Politik

Nach Berlusconis privatem D-Day Es ist noch nicht vorbei

Der 77-Jährige gibt noch immer den Medien-Kasper.

Der 77-Jährige gibt noch immer den Medien-Kasper.

(Foto: imago stock&people)

Berlusconis Konzept ist so einfach, das verstehen sogar seine Wähler: Weg vom Euro, Schulden machen wie zu Zeiten der Lira, dann wird es schon wieder. Der Mann ist politisch zwar angeschlagen, aber keinesfalls erledigt.

Einige Tausend Anhänger, mit Bussen aus der tiefsten Provinz Italiens vor den römischen Palazzo Grazioli gebracht, sind ihm bis zuletzt treu. "Er hat Bunga-Bunga gemacht?" fragt eine ältere Dame aus Kampanien, "umso besser, das stärkt ihn nur!" Um sie herum lachen sie alle, es sind die Gesichter einfacher Menschen, Bauern, Hausfrauen, kleine Handwerker, sie sprechen Dialekt, können sich kaum auf Italienisch ausdrücken.

Sie sind Berlusconis treues Publikum, der perfekte Durchschnittswähler Berlusconis, wie ihn die Meinungsforscher beschreiben: Über 65 Jahre alt, Bewohner einer südlichen Provinz, höchste Schuldbildung die Grundschule, nach der fünften Klasse abgegangen, großer Konsument der Berlusconi-Fernsehsender. Ein gutes Drittel aller Wähler. Ein Drittel aller Wähler Italiens glaubt wahrhaftig, dass eine gigantische Verschwörung von Richtern, Staatsanwälten, Linken, Kommunisten mit der Unterstützung der Banken, unter Leitung der Deutschen natürlich - auch Angela Merkel darf nicht fehlen - den Sturz Berlusconis seit Jahren vorbereitet hat. Den Richtern glauben sie kein Wort.

Sie glauben nicht, dass ihr geliebter Silvio eine halbe Milliarde Euro an der Steuer vorbei auf Schweizer Konten gebunkert hat, dass er selber diese größte jemals in Italien amtlich festgestellte Steuerhinterziehung höchstpersönlich organisiert hat, obwohl dies Berlusconis eigene Manager, seine engsten Mitarbeiter und alle Dokumente mehr als deutlich belegt haben, in einem Verfahren, welches fast elf Jahre gedauert hat, in dem Berlusconi jede Zeit hatte, sich zu verteidigen. Sie glauben es nicht, weil niemand außer den Lesern spezialisierter Zeitschriften und einiger weniger Fernsehsendungen der RAI wie "Report" zu später Stunde vielleicht einmal im Jahr diese Fakten erläutert haben, weil, um es klipp und klar zu sagen, ein ganzes Volk seit Jahren im Dunkeln gelassen wird über die wichtigsten politischen Vorgänge.

Weil Silvio Berlusconi noch immer der mächtigste Medienunternehmer des Landes ist, Eigentümer der drei größten Privatsender und mit enormem Einfluss im Staatsfernsehen, welches nun wirklich nicht "öffentlich-rechtlich" genannt werden sollte, weil deren Direktoren direkt von der jeweiligen politischen Mehrheit ernannt werden, weil bis hinunter zum Pförtner die Pöstchenverteilung im Staatsfernsehen dem politischen Proporz folgt.

Punkten mit der Europapolitik

Eine Manifestation für den Senatore Berlusconi.

Eine Manifestation für den Senatore Berlusconi.

(Foto: imago stock&people)

Silvio Berlusconi ist politisch auf dem absteigenden Ast, ca va sans dire, aber keinesfalls erledigt. Seine Jubelanhängerschaft wird bei jedem "Event" kleiner, aus immer größerer Ferne müssen die Busse anrollen, Tagegeld und Verpflegung Leuten versprechen, die vielleicht einmal im Leben Neapel gesehen haben, wenn es weit weg war. Doch die 35 Prozent für seine Koalition, die hat er immer noch, sie sind der harte Sockel, auf dem er seine Strategie aufbaut.

Rache, Rache, Rache. Das ist es. Und wo kann er der Regierung Letta und den Verrätern um seinen ehemaligen Vize Angelino Alfano am meisten weh tun? Bei der Europapolitik. Die Lackmusprobe, das werden die Europaparlaments-Wahlen 2014. Alles gegen die Spardiktate aus Brüssel, aus Frankfurt. Alles gegen die Merkel und Deutschland, das undankbare Land, dem wir die teuren Autos abkaufen, das uns aber erdrückt.

Natürlich verliert kein Berlusconi-Anhänger ein Wort darüber, dass die deutsch-italienische Handelsbilanz mittlerweile fast ausgeglichen ist, dass Italiens Wirtschaft gar nicht mehr so viel in Deutschland kauft, dass die EZB im Sommer 2011 Berlusconis Regierung mit dem Kauf von rund 80 Milliarden Euro Staatspapieren vor dem Bankrott rettete, dass Italiens Staatbank über die Target-2-Kreditlinie bei den Banken des Nordens, allen voran die Bundesbank, noch immer mit über 210 Milliarden Euro in der Kreide steht: Kein Wort davon. Man darf die Propaganda ja nicht mit Fakten stören.

Eine Erfolgsbilanz, die keine ist

Regieren kann Berlusconi nicht, das hat er in den neun Jahren an der Macht bewiesen. In seiner Regierungszeit, egal wie groß seine Mehrheit auch war, hat er keine Reform umgesetzt, hat mehr Staatsangestellte eingestellt als seine Mitte-Links-Vorgänger, hat die Staatsausgaben hochgeschraubt, hat insgesamt 535 Milliarden Euro des Schuldenberges Italiens persönlich zu verantworten, immerhin ein Viertel des Ganzen. Er ist also ein schlechter Regierungschef gewesen. Aber in einem ist er der absolut Beste in Italien: im Wahlversprechen machen. Er ist ein formidabler Wahlkämpfer, der nun in Opposition zur Regierung Letta steht und das wird er weidlich nutzen. Die schwache, unentschlossene Regierung Enrico Letta, die es nicht schafft, die Staatsausgaben von 807 Milliarden Euro jährlich auch nur um 2 Prozent zu kürzen, die es nicht schafft, die Neuaufnahme der Schulden unter die magische Drei-Prozent-Grenze zu drücken, deren einziges Instrument immer neue Steuern sind, diese Regierung kann Silvio Berlusconi leichterhand vor sich her treiben, als Sklaven Europas anprangern.

Berlusconis Rezept ist kinderpupueinfach, das versteht sogar sein Publikum: Los vom Euro, Schulden machen wie in den guten alten Zeiten der Lira, dann wird es uns wieder besser gehen - so wie in den 70er Jahren, als seine Wähler noch jung waren. Dass der deutsche Kanzler Helmut Schmidt im August 1974 - inmitten der gloriosen Zeit der Inflation bei 20 Prozent und der frei fluktuierenden Lira - nach Rom kommen musste mit zwei Milliarden Dollar im Geldkoffer, um Italiens Staatsbank vor dem Zahlungsausfall zu retten, das erzählt der Meister aller Märchenerzähler seinen Wählern, allen Italienern, natürlich nicht.

Bloß keine Fakten, die könnten Träume zum Platzen bringen. Und weil viele Italiener, nicht alle, lieber träumen, als sich den harten Realitäten zu stellen, kann Berlusconi, und mit ihm die anderen Anti-Euro-Kämpfer Italiens, durchaus Erfolg haben. Und Italien mit in den Abgrund reißen.

Quelle: ntv.de

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