Sozialer Frieden in Stuttgart FamilienCard wird zum Vorbild
14.08.2010, 14:02 Uhr
Die Stuttgarter sind richtig glücklich über ihre Karte.
(Foto: picture alliance / dpa)
Stuttgart macht es vor. Wird ganz Deutschland es bald nachmachen? Mit der FamilienCard werden sozial schwächer Gestellte gezielt gefördert und am sozialen Leben beteiligt.
Die 35-jährige Stuttgarterin und alleinerziehende Mutter zweier Töchter findet ihre Chipkarte "toll". Und das, obwohl ihr Bargeld eigentlich lieber wäre, "weil ich am besten weiß, was meine Kinder brauchen". Die Schwaben-Metropole bezuschusst der Hartz-IV-Empfängerin und ihren neun und elf Jahre alten Töchtern mit einer sogenannten FamilienCard die Teilhabe an Bildungs-, Kultur- und Freizeitangeboten der Stadt.
Das bereits seit zehn Jahren praktizierte System in Stuttgart funktioniert so gut, dass es zum Vorbild für die geplante "Bildungs-Chipkarte" von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) geworden ist. Sie will damit zusätzliche Leistungen für die Bildung von Hartz-IV-Kindern ermöglichen und eine entsprechende Forderung des Bundesverfassungsgerichts umsetzen.
Auch Mittelstandsfamilien werden unterstützt
Stuttgart verteilt seine freiwilligen Leistungen über zwei Systeme: Anspruch auf die derzeit rund 54.000 ausgegebenen FamilienCards haben Kinder bis 16 Jahren aus Familien mit einem Jahreseinkommen von bis zu 60.000 Euro brutto. Auf den Karten sind jeweils 60 Euro Guthaben gespeichert. Damit kann etwa der Eintritt in Bädern, dem Zoo, Museen oder Theatern bezahlt werden. Stuttgart unterstützt damit auch Kinder aus Mittelstandsfamilien und gab 2009 für die FamilienCard insgesamt rund 3,7 Millionen Euro aus. Rund 240 Einrichtungen akzeptieren sie bereits und bieten den Kindern mittlerweile etwa tausend Angebote vom Theaterkurs bis zum Selbstbehauptungstraining für Mädchen.
Die sogenannten Bonuskarten sind dagegen ausschließlich Hartz-IV-Familien und Haushalten mit geringem Einkommen vorbehalten. Derzeit sind 65.000 Bonuskarten in Stuttgart im Umlauf, darunter 14.000 für Kinder, wie der stellvertretende Sozialamtsleiter Stefan Spatz erläutert. Die Karten ermöglichen ihnen Rabatte für den öffentlichen Nahverkehr und für den Mittagstisch in Schulen, ermäßigten Eintritt in Theatern, Museen oder der Volkshochschule, aber auch den kostenlosen Besuch von Kindertagesstätten, wo es etwa gezielte Sprachförderangebote für Migrantenkinder gibt.
Geldfluss gezielt steuern
"Mit den Karten wird die soziale Teilhabe für einkommensschwache Familien wirklich möglich. Das ist keine Sozialromantik", sagt Vize-Jugendamtsleiter Heinrich Korn und betont: "Wir leben in Stuttgart den sozialen Frieden".
Die von der bayerischen Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) und der Linkspartei geäußerte Kritik, solche Chip-Karten diskriminierten die Betroffenen, weil ihnen Bargeld als Unterstützung verweigert werde, teilt Korn nicht: Einerseits seien Karten als Bezahl- oder Rabattsysteme so weit verbreitet, dass eine weitere überhaupt nicht auffalle und Betroffene damit auch nicht diskriminiert würden. Andererseits fließe Geld in den Familien zunächst immer dorthin, wo es am Nötigsten ist. Das könne die Schuldentilgung sein oder die Reparatur einer Waschmaschine. Mit einer Chip-Karte könne der Geldfluss dagegen gezielt gesteuert werden, sagt er.
Technisch beste Lösung
Spatz stimmt dem zu: Falls sich von der Leyen für Sach- statt Barleistungen entscheidet, sei eine Chip-Karte technisch die beste Lösung. Die Kommunen könnten dann die Bundesmittel für die insgesamt 1,7 Millionen Hartz-IV-Kinder direkt auf die Karten hochladen und dabei in mehrere "Geld-Börsen" aufteilen, wie etwa Kosten für den Nachhilfeunterricht, für Sport, Kultur oder Sonstiges.
Die 35-jährige alleinerziehende Stuttgarterin, die ihren Namen lieber nicht nennen will, könnte sich mit einem solchen bundesweiten System durchaus anfreunden. Hauptsache sei, dass "irgendwas kommt und zwar schnell". Ihre ältere Tochter, die das Gymnasium besucht, träumt von einem Schüleraustausch, und die Jüngere würde die Mutter gerne ebenfalls aufs Gymnasium schicken. "Ohne zusätzliche Hilfe kann ich mir aber beides nicht leisten", sagt sie.
Quelle: ntv.de, Jürgen Oeder, AFP