Krisen-Gipfel zieht Schutzwall hoch Euro-Länder wollen Billion-"Bazooka"
27.10.2011, 01:10 Uhr
Merkel wird von der Presse belagert.
(Foto: AP)
Die Euro-Staaten drängen die Banken zu einem Schuldenschnitt für Athen von mehr als 50 Prozent. Die Banken hatten zuletzt nur 40 Prozent geboten. Parallel zum Gipfel der Euro-Länder einigen sich die EU-Staaten bereits auf die Banken-Rekapitalisierung. Demnach soll das Kernkapital der Banken bis Mitte 2012 auf 9 Prozent steigen. Zudem sind die Chefs der Euro-Länder fest entschlossen, die Schlagkraft des Schutzschirm EFSF zu verstärken. Geplant ist ein Hebel um den Faktor vier auf eine Billion Euro.
Die Euro-Regierungen sind entschlossen, dem Euro-Rettungsschirms EFSF die Möglichkeit zu geben, rund eine Billion Euro für angeschlagene Euro-Staaten zu mobilisieren. In der vorläufigen Erklärung des informellen Euro-Gipfel in Brüssel heißt es, dass das eingesetzte Volumen des Rettungsschirms um ein "Vielfaches" gehebelt werden solle – offenbar um den Faktor vier. Der Bundestag hatte vor Beginn des Gipfels einem solchen Vorgehen zugestimmt.
Da von den 440 Milliarden Euro Kreditsumme nach Abzug der bestehenden Hilfs-Pakete für Irland und Portugal sowie dem absehbaren Bedarf Griechenlands maximal noch 275 Milliarden Euro zum Hebeln frei sind, käme man damit auf ein Volumen von rund einer Billion Euro. Mehrere EU-Regierungen hatten zuvor gefordert, dass der EFSF eine wirkungsvolle "Bazooka" sein müsse, um Spekulationen gegen verschuldete Euro-Staaten abwehren zu können.
Nach dem Ende des regulären EU-Gipfels mit 27 EU-Regierungen hatten am Abend in Brüssel die Beratungen der 17 Euro-Regierungen begonnen, die sich über eine weitere Stärkung des EFSF sowie das Volumen einer Griechenland-Umschuldung verständigen wollten. Zuvor kamen Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy mit der IWF-Chefin Christine Lagarde, EZB-Chef Jean-Claude Trichet, EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso zusammen, um über das weitere Vorgehen zu beraten.
Athens Schulden sollen halbiert werden
Parallel verhandelte Griechenland zusammen mit EU-Finanzexperten mit Bankenvertretern, die einen wesentlich größeren Schuldenschnitt akzeptieren sollen. Merkel hatte als Zielmarke dafür einen Schuldenstand von 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis 2020 genannt. Dazu müssten nach dem Bericht der Troika von EU, EZB und Internationalem Währungsfonds bei öffentlichen Hilfen von 114 Milliarden Euro die privaten Gläubiger auf 50 Prozent ihrer Forderungen aus griechischen Staatsanleihen verzichten. Der erste Plan zum zweiten Rettungspaket vom Juli hatte 109 Milliarden Euro öffentlicher Hilfe und einen Verzicht der Banken von nur 21 Prozent vorgesehen. Die Euro-Chefs werden sich Diplomaten zufolge wahrscheinlich auf die Höhe der öffentlichen Hilfe verständigen, doch der Beitrag der privaten Gläubiger wird wohl offen bleiben.
Erster Schutzwall steht bereits
Beschlossen wurde zudem, wie die Banken abgesichert werden sollen: Sie sollen ihre Kernkapitalquote auf neun Prozent erhöhen. Diese Quote sollen die Banken bis Mitte 2012 erreichen, um sich gegen die Folgen des – bislang noch unbestätigten – Schuldenschnitts zu wappnen. Betroffen sind die Banken, die sich an den europäischen Stresstests beteiligt haben. Sie müssen jetzt beginnen, Kapitalpuffer einzurichten.
Die Rekapitalisierung kann sich zumeist aus privaten Quellen speisen. Falls das nicht gelingt, müssen die Heimatländer der Geldhäuser einspringen. In letzter Konsequenz könnte für Kreditinstitute der Eurozone der Krisenfonds für klamme Eurostaaten EFSF einspringen.
Die Stärkung der Großbanken gehört in ein größeres Paket im Kampf gegen die Euro-Schuldenkrise. Die Europäische Bankenaufsicht EBA schätzt den Kapitalbedarf der Banken auf rund 100 Milliarden Euro, im Gipfel-Beschluss wird keine Zahl genannt. Auf Deutschland entfallen rund sechs Milliarden Euro, auf Frankreich rund 10 Milliarden Euro.
Streit um EZB-Rolle weitgehend beigelegt
Ein Zerwürfnis über die Rolle der Europäischen Zentralbank (EZB) als Co-Krisenmanager der Euro-Staaten schien zumindest nicht mehr zu drohen. Deutschland hatte sich am Wochenende gegen Frankreich durchgesetzt, bei Hebelmodellen für mehr Schlagkraft des Rettungsfonds EFSF die EZB außen vor zu lassen, um deren Unabhängigkeit nicht zu gefährden. Im Entwurf der Abschlusserklärung heißt es trotz des französischen Drängens nur, dass man die EZB dabei unterstütze, die Preisstabilität zu sichern. Auch der Bundestag hatte sich parteiübergreifend mit einer Erklärung gegen weitere Aufkäufe von Anleihen der kriselnden Euro-Länder durch die EZB ausgesprochen.
Zugleich signalisierte der künftige EZB-Präsident Mario Draghi aber Bereitschaft, den Euro-Ländern weiter zu helfen. Die EZB sei entschlossen, unkonventionelle Maßnahmen zu nutzen, um eine Störung der Märkte zu verhindern und sicherzustellen, dass ihre Geldpolitik wirke, sagte er in Rom. Zu diesen Maßnahmen gehören auch die Aufkäufe von Staatsanleihen aus den drei Ländern mit Rettungspaketen - Griechenland, Irland und Portugal - sowie zuletzt auch massiv von spanischen und italienischen Staatspapieren. Die EZB hat so inzwischen 170 Milliarden Euro Staatsschulden in Obhut.
Italien will sich bewegen

Berlusconi freut sich über das Auftauchen der neuen dänischen Regierungschefin Thorning-Schmidt.
(Foto: dpa)
Die Krisenabwehr zielt inzwischen darauf, nach den Worten Merkels einen "Schutzwall" aufzurichten. Die Euro-Länder hatten am Sonntag Druck auf Ministerpräsident Silvio Berlusconi gemacht, neue Reformzusagen abzugeben, um das seit Jahren geringe Wachstum des drittgrößten Euro-Landes zu stärken und den Schuldenberg von 120 Prozent des BIP abzubauen. Berlusconi legte darauf pünktlich zum Gipfelstart einen Brief vor in dem er verspricht, bis zum 15. November einen entsprechenden Plan vorzulegen. Vorgesehen sind demnach Arbeitsmarkt- und Rentenreformen sowie Privatisierungen. Mit weniger Bürokratie und einer modernen Verwaltung sollten die Bedingungen für Unternehmen verbessert werden.
Frankreich senkt Wachstumserwartung
Auch Frankreich will Regierungskreisen zufolge nach dem Euro-Gipfel Sparmaßnahmen verkünden. Während der derzeit dem Parlament vorliegende Haushaltsentwurf für 2012 noch ohne Ausgabenkürzungen auskommt, könne ein überarbeiteter Entwurf Strukturreformen und beträchtliche Einsparungen beinhalten, sagten Vertreter der Regierung und der Regierungspartei. Damit solle auf schlechtere Wirtschaftsaussichten reagiert werden. Die Regierung hat unlängst angedeutet, dass sie nach dem Gipfel ihre Wachstumserwartung für das kommende Jahr von derzeit 1,75 Prozent senken werde. Analysten rechnen nur mit einem Prozent Wachstum.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP