Stichwahl ums Präsidentenamt Fico wird die Demokratie in der Slowakei weiter angreifen
06.04.2024, 07:17 Uhr Artikel anhören
Der eine kommt von rechts, der andere von links, gemeinsam haben sie die Abneigung gegen den Westen und die Europäische Union: Viktor Orbán und Robert Fico.
(Foto: IMAGO/Xinhua)
In der Slowakei findet an diesem Samstag die Stichwahl um das Amt des Präsidenten statt. Viel Macht hat das Staatsoberhaupt nicht, aber von der Wahl geht ein Signal aus. Doch egal, wie sie ausgeht: Für Optimismus besteht kein Anlass.
Wenn 100 Tage generell als Indikator dafür herhalten, welche Richtung eine neue Regierung nehmen wird, so liegt im Falle der Regierung Robert Ficos in der Slowakei rund 200 Tage nach den Wahlen eine detaillierte Landkarte vor: Kaum im Amt, startete der Parteivorsitzende der - inzwischen stark populistisch-nationalistisch agierenden - SMER-Sozialdemokratie eine hochumstrittene Justizreform, von deren Strafmilderungen und Amnestieregelungen in erster Linie Akteure in seinem Umfeld profitieren. Innerhalb kürzester Zeit gingen Zehntausende auf die Straßen, schloss sich die Opposition aus Liberalen und Konservativen zusammen, um wochenlang für den Rechtstaat zu demonstrieren. Auch das Europäische Parlament äußerte sich kritisch zur Reform.
Nahezu zeitgleich löste Fico die Sonderstaatsanwaltschaft zur Korruptionsbekämpfung auf, die auch seine vorherigen Amtszeiten durchleuchtete. Es würde kaum jemanden überraschen, wenn die erfahrenen und spezialisierten Staatsanwälte nun auf irrelevante Posten in verschiedenen Behörden zerstreut werden - auch das ein herber Schlag für die Rechtsstaatlichkeit. Weiter führt der Weg zu den Medien, präziser: deren Unabhängigkeit. Auf die Frage, was Fico von der starken Verbreitung von Desinformation in der Slowakei halte, wetterte der 59-Jährige allzu oft gegen die Medien, auch die öffentlich-rechtliche RTVS, als Quelle westlich-liberaler Indoktrination gegen slowakische Interessen.
In diesem Sinne konsequent macht sich der Premier an die Umstrukturierung - aus der Sicht der Opposition: Abschaffung - der öffentlich-rechtlichen Medien. Ein Vorgehen, das man von anderen populistischen Regierungen auf der anderen Seite des politischen Spektrums bestens kennt, aus Ungarn etwa oder aus Polen.
Selbst Tschechien distanziert sich von der Slowakei
Auch außenpolitisch hat die Regierung einen bemerkenswerten Weg hinter sich gebracht: EU und NATO haben die Slowakei unter Fico bereits mit einem Fragezeichen versehen. Selbst der "Bruderstaat" Tschechien reagiert: Bis auf Weiteres hat Prag die gemeinsamen Regierungskonsultationen eingestellt, die während einer vorherigen Amtszeit Ficos eingeführt worden waren. Man könne nicht an einem Tisch mit jemandem sitzen, der die gemeinsamen Werte innerhalb der EU und NATO derart erschüttere, so der tschechische Premier Petr Fiala.
Dass das Treffen des slowakischen Außenministers Juraj Blanar mit dem unter Sanktion stehenden russischen Außenminister Sergej Lawrow während des Antalya-Forums Anfang März derartige Wellen schlagen würde, hatte Fico entweder einkalkuliert oder überspielt. Man lasse sich nichts vorschreiben, seine Regierung vertrete eine starke slowakische Außenpolitik in alle Himmelsrichtungen, so Robert Fico nach der Ankündigung aus Prag.
"Um sich gut zu orientieren, müsse man schon wissen, wo Norden liegt", kommentiert dies der von der Opposition gestützte Präsidentschaftskandidat und ehemalige Diplomat Ivan Korčok. Er tritt an diesem Samstag in der entscheidenden Wahlrunde gegen Peter Pellegrini, Parlamentspräsident und Vorsitzender der zweitgrößten Regierungspartei HLAS-Sozialdemokratie, an, die zusammen mit der SMER regiert. Die erste Runde konnte Korčok überraschend deutlich gewinnen und mobilisierte dabei viele Wählerinnen und Wähler, die im Präsidenten das einzige mögliche Gegengewicht zur Fico-Regierung sehen. Denn die Slowakei hat keine erste Kammer, keinen Senat oder ähnliches als Balance zum Parlament. So stand in den vergangenen fünf Jahren die durchaus beliebte, aber von vielen persönlichen Attacken weit unter der Gürtellinie gezeichnete Staatspräsidentin Zuzana Čaputová starken Premiers wie Robert Fico oder Igor Matovič gegenüber. Allzu oft alleine gelassen, tritt sie nicht erneut an.
Entscheiden am Ende Stimmen aus dem Lager der Nationalisten und Desinformanten?
Korčok möchte das proeuropäische und prowestliche Gesicht der Slowakei erhalten, als direkt gewählter Präsident hätte er eine wichtige Stimme im Kampf gegen Desinformation und das aggressive Narrativ Ficos. Zugleich verträte er das Land nach außen, insbesondere innerhalb der NATO. Sein Kompass zeigt klar nach Westen. Doch auch er sieht sich Attacken und Desinformation ausgesetzt: Er werde slowakische Soldaten in die Ukraine senden, das Land in den Krieg führen, er würde nationale Interessen auf westlichen Druck hin verraten, heißt es aus dem linkspopulistischen Regierungslager. Dennoch konnte er überraschend auch in ländlichen Regionen gewinnen. Die Slowaken, so Korčok, würden spüren, dass es um den Erhalt von Demokratie und Freiheit gehe. In der Tat kamen mit 51 Prozent der Wahlberechtigten die meisten Menschen seit fast 20 Jahren zu den Urnen der Direktwahl.
Peter Pellegrini, einst Parteifreund in Ficos SMER, äußert sich dagegen kaum zu den harten Angriffen auf die slowakische Demokratie. Nach den Parlamentswahlen im Herbst als Königsmacher positioniert, entschied sich der 48-Jährige schnell dafür, mit Robert Fico und der von Desinformanten und Verschwörungstheoretikern durchsiebten Slowakischen Nationalpartei (SNS) in eine Koalition einzutreten - um, so betonte Pellegrini, ein Gegengewicht zu Fico und ein Bollwerk für Demokratie und Rechtstaat in der Regierung zu sein.
Davon ist aber nichts zu sehen. Seine entsprechende Glaubwürdigkeit hat der eigentlich als proeuropäisch und gemäßigt geltende HLAS-Parteichef eingebüßt. Dass er nun, von der Niederlage in der ersten Runde überrascht, die Wählerinnen und Wähler des prorussischen Ultra-Nationalisten Štefan Harabin ("Als Präsident wäre meine erste Reise nach Moskau!") mit allerlei Schreckensnachrichten und Warnungen anspricht, könnte ihm zwar einige Stimmen bringen, aber zugleich Sympathien seiner prowestlichen HLAS-Wähler kosten. Diese wiederum spricht aktuell Korčok proaktiv an. Die zweite Runde am kommenden Samstag, so gehen alle Beobachter aus, wird in jedem Falle eine sehr knappe Angelegenheit.
Fico gewinnt so oder so
Robert Fico befindet sich aktuell in einer insgesamt komfortablen Lage: Er ist Premier, seine Erzfeindin Čaputová musste ihn nicht nur ernennen, sondern tritt nicht mehr an; und Pellegrini und Korčok machen den nächsten Präsidenten unter sich aus. Mit beiden könnte Fico gut leben. Bisher fällt Ficos Unterstützung für Pellegrini eher lauwarm aus. Vielleicht nicht überraschend, denn wie ein Pellegrini als Präsident der Regierung manchen Weg ebnen würde, würde ein Korčok als Präsident Fico-Plänen nur aufschiebend entgegentreten, wirklich verhindern könnte er wenig. Das hat bereits Čaputová erfahren müssen.
Ein geschlagener Pellegrini wiederum wäre politisch stark geschwächt und ein gefundenes Fressen für den strategischen Fuchs Fico, ein siegender, prowestlicher Korčok als Präsident zugleich ein gerne attackiertes Ziel. In jedem Falle wird Robert Fico die Demokratie und den Rechtsstaat in der Slowakei weiter angreifen. Und das ist langfristig für Europa und den Westen ein größeres Problem als die ein oder andere Entscheidung im Rahmen der EU oder der NATO - wo Fico, schlau wie er ist, zumindest bisher mehr tobt als schadet. Zuhause aber macht er schon heute beides.
Der Autor: Tomislav Delinić leitet seit September 2020 die Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tschechien und der Slowakei.
Quelle: ntv.de