Wer regiert Deutschland? Fünf Gründe für Schwarz-Grün
06.08.2013, 11:11 Uhr
Man siezt sich, aber man versteht sich: Angela Merkel mit den Grünen Jürgen Trittin und Renate Künast.
(Foto: picture alliance / dpa)
Auf den ersten Blick ist ein Bündnis von Union und Grünen kaum vorstellbar. Auf den zweiten Blick jedoch ist es die perfekte Koalition: Schwarz-Grün würde die Sehnsucht der Deutschen nach Harmonie befriedigen und das Land zugleich aus der Lethargie reißen. Denn Schwarz-Grün kann die alte Leidenschaft in der Kanzlerin wieder erwecken.
Die Parteien inszenieren einen Lagerwahlkampf, doch am Ende dürfte es weder für Rot-Grün noch für Schwarz-Gelb reichen. Die beste Lösung wäre ohnehin eine Koalition aus Union und Grünen: Sie sind wie für einander geschaffen.
Grund 1: Weil Bremser und Drängler gut zusammen passen
Unionspolitiker bezeichnen die Grünen gern als "Dagegen-Partei", die Grünen stellen CDU und CSU mit Vorliebe als Ewiggestrige dar. Tatsächlich sind die Grünen jedoch eine Partei, die zu Forderungen nach radikalen Veränderungen neigt - die Energiewende (damals hieß das noch Atomausstieg) haben die Grünen beispielsweise als erste gefordert.
Das grüne Urteil über die Union ist ebenso falsch: Das Bremsen ist bei der CDU/CSU keine Frage von konservativen Grundsätzen, sondern ganz pragmatisch eine Frage der gesellschaftlichen Akzeptanz. Erst wenn die Mehrheit ihrer Wähler kein Problem mehr mit berufstätigen Müttern hat, setzt sich die Union für Kita-Plätze ein. Nicht erst seit Angela Merkel passt die Union ihre Inhalte immer wieder an die neuen Zeiten an.
Funktionierende Gesellschaften brauchen beides, Bremser und Drängler. Was nach einem Gegensatz klingt, ist in Wahrheit eine ideale Ergänzung. Beispiel Homo-Ehe: Die Grünen fordern die radikale Gleichstellung zur traditionellen Ehe. Innerhalb der CDU ist diese Position wohl (noch) nicht mehrheitsfähig. Für einzelne Aspekte, etwa die steuerliche Gleichstellung, dürfte das allerdings sehr wohl gelten. Diesen Fortschritt würde es ohne Drängler wie den Grünen-Politiker Volker Beck nicht geben. Nun kommen die Bremser ins Spiel. Sie bremsen nicht nur, sie können besser als die Drängler für breite Akzeptanz sorgen. Wer verhindern will, dass wie in Frankreich radikale Gruppen gegen die Homo-Ehe mobil machen, sollte die Union ins Boot holen. Das dauert zwar länger, ist aber nachhaltiger.
Grund 2: Weil Nachhaltigkeit grün und konservativ ist
Apropos nachhaltig. "Das Prinzip der Nachhaltigkeit ist fester Bestandteil unserer Politik", heißt es im Wahlprogramm - nein, nicht der Grünen, sondern von CDU und CSU. "Wir wollen unseren Nachkommen eine Welt bewahren und hinterlassen, die auch morgen noch lebenswert ist." Die Union definiert Nachhaltigkeit christlich und konservativ. "Nachhaltig" sollen bei ihr nicht nur die Umweltpolitik sein, sondern auch der Haushalt, das Wachstum und die Mobilität.
Das ist bei den Grünen nicht anders. Sie fordern, das Wirtschaftswachstum und den Umweltverbrauch zu entkoppeln. Ihnen geht das Erreichte nicht weit genug. Die Union ist mit der Bilanz dagegen ganz zufrieden: "Ganz entscheidend für ökologische Nachhaltigkeit ist, dass bereits eine deutliche Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch gelungen ist." Diese Differenz ist alles andere als unüberbrückbar. Zugegeben: Ähnliche Passagen gibt es auch im Wahlprogramm der SPD. Aber um die geht es hier ja nicht.
Grund 3: Weil die Steuerkonzepte zusammenpassen
Wenn Unionspolitiker derzeit über die Grünen sprechen, betonen sie deren "Linksruck" in der Steuerpolitik. "Mit ihren Steuererhöhungsplänen haben sie einen für unsere Arbeitsplätze sehr gefährlichen Kurs eingeschlagen", sagte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe im Interview mit n-tv.de über SPD und Grüne. "In der Steuer- und der Sozialpolitik stehen die Grünen mittlerweile noch weiter links als die SPD."
Das klingt nach einem echten Ausschlusskriterium. Experten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) haben jedoch errechnet, dass die Steuerkonzepte von Schwarz-Gelb einerseits und Rot-Grün sehr wohl zusammen passen. Es biete sich an, "die Steuerpläne der Regierungs- und Oppositionsparteien zu verbinden", schreiben sie. Das könnte so aussehen: "Entlastung der kleinen und mittleren Einkommen durch eine deutlich verringerte Progression im Eingangsbereich des Steuertarifs, kombiniert mit einer Erhöhung der Spitzensteuersätze in Richtung 49 Prozent und einer höheren Besteuerung von Kapitaleinkünften." Geringe und mittlere Einkommen würden entlastet, nur die einkommensreichsten fünf Prozent müssten mehr zahlen.
Grund 4: Weil die alten Feindbilder ausgedient haben
Noch vor wenigen Jahren reichte die Nennung des Namens "Claudia Roth", um ein Publikum aus CDU- oder CSU-Mitgliedern in hemmungsloses Johlen ausbrechen zu lassen. Ähnliches galt bei den Grünen für die Erwähnung von "Edmund Stoiber" und "Roland Koch".
Doch die alten Feindbilder funktionieren nicht mehr, die gegenseitige Abneigung ist längst als das erkennbar, was sie eigentlich schon immer war: Polit-Folklore. Im echten Leben ist Grünen-Chefin Roth mit dem früheren CSU-Ministerpräsidenten Günther Beckstein befreundet, und viele Wähler und Mitglieder der Grünen haben Sympathien für die unaufgeregte Art der Bundeskanzlerin. Die grundsätzlichen Unvereinbarkeiten aus der Zeit der alten Bundesrepublik sind längst abgeräumt. Die Frage militärischer Einsätze haben die Grünen in der Koalition mit der SPD entschieden. In der Atompolitik hat die Union ihre alten Glaubenssätze über Bord geworfen. Grundsatzkonflikte wie der um das Betreuungsgeld sind selten geworden.
Die Nachfolger der Ministerpräsidenten Stoiber und Koch, der Bayer Horst Seehofer und der Hesse Volker Bouffier, haben klargestellt, dass sie sich eine Koalition mit den Grünen vorstellen können, wenn es im Bund oder in Hessen nicht für Schwarz-Gelb reicht. Bouffier soll Schwarz-Grün als Plan B in der Schublade liegen haben - nicht aus Liebe zu den Grünen, sondern um Rot-Rot-Grün in Hessen (und den eigenen Auszug aus der Staatskanzlei) zu verhindern.
Grund 5: Weil es so viele Gründe gibt
Für die Union ist die Angst vor Rot-Rot-Grün zweifellos ein guter Grund für eine Koalition mit den Grünen. Es gibt jedoch noch zahlreiche andere. Schwarz-Grün wäre der "historische Kompromiss" der deutschen Politik und würde die Sehnsucht der Deutschen nach Harmonie befriedigen. Das heißt nicht, dass Schwarz-Grün eine harmonische Koalition wäre. Aber alle wesentlichen politischen Strömungen wären dabei: konservativ, wirtschaftsliberal, christlich, sozial, bürgerrechtsliberal, ökologisch.
Schwarz-Grün hätte einen weiteren Vorzug gegenüber einer Großen Koalition: Es gäbe eine starke Opposition. Zugleich hätte Schwarz-Grün das Potenzial, die große politische Lähmung zu durchbrechen, die Bundeskanzlerin Merkel mit ihrer derzeitigen Koalition verbreitet. Der Philosoph Peter Sloterdijk spricht von einer "Lethargokratie" in Deutschland. An der sind natürlich nicht nur Union und FDP, sondern auch die anderen Parteien beteiligt. Die Mischung könnte den Unterschied machen. Nebenbei: Nie war Merkel so leidenschaftlich, wie zu ihrer Zeit als "Klimakanzlerin".
Schwarz-Grün muss kommen, weil dann die grünen Kinder und die schwarzen Eltern endlich auch offiziell ihren Frieden miteinander machen würden. Weil Grüne und Schwarze sich ästhetisch gut verstehen (Kunst und Kultur, Restaurants und Reiseziele). Weil der SPD nach einer weiteren Großen Koalition der Tod auf Raten droht. Weil die Führung der CDU von Protestanten dominiert wird - und die sind bekanntlich eher grünen-affin. Weil beide Parteien relativ mittelstandsfreundlich sind. Weil die Schnittmenge ihrer Wähler deutlich kleiner ist als die von SPD und Grünen. Weil die Union zusammen mit den Grünen auch in den Großstädten wieder Wahlen gewinnen könnte. Weil nur Union und Grüne Spitzenkandidatinnen aus dem Osten haben.
Schlimmer als 2009 wird es nicht
Das Schönste an Schwarz-Grün wäre am Ende der Pragmatismus, der gut zu Merkel und in die Zeit passt. Die Grünen bekämen ein Investitionsprogramm gegen die Arbeitslosigkeit in Südeuropa, eine Reform der Geheimdienstkontrolle und die Zuständigkeit für die Energiewende, ein Projekt, das aus grüner Sicht mit der Kohle-Partei SPD nicht leichter umzusetzen wäre. Die Union bekäme ihr Mindestlohnkonzept und behielte Betreuungsgeld und Kanzlerin. Wenn es doch zu hartem Streit kommt - wen stört's? Dann würde wenigstens um Inhalte gestritten. Schlimmer als in den ersten Jahren von Schwarz-Gelb kann es ohnehin nicht kommen.
Quelle: ntv.de