Die Hochleistungsschlitzmaschine entscheidet Gabriels Genossen rüsten sich fürs Ja
13.12.2013, 12:08 Uhr
Parteichef Sigmar Gabriel dürfte den Ausgang des Mitgliedervotums mit besonders großer Spannung verfolgen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Die SPD steht vor dem wichtigsten Wochenende des Jahres. Am Samstag wird das Mitgliedervotum ausgezählt. Viele Genossen zweifeln noch immer an Schwarz-Rot. Doch einen Plan B gibt es nicht. Ein Scheitern ist schlicht nicht einkalkuliert.
Transparenz und Geheimniskrämerei liegen manchmal eng beieinander. In der SPD-Führung geht man daher auf Nummer sicher. Von einem geheim gehaltenen Ort im Leipziger DHL-Zentrum fährt ein LKW an diesem Freitag, der ausgerechnet der 13. ist, zu einer angemieteten Halle in Berlin-Kreuzberg. Das Fahrzeug wird von einem Sicherheitsdienst bewacht. An Bord des LKWs befinden sich Tausende Stimmzettel der Mitglieder. Nicht auszudenken, wenn der wertvollen Fracht etwas zustoßen sollte.
Wie sich das anfühlt, wissen die Genossen all zu gut. Vor sechs Jahren, als die Partei über den Spitzenkandidaten für die Hamburger Bürgerschaftswahl abstimmen ließ, gingen fast 1000 Wahlscheine spurlos verloren. Auf so einen Zwischenfall würde man diesmal gern verzichten. Die letzten Wochen waren für die Sozialdemokraten kraftraubend genug. Ob die Republik fast drei Monate nach der Wahl eine neue Regierung bekommt, hängt allein an der SPD.
Der Einsendeschluss für das Basisvotum endete am Donnerstag um 24 Uhr. Mehr als 300.000 Mitglieder haben die Briefe mit ihrem Ja oder Nein bisher zurückgeschickt. An diesem Samstag zwischen 16 und 18 Uhr will Parteichef Sigmar Gabriel das Ergebnis der Abstimmung verkünden. Stimmt die Basis mit Ja - und damit wird gerechnet - folgt am Sonntag die Bekanntgabe der Kabinettsposten. Schon am Dienstag sollen die Kanzlerin und ihre Minister vereidigt werden. Das Ende des Wartens ist also in Sicht. Dabei war das noch bis vor Kurzem alles andere als sicher.
Gabriels Drohkulissen
Noch im November hatte Parteichef Gabriel indirekt mit seinem Rücktritt gedroht. "Jeder, der bei Verstand ist, muss doch wissen, was es heißt, wenn ein Vorsitzender in einer so entscheidenden Frage aufläuft", sagte er auf einer Regionalkonferenz. Die Botschaft war deutlich: Im Falle eines Neins der Basis drohen nicht nur Neuwahlen. Auch Gabriel, der die Partei in den vergangenen Wochen auf die Große Koalition einschwor, wäre wohl kaum zu halten. "Gabriel ist ein verdammt guter Parteivorsitzender. Deshalb würde ich dafür kämpfen, dass er bleibt", sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs n-tv.de. "Ich weiß aber nicht, ob das reicht. Die Gesetze unserer Zeit sind andere."
Vor Wochen rechneten viele mit einem knappen Ausgang der Abstimmung. Der Gedanke an eine Neuauflage der Großen Koalition bereiteten den Genossen Unbehagen. Doch seit der Koalitionsvertrag ausgehandelt wurde und die Parteispitze viele SPD-Forderungen durchsetzen konnte, drehte sich die Stimmung. Der Abgeordnete Marco Bülow ist inzwischen der Einzige in der SPD-Fraktion, der noch offen gegen Schwarz-Rot kämpft. Andere haben den Widerstand längst aufgegeben. Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann gab zuletzt die Prognose ab, dass die Abstimmung 70:30 ausgehen werde. Viele andere gaben ähnliche Tipps ab.
Tausende ungültige Stimmen
Zu denen, die nach wie vor skeptisch sind, gehört Rudolf Malzahn. "Wir finden uns nicht wieder in dem Koalitionsvertrag", klagt der Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Bochum-Hamme im Gespräch mit n-tv.de. Er vermisst Steuererhöhungen und Bürgerversicherung, den Mindestlohn hätte er gern schon 2014 gehabt. Statt sich vier Jahre an die Union zu ketten, würde er "beim Gysi" anklopfen. Gemeinsam mit den Linken "hätten wir mehr erreicht als mit der Merkel". Aus seiner Sicht stimmten viele SPD-Mitglieder nur mit Ja, um "Gabriel nicht im Regen stehen" zu lassen. "Die haben keinen Arsch in der Hose", sagt Malzahn, der sich mit einem Ja allerdings arrangieren würde. So viel Demokratieverständnis habe er, versichert der Bochumer.
Es spricht viel dafür, dass Bülow, Malzahn und auch die Jusos am Ende mit der Großen Koalition leben müssen. Fast 80 Prozent der SPD-Wähler sind für Schwarz-Rot. Die Frage um Gabriels Zukunft stellt sich am Ende womöglich gar nicht. Mit einem Nein rechnet jedenfalls kaum noch jemand bei den Genossen. In der Parteispitze bestreitet man, dass es überhaupt Vorkehrungen gibt für den Fall des Scheiterns. "Es gibt keinen Plan B", sagt Generalsekretärin Andrea Nahles.
Zunächst einmal steht der Partei jedoch ein anstrengendes Wochenende bevor. Wie die "Welt" berichtet, gibt es bereits Tausende ungültige Stimmen, weil in vielen Umschlägen die eidesstattliche Erklärung fehle oder falsch ausgefüllt worden sei. Die Wahlunterlagen werden unter notarieller Aufsicht geleert, sortiert und ausgezählt. Ganz ohne Technik funktioniert das natürlich nicht. In der Nacht auf Samstag beginnen die zwei "Hochleistungsschlitzmaschinen", wie Nahles sie nennt, mit der Arbeit. Die Firma Hefter Systemform aus Prien am Chiemsee hat die Brieföffner an die DHL ausgeliehen. Dabei schlitzen die beiden Geräte des Typs OL 1000 plus gar nicht, sondern fräsen. Sie können jeweils 20.000 Briefe pro Stunde öffnen. An jeder Maschine sollen zwei Personen stehen: Einer legt stapelweise Briefe nach, während der Andere die aufgefrästen Briefe unten vom Förderband nimmt. Insgesamt 400 freiwillige Helfer sind in der Halle, müssen sich aber verpflichten, Handys und Kameras zu Hause zu lassen.
"Die Sozis können mit Geld umgehen"
Der Ausgang des Votums ist zwar noch offen und doch überrascht die Abstimmung bereits jetzt: Noch im Oktober fürchtete die Parteiführung das Erreichen des 20-Prozent-Quorums und gab dann vorsichtig die 40-Prozent-Marke als Ziel an. Doch mit mehr als 300.000 beteiligten sich inzwischen schon mindestens 60 Prozent der SPD-Mitglieder. Das ist eine beachtliche Wahlbeteiligung und mehr, als Gabriel & Co. sich erhofft hatten.
Einen Makel hat die Befragung allerdings: Sie war teuer. Durch Briefwahl, Versand, Auszählung, Werbung und Konferenzen belaufen sich die Kosten inzwischen auf 1,6 Millionen Euro und damit 600.000 Euro mehr als geplant. Zusammen mit dem Parteijubiläum und Wahlkampf kommt die SPD in diesem Jahr auf Ausgaben von knapp 30 Millionen Euro. Kein Problem, sagt Schatzmeisterin Barbara Hendricks. "Die Sozis können mit Geld umgehen", sagt sie.
Wie gut die SPD mit dem Ergebnis ihres Mitgliedervotums umgeht, kann sie erst in den nächsten Monaten und Jahren beweisen. Wenn Parteichef Gabriel den Ausgang des Votums verkündet, ist nämlich nichts mehr geheim. Dann liegen die Befindlichkeiten der deutschen Sozialdemokratie offen auf dem Tisch. Mit den möglichen Konsequenzen müssen dann Befürworter und Gegner leben.
Quelle: ntv.de