Politik

474.820 entscheiden über die Große Koalition Was man zum SPD-Votum wissen muss

Ja oder Nein - das ist die Frage, die sich Tausende SPD-Mitglieder in diesen Tagen stellen.

Ja oder Nein - das ist die Frage, die sich Tausende SPD-Mitglieder in diesen Tagen stellen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Der Koalitionsvertrag ist fertig, aber ob die Große Koalition regiert, entscheidet die SPD-Basis. Wie teuer ist eigentlich die Abstimmung und was passiert, wenn die Mitglieder mit Nein stimmen? Das sind die wichtigsten Fragen und Antworten.

Wieso stimmen die SPD-Mitglieder über den Koalitionsvertrag ab?

Die SPD-Spitze um Parteichef Sigmar Gabriel empfiehlt die Zustimmung zum Koalitionsvertrag.

Die SPD-Spitze um Parteichef Sigmar Gabriel empfiehlt die Zustimmung zum Koalitionsvertrag.

(Foto: picture alliance / dpa)

Nach der Bundestagswahl am 22. September legte sich der SPD-Vorstand darauf fest, die Basis über den Koalitionsvertrag abstimmen zu lassen. Es ist das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass die Mitglieder einer Partei über eine Koalition mitentscheiden können. In der Vergangenheit ließ die SPD 1993 bereits über ihren Vorsitzenden abstimmen. 2007 wählten die Mitglieder den Spitzenkandidaten für die Hamburger Bürgerschaftswahl.

Ist das Basisvotum bindend?

Ja. Wenn sich mindestens 20 Prozent der SPD-Mitglieder - das wären knapp 95.000 - beteiligen, hat das Votum Gültigkeit. Je nach Ausgang ist der Koalitionsvertrag dann angenommen oder abgelehnt. Das Quorum ist bereits erreicht. Bis zum 6. Dezember gingen bei der SPD schon knapp 200.000 Wahlunterlagen ein - und damit deutlich mehr als die erforderliche Teilnehmerzahl.

Wie ist die Abstimmung organisiert?

Die SPD hat die Abstimmungsbriefe und eine "Vorwärts"-Sonderausgabe mit dem 185-seitigen Koalitionsvertrag bereits an ihre 474.820 Mitglieder verschickt. Das Votum wird per Briefwahl durchgeführt. Die Stimmzettel der Mitglieder müssen spätestens bis zum Donnerstag, den 12. Dezember, um 24.00 Uhr wieder eintreffen, um noch berücksichtigt zu werden. Die Abstimmungsbriefe kommen übrigens nicht in der Berliner Parteizentrale an, sondern in einem SPD-Postfach bei der Deutschen Post, wo sie an einem geheimen Ort aufbewahrt werden. Am Freitagnachmittag, den 13. Oktober, bringt ein Post-LKW die Unterlagen in eine angemietete Halle in Berlin-Kreuzberg. Hier werden sie unter Aufsicht einer Mandats-, Prüf- und Zählungskommission von Hochleistungsschlitzmaschinen geöffnet, sortiert und ausgezählt. Jede Schlitzmaschine kann 20.000 Umschläge pro Stunde öffnen. Insgesamt sind etwa 500 Helfer im Einsatz.

Jedes SPD-Mitglied erhielt eine "Vorwärts"-Ausgabe mit dem Koalitionsvertrag.

Jedes SPD-Mitglied erhielt eine "Vorwärts"-Ausgabe mit dem Koalitionsvertrag.

(Foto: picture alliance / dpa)

Wie sicher ist das Verfahren?

Offenbar gibt es zumindest ein Schlupfloch. Denn die SPD prüft nicht die Identität der neuen Mitglieder. So trat ein Student aus Göttingen, der eigentlich CDU-Mitglied ist, unter falschem Namen in die SPD ein, um zu beweisen, wie leicht das Votum zu manipulieren ist. Die Stimmzettel sind allerdings sicher. Jeder Bogen verfügt über einen Silberstreifen mit individualisiertem Strichcode wie eine Konzertkarte. Kopien und Mehrfacheinsendungen werden daher bei der Auszählung nicht gewertet.

Kann man jetzt noch der SPD beitreten, um über den Koalitionsvertrag abzustimmen?

Nein, dafür ist es zu spät. Nur die Mitglieder, die bis zum 13. November aufgenommen wurden, dürfen an dem Votum teilnehmen. Nach der Bundestagswahl gab es übrigens überdurchschnittlich viele Eintritte. So traten im Oktober 2500 neue Mitglieder ein, im Durchschnitt sind es sonst nur etwa 1000 im Monat.

Was kostet das Mitgliedervotum?

Das Verfahren kostet rund 1,6 Millionen Euro.

Wer sind eigentlich die SPD-Mitglieder?

Das durchschnittliche SPD-Mitglied ist 59 Jahre alt, Beamter, Uni-Absolvent und Protestant. Zwei Drittel der Parteibasis sind Männer, nur ein Drittel Frauen. Jeder zweite Genosse ist über 60 Jahre alt, nur jeder Zwölfte ist unter 30. Die SPD hat ihre Wurzeln zwar in der Arbeiterschaft, aber nur 16 Prozent ihrer Mitglieder sind in diesem Berufsfeld tätig. Fast 75 Prozent sind Angestellte und Beamten. Einen Hochschulabschluss haben 37 Prozent. Das Land mit den meisten SPD-Mitgliedern ist übrigens Nordrhein-Westfalen. Hier lebt jeder vierte Genosse.

Könnte bei der Regierungsbildung noch wichtig werden: Bundespräsident Joachim Gauck.

Könnte bei der Regierungsbildung noch wichtig werden: Bundespräsident Joachim Gauck.

(Foto: picture alliance / dpa)

Wie ist die Stimmung an der Basis?

Experten rechneten lange Zeit mit einem relativ knappen Ausgang des Entscheids. Seit dem Abschluss der Verhandlungen hat sich der Trend umgekehrt zu Gunsten eines Ja zum Koalitionsvertrag. Das liegt vor allem daran, dass die Sozialdemokraten viele ihrer Forderungen durchsetzen konnten. Dazu zählen unter anderem der flächendeckende Mindestlohn, der Doppelpass, die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren und die Mietpreisbremse. Einer aktuellen Forsa-Umfrage zufolge wollen 78 Prozent der SPD-Wähler die Große Koalition. Trotzdem ist die Unruhe in der Partei groß. Viele SPD-Mitglieder sind sehr skeptisch gegenüber einer Großen Koalition. Das Misstrauen hängt vor allem mit den Erfahrungen zusammen, die die Partei mit der letzten Großen Koalition gesammelt hat. Nach vier Jahren Schwarz-Rot holte die SPD bei der Bundestagswahl nur 23 Prozent, das schlechteste Ergebnis in der Geschichte der Bundesrepublik. Einige Genossen fürchten, dass sich das wiederholen könnte, sollte man erneut ein Bündnis mit der Union eingehen.

Wann steht das Ergebnis fest?

Das Ergebnis soll voraussichtlich am Abend des 14. Dezember, einem Samstag, zwischen 16 und 18 Uhr bekanntgegeben werden.

Wie geht es nach der Abstimmung weiter?

Stimmt die SPD-Basis dem Koalitionsvertrag zu, ist für Dienstag, den 17. Dezember, die Wiederwahl von Kanzlerin Angela Merkel geplant. Unmittelbar nach einem positiven Ausgang des Votums soll auch die Verteilung der Ministerposten bekannt gegeben werden.

Was passiert, wenn die Genossen gegen den Vertrag stimmen?

In der SPD würde es wohl gehörig krachen. Die Parteispitze, die den Kurs zur Großen Koalition maßgeblich vorangetrieben hat, müsste wohl die Verantwortung übernehmen und zurücktreten. Wenn die Mehrheit der SPD-Mitglieder gegen eine Große Koalition stimmen, zögerte sich zudem die Entscheidung über die neue Bundesregierung weiter hinaus. Als Erstes würden Union und Grüne erneut zu Sondierungsgesprächen und möglicherweise auch zu Koalitionsverhandlungen zusammenkommen. Wird man sich nicht einig über eine schwarz-grüne Koalition, hängt das weitere Vorgehen von Bundespräsident Joachim Gauck ab. Artikel 63 des Grundgesetzes legt fest, dass der Bundeskanzler auf Vorschlag des Präsidenten gewählt wird. In dem Fall, dass Merkel im Bundestag eine Mehrheit erhält, müsste sie eine Minderheitsregierung bilden. Über kurz oder lang dürfte sie jedoch die Vertrauensfrage an eine inhaltlich strittige Entscheidung koppeln und so die Auflösung des Bundestags ermöglichen. Sollte Merkel bei der Kanzlerwahl keine Mehrheit erhalten, kann Gauck einen anderen Kandidaten zur Abstimmung stellen oder den Bundestag auflösen. Innerhalb von 60 Tagen würden dann Neuwahlen stattfinden. Im Frühjahr, also ein halbes Jahr nach der Bundestagswahl, müssten die Deutschen dann erneut an die Urne treten.

Quelle: ntv.de

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