatte darüber, das Wahlsystem in der Türkei zu ändern. Die Zehn-Prozent-Klausel soll sinken und zugleich sollen die Wahlkreise kleiner werden. Die Chancen, dass diese Reform gelingt, sind gar nicht so gering. "Die Änderung des Wahlsystems ist auch im Sinne der kurdischen Partei HDP", sagt Aydin. "Sie hat dadurch nichts zu verlieren." Im Gegenteil, sie hat sogar etwas zu gewinnen. Bisher scheiterte sie immer wieder an der hohen Sperrklausel. Noch mehr zu gewinnen hat laut Aydin aber die AKP. "Diese Änderungen würden am Ende dazu führen, dass die AKP auch mit 46 oder vielleicht 48 Prozent der Stimmen, eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Sitze im Parlament zusammenbekommt."

Quelle: ntv.de

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