Linke unter Beobachtung Friedrich will Liste überprüfen
25.01.2012, 14:33 Uhr
Innenminister Friedrich steht unter Druck: Die Überwachung der Linken ist auch in der Koalition hoch umstritten.
(Foto: dapd)
Innenminister Friedrich will die Liste der 27 Linken-Abgeordneten, die vom Verfassungschutz beobachtet werden, prüfen lassen. Vor allem die Beobachtung von Bundestagsvizepräsidentin Pau und dem Abgeordneten Bockhahn wird von Experten und Politikern scharf kritisiert. Denn beide wurden mit Kanzlermehrheit in ihre Ämter gewählt.
Der Streit um die Beobachtung von 27 Bundestagsabgeordneten der Linken schlägt weiter hohe Wellen. Nach tagelanger Debatte, die auch in der schwarz-gelben Koalition kontrovers geführt wurde, will Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich nun die umstrittene Liste der 27 beobachteten Abgeordneten überprüfen lassen.
Kriterien für eine Beobachtung von Parlamentariern der Linken sei, dass sie entweder eine herausgehobene Funktion hätten oder Mitglied einer offen extremistischen Teilvereinigung seien, sagte der CSU-Politiker. Anhand dieser Kriterien werde die Liste des Verfassungsschutzes überprüft.
Das Bundesverwaltungsgericht habe im Juli 2010 Kriterien für eine Überwachung aufgelistet, sagte Friedrich. "Ich bin der Auffassung, dass diese Kriterien vor allem im Hinblick auf Abgeordnete sehr restriktiv ausgelegt werden müssen."
Vor allem Ostdeutsche auf der Liste
Laut "Spiegel" werden folgende Abgeordnete derLinkspartei vom Verfassungsschutz beobachtet:
Fraktionsvize DietmarBartsch; der Rentenpolitiker MatthiasW. Birkwald; die friedenspolitische Sprecherin Christine Buchholz; SteffenBockhahn, Mitglied im Haushaltsausschuss und im Vertrauensgremium nach § 10;die Vorsitzende des Umweltausschusses EvaBulling-Schröter; die Gesundheitspolitikerin Martina Bunge; Roland Claus,Mitglied im Haushaltsausschuss; der europapolitische Sprecher Diether Dehm; die ParlamentarischeGeschäftsführerin Dagmar Enkelmann;der Außenpolitiker Wolfgang Gehrcke ;die Bildungspolitikerin Nicole Gohlke;Fraktionschef Gregor Gysi; Ulla Jelpke, Mitglied des Innenausschusses;Parteivize Katja Kipping, Vorsitzendedes Ausschusses für Arbeit und Soziales; HaraldKoch, Finanzausschuss; Jan Korte,Innenausschuss; Katrin Kunert, Sportausschuss;Michael Leutert, Haushaltsausschuss;die gewerkschaftspolitische Sprecherin UllaLötzer; Parteichefin Gesine Lötzsch;die Parlamentarische Geschäftsführerin DorothéeMenzner; Petra Pau, Vizepräsidentindes Deutschen Bundestages; Paul Schäfer,Mitglied des Verteidigungsausschusses; IljaSeifert, behinderten- und tourismuspolitischer Sprecher; Kersten Steinke, Vorsitzende des Petitionsausschusses;Fraktionsvize Sahra Wagenknecht;Parteivize Halina Wawzyniak,stellvertretende Vorsitzende des Rechtsausschusses.
Vor drei Tagen war bekannt geworden, dass der Verfassungsschutz 27 Bundestagsabgeordnete der Linkspartei beobachtet, also öffentlich zugängliche Äußerungen von ihnen auswertet. Seltsamerweise stehen auf der Liste des Geheimdienstes fast ausschließlich Politiker aus Ostdeutschland, die dem Reformerflügel ihrer Partei angehören, darunter Fraktionschef Gregor Gysi, Parteichefin Gesine Lötzsch und ihre Stellvertreterinnen Katja Kipping und Halina Wawzyniak.
Zwei Sonderfälle: Pau und Bockhahn
Dass auch Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau vom Verfassungsschutz beobachtet wird, ist aus Sicht von Experten hoch problematisch. Der Staatsrechtler Ulrich Battis, der die Beobachtung der Linkspartei grundsätzlich in Ordnung findet, sagte n-tv.de, man könne nicht Abgeordnete überwachen, die vom Bundestag insgesamt in ein Amt gewählt worden seien. "Das geht nicht."
Neben Pau gilt dies auch für den Abgeordneten Steffen Bockhahn, der die Linke im sogenannten Vertrauensgremium des Bundestags vertritt. Dieser Ausschuss überwacht die Finanzen der Geheimdienste. Wie Pau wurde Bockhahn von der Mehrheit der Abgeordneten - der sogenannten Kanzlermehrheit - in sein Amt gewählt. "Wenn das Bundesamt für den Verfassungsschutz trotzdem meint, uns überwachen zu müssen, dann wirft das Fragen auf", sagte Bockhahn n-tv.de.
"Sehr triftige Gründe"
Bockhahn sagte weiter, er gehe davon aus, "dass das Bundesamt für den Verfassungsschutz sehr triftige Gründe hat, mich zu beobachten. Alles andere würde bedeuten, dass der Verfassungsschutz sich nicht an das geltende Recht hält." Er fügte allerdings hinzu: "Mir konnten bisher keine Gründe genannt werden, warum es Sinn machen soll, mich oder meine 26 Kollegen zu überwachen."
Einen Vergleich zwischen dem Verfassungsschutz und der DDR-Staatssicherheit zu ziehen, lehnte Bockhahn ausdrücklich ab. "In der Bundesrepublik gibt es die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste, und die gab es beim DDR-Ministerium für Staatssicherheit zweifelsfrei nicht."
Staatsrechtler Battis hält es zudem für "unzulässig", wenn Abgeordnete über die Beobachtung hinaus auch überwacht - also mit nachrichtendienstlichen Mitteln bespitzelt - würden. Innenminister Friedrich bekräftigte am Mittwoch, dass der Verfassungsschutz die 27 Abgeordneten nur beobachte. Diese Angabe wies Pau zurück.
Pau: Linke wird auch bespitzelt
"Wenn Bundesinnenminister Friedrich behauptet, die Linke werde lediglich beobachtet und nicht observiert, dann irrt er", sagte Pau der "Welt". Sie habe es "Schwarz auf Weiß" in ihrer Verfassungsschutzakte, dass gegen sie nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt worden seien.
Pau hatte im Mai 2009 Einsicht in ihre Akte bekommen, zahlreiche Eintragungen waren ihren Angaben zufolge geschwärzt. Im Begleitschreiben des Bundesinnenministeriums seien die Schwärzungen unter anderem damit begründet worden, dass es sich dabei um "auf nachrichtendienstlichem Wege" erlangte Informationen handele, sagte Pau. Nachrichtendienstliche Methoden schließen beispielsweise das Abhören von Telefonen ein.
Zuvor hatte bereits Linken-Fraktionschef Gysi dem Verfassungsschutz vorgeworfen, ihn auch mit geheimdienstlichen Methoden überwacht zu haben. "Die lügen, die arbeiten auch mit geheimdienstlichen Methoden", sagte er am Montag.
Lammert hält Beobachtung für übertrieben
Politiker aller Fraktionen hatten die Überwachung kritisiert, verteidigt wird sie nur von Unionspolitikern. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) sagte, die Beobachtung sei "rechtlich zulässig", der Umfang scheine ihm jedoch "unverhältnismäßig und insofern übertrieben". Dagegen forderte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt die flächendeckende Überwachung der Linkspartei.
FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle sagte, die große Zahl der betroffenen 27 Abgeordneten führe dazu, dass man durchaus an der Verhältnismäßigkeit zweifeln könne. Er halte es für abwegig zu glauben, dass ein Drittel der Linke-Fraktion verfassungsgefährdende Tätigkeiten ausübe. "Insofern ist das eine Frage des Maßes."
Auch Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hatte sich über die Tätigkeit des Verfassungsschutzes empört. Innenminister Friedrich sagte dazu, er werde seiner Kabinettskollegin das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes übersenden. Darin sei genau dargelegt, warum die Linke beobachtet werde und unter welchen Voraussetzungen die Beobachtung eines Abgeordneten möglich sei. Die Bundestagsfraktion der Linken klagt derzeit vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Ein Urteil wird im Laufe des Jahres erwartet.
"Gysi allenfalls Salon-Bolschewist"
Mit der Beobachtung der Linken-Abgeordneten befasst sich heute auch das für die Geheimdienste zuständige Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags. Dessen stellvertretender Vorsitzender, der SPD-Politiker Thomas Oppermann, forderte den Verfassungsschutz auf, die Kriterien für die Beobachtung der Linken darzulegen.
"Wenn Abgeordnete beobachtet werden, gilt ein strenger Maßstab und das Gebot der Verhältnismäßigkeit", sagte Oppermann. Es scheine so zu sein, "dass besonders Realpolitiker der Linken beobachtet worden sind". Da gebe es "Erklärungsbedarf".
Mit Blick auf Linken-Fraktionschef Gysi sagte Oppermann: "Gregor Gysi ist doch kein Staatsfeind, das ist allenfalls ein Salon-Bolschewist". Oppermann betonte, man könne bei der Begründung für Beobachtungen die Linke nicht auf eine Stufe mit der NPD stellen.
"Vergleich mit NPD ist unverschämt"
Den Vergleich mit der NPD, den Innenminister Friedrich gezogen hatte, nannte Gysi "eine einzige Unverschämtheit". Friedrich hatte gesagt, wenn die Beobachtung der Linken nicht mehr akzeptiert würde, dann dürften auch Parlamentarier der NPD nicht mehr beobachtet werden.
Niedersachsen gibt Spitzelei zu
Am Mittwoch wurde zudem bekannt, dass der niedersächsische Verfassungsschutz acht der zehn Landtagsabgeordneten überwacht. Dazu würden auch "nachrichtendienstliche Mittel" eingesetzt, sagte der Präsident des Landesamtes, Hans Wargel. "Wir beobachten aber nicht zielgerichtet einzelne Abgeordnete", fügte er hinzu. So würden beispielsweise nicht die Telefone der Parlamentarier abgehört. Indirekt bestätigte der Verfassungsschutzpräsident, dass im Umfeld der Fraktion auch V-Leute eingesetzt würden.
Die Namen der erfassten Parlamentarier nannte Wargel aus "datenschutzrechtlichen Gründen" nicht. Am Vortag hatte Fraktionschefin Kreszentia Flauger gegenüber Medien erklärt, dass der Verfassungsschutz ihr auf Anfrage mitgeteilt habe, keine Daten über sie gespeichert zu haben. Als offenes Geheimnis in Hannover gilt, dass die fraktionslose Abgeordnete Christel Wegner unter Beobachtung steht. Das DKP-Mitglied war 2008 auf der Linken-Liste in den Landtag gekommen. Nach verherrlichenden Äußerungen über die DDR und die Berliner Mauer wurde sie aber aus der Fraktion ausgeschlossen.
Quelle: ntv.de, hvo/dpa/AFP/rts