"Alles viel zu langsam" Experte: Bundeswehrreform fehlt das Tempo
24.01.2017, 17:59 Uhr
Die Belastung wächst - die Bundeswehrreform braucht zu viel Zeit.
(Foto: dpa)
Die Aufgaben der Bundeswehr wachsen seit Jahren - doch die Infrastruktur kommt nicht hinterher. Das zumindest sei der Eindruck der Soldaten, sagt deren Anwalt. Kein Wunder, dass die Beschwerden zunehmen.
Der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels fordert deutlich mehr Tempo bei der Bundeswehrreform. "Das Umsteuern hat begonnen. Aber bei den Soldatinnen und Soldaten kommt noch nicht mehr Personal und mehr Ausrüstung an, sondern erstmal mehr Aufträge", kritisierte der SPD-Politiker bei der Vorstellung seines Jahresberichts zum Zustand der Truppe. "Es geht alles viel zu langsam."
Das Tempo der eingeleiteten Trendwende bei Material, Personal und Finanzen müsse deutlich anziehen. "Viele Probleme sind erkannt und anerkannt. Jetzt geht es um Lösungen. Und um Tempo." Die Truppe habe mit wachsender Belastung durch zahlreiche Einsätze zu kämpfen, von der Friedenssicherung in Mali bis zur Russland-Abschreckung im Baltikum. "Nichts davon ist falsch, aber es ist viel." Gleichzeitig müssten die Teilstreitkräfte Personal einsparen für neue Strukturen. Bartels forderte eine "Beschleunigungsinitiative" für alle Reformprojekte. Um die personellen Lücken zu schließen, brauche es 14.300 neue Dienstposten. Geplant seien aber nur zusätzliche 7000 Posten bis 2023. "Das ist Schneckentempo", kritisiert Bartels.
Sieben Jahre für 100 gebrauchte Panzer?
Die Truppe leide zudem nach wie vor an mangelhafter Ausrüstung. Beispiel Kampfpanzer: Die 225 vorhandenen Kampfpanzer sollen um 100 gebrauchte, modernisierungsbedürftige Leopard 2 aufgestockt werden. Der Zeitraum für den Rückkauf beträgt aber sieben Jahre. "Warum dauert das dann so lange?", fragt Bartels. Insgesamt soll die Vollausstattung für derzeitige Aufgaben bis 2030 dauern. Bartels mahnte zudem einen Mentalitätswandel und ein Überdenken bürokratischer Verfahren an. "Business as usual und Dienst nach Vorschrift helfen gerade jetzt nicht mehr weiter."
In seinem Jahresbericht fordert Bartels zudem mehr Geld für die Truppe: Zwar stiegen die Verteidigungsausgaben im Haushalt 2017 um 2,7 Milliarden auf 37 Milliarden Euro Milliarden Euro, allerdings müsse davon auch die anstehende Erhöhung der Gehälter und Pensionen finanziert werden. Bis 2020 solle sich der Verteidigungshaushalt auf dann 39 Milliarden Euro erhöhen. Dieser Zuwachs sei zu gering, um die personellen und materiellen Lücken in der Bundeswehr zu schließen.
Beschwerden auf höchstem Stand seit 1959
Bartels ist "Anwalt der Soldaten" und kümmert sich um Sorgen und Nöte in der Truppe. 2016 hätten ihn trotz gesunkener Personalzahlen deutlich mehr Anliegen aus der Truppe erreicht. Die Zahl der Eingaben erreichte den höchsten Stand seit 1959. Gründe dafür seien die Überlastung, die Flüchtlingshilfe und die Arbeitszeitverordnung der Soldaten. Durch die Teilnahme an Lehrgängen, Fortbildungen und Seminaren an heimatfernen Standorten summierten sich die Abwesenheiten der Soldaten von der Familie, heißt es in dem Bericht.
"Dies spiegelt die Unzufriedenheit in der Bundeswehr", meinte die verteidigungspolitische Sprecherin der Linken, Christine Buchholz. Grund dafür sei die Ausrichtung der Truppe auf den Dauereinsatz in über einem Dutzend Kriegs- und Krisengebieten.
Der Bundesvorsitzende des Bundeswehrverbandes André Wüstner nannte den Bericht schonungslos und tiefgründig wie selten zuvor". Es brauche einen "Bewusstseinswandel innerhalb der Bundesregierung, um schnellstens Lösungen für die Probleme zu entwickeln, die seit zwei Jahren beschrieben und anerkannt sind".
"Ich würde mir wünschen, dass er mit der Ministerin härter ins Gericht geht", sagte die Greünen-Verteidigungsexpertin Agnieszka Brugger. Ressortchefin Ursula von der Leyen fehle eine klare Strategie. Man müsse Ziele klar formulieren. "Deutschland muss nicht bei jedem Militäreinsatz dabei sein, das tun andere Länder ja auch nicht."
Quelle: ntv.de, jwu/dpa/AFP