NSU-Ausschuss will weiter prüfen Friedrich ernennt Sonderermittler
05.07.2012, 02:05 Uhr
Hans-Peter Friedrich schickt den Ermittler nach Köln.
(Foto: picture alliance / dpa)
Der Verfassungsschutz steht wegen der NSU-Affäre unter Druck. Bundesinnenminister Friedrich schickt nun einen Mitarbeiter in die Zentrale der Behörde nach Köln - als Sonderermittler. Die Begutachtung der Akten über die Gruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" führt bislang nicht zu neuen Vorwürfen. Doch viele Fragen sind noch ungeklärt.
Nach den Ermittlungspannen im Fall der NSU-Mordserie hat Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) einem Medienbericht zufolge einen Sonderermittler in der NSU-Akten-Affäre ernannt. Die Aufgabe solle der Unterabteilungsleiter Verfassungsschutz in der Abteilung III Öffentliche Sicherheit des Innenministeriums, Hans-Georg Engelke, übernehmen, berichtete die "Bild"-Zeitung unter Berufung auf das Bundesinnenministerium.
Engelke soll demnach aufklären, wie es beim Verfassungsschutz zur Vernichtung wichtiger Dokumente kommen konnte. Engelke werde seine Arbeit Mitte kommender Woche in der Kölner Zentrale des Verfassungsschutzes aufnehmen, hieß es.
Verfassungsschutz entlastet?
Zuvor hatte die Offenlegung von Geheimakten zur Neonazi-Affäre das Bundesamt für Verfassungsschutz teilweise entlastet. Die Unterlagen ergaben keine Hinweise darauf, dass der Inlandsgeheimdienst V-Leute in der Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) oder ihrem direkten Umfeld geführt hat. Das erklärten die Obleute des Bundestags-Untersuchungsausschusses nach Einsicht in insgesamt 45 Aktenordner übereinstimmend. Trotzdem bleibt die Behörde unter Druck. Der Ruf nach einer Verfassungsschutzreform wird immer lauter. Grüne und Linke brachten sogar eine Auflösung des Bundesamts ins Gespräch.
Bei der Akteneinsicht bekamen die Abgeordneten erstmals echte Namen von V-Leuten des Verfassungsschutzes zu sehen. Das Bundesamt hatte in den Jahren 1997 bis 2003 Verbindungs-Leute im Umfeld der Neonazi-Gruppe Thüringer Heimatschutz im Einsatz. "Keiner dieser acht V-Leute hat etwas mit den Personen zu tun, gegen die ermittelt wird", sagte Unionsobmann Clemens Binninger (CDU) nach der Akteneinsicht. "Insofern ist Vertrauen wiederhergestellt." SPD-Obfrau Eva Högl sprach von einem "wichtigen Beitrag, um Verschwörungstheorien den Boden zu entziehen".
Noch kein vernünftiges Gesamtbild
Grünen-Obmann Wolfgang Wieland schränkte allerdings ein: "Das Schreddern (der Akten) ist damit nicht geheilt." Verfassungsschützer hatten im November 2011 Akten zerschnitten, nachdem die Terrorgruppe NSU aufgeflogen war, die für zehn Morde in den Jahren 2000 bis 2006 verantwortlich gemacht wird. Einen Teil der rekonstruierten Unterlagen konnten die Mitglieder des Untersuchungsausschusses nun einsehen. "Vollständige Entwarnung kann ich noch nicht geben", sagte Wieland. Zu klären sei etwa, ob der Verfassungsschutz möglicherweise Quellen im Umfeld der NSU geführt habe, die nie in Akten dokumentiert worden seien. Dies müsse der scheidende Verfassungsschutzchef Heinz Fromm bei seiner Aussage vor dem Ausschuss am Donnerstag klären. Ähnlich äußerte sich die Linken-Obfrau Petra Pau. FDP-Obmann Hartfrid Wolff sagte, er habe nach der eintägigen Akteneinsicht "noch kein vernünftiges Gesamtbild". Für eine "vertiefte Beschäftigung" mit dem Material in den rund 45 Aktenordnern habe die Zeit gefehlt. Die Mitglieder des Ausschusses wollten deshalb erneut Einsicht nehmen. Parteiübergreifend kritisierten die Ausschussmitglieder, dass der Verfassungsschutz ihnen nicht schon längst Zugang zu den Dokumenten gewährt habe.
Die Parlamentarier sahen auch jene Akten ein, die im November 2011 beim Verfassungsschutz vernichtet und nun aus anderen Quellen weitgehend rekonstruiert wurden. Mit der Rekonstruktion zeigten sie sich zufrieden. Die vernichteten Akten hätten sich auf sieben der acht V-Leute bezogen, die im Rahmen der "Operation Rennsteig" angeworben worden seien, sagte Ausschusschef Sebastian Edathy. In der vergangenen Woche war bekannt geworden, dass die Akten im November 2011 beim Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz kurz nach der Aufdeckung der NSU-Mordserie vernichtet worden waren. Behördenchef Fromm verzichtet deshalb vorzeitig auf sein Amt.
Auch die geheimen Akten des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) zur Neonazi-Affäre werden für den Untersuchungsausschuss offengelegt. Das kündigte das Verteidigungsministerium an.
Wird der Verfassungsschutz noch gebraucht?
Die Diskussion über die Zukunft des Verfassungsschutzes läuft unterdessen weiter. Grünen-Chefin Claudia Roth sagte der "Frankfurter Rundschau", wer wie das Bundesamt geheime Akten vernichte, lege die "Axt an die eigene Legitimationsbasis". Nach dem Rückzug von Präsident Fromm stehe nun "das ganze Konstrukt der Behörden vor der politischen Insolvenz". Der Verfassungsschutz habe sich "zum blinden Fleck der Demokratie" entwickelt. Im Zweifel dürfe die Politik "nicht davor zurückschrecken, den Systemfehler, der beim Verfassungsschutz sichtbar wird, konsequent zu korrigieren". Die Linke-Vorsitzende Katja Kipping plädierte für eine Abschaffung des Verfassungsschutzes, der auch ihre Partei beobachtet. "Wenn man etwas für die Sicherheit tun will, dann sollte man das Geld lieber für eine ordentliche Mittel- und Personalausstattung der Polizei einsetzen", sagte sie dem Radiosender hr-info.
Der Innenausschuss-Vorsitzende Wolfgang Bosbach (CDU) hält den Verfassungsschutz dagegen trotz der Pannen für unverzichtbar. "Gerade die Ereignisse der letzten Monate haben ja gezeigt, wie wichtig die Arbeit und die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes sind", sagte er dem Fernsehsender Phoenix. Allerdings sei die Arbeit der Behörde verbesserungswürdig. Der richtige Zeitpunkt, über organisatorische und möglicherweise personelle Veränderungen nachzudenken, sei der Abschluss der Ermittlungen zur Neonazi-Mordserie im Spätherbst.
Die Türkische Gemeinde in Deutschland forderte weitere personelle Konsequenzen. Dem Chef des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, legte der Vorsitzende Kenan Kolat den Rücktritt nahe.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP