Viel Optimismus auf SPD-Parteitag Genossen streicheln ihre Seele
05.12.2011, 13:47 Uhr
Der rote Siggi: So sieht eine SPD-Zeitung den Parteivorsitzenden.
(Foto: dapd)
"Wir sind in einem Aufwärtstrend", gibt SPD-Fraktionschef Steinmeier bei n-tv die Stimmung in seiner Partei wieder, und tatsächlich: Der Parteitag in Berlin strotzt nur so vor Optimismus. Parteichef Gabriel sichert sich mit einer kämpferischen Rede die Wiederwahl - für Juso-Chef Vogt die Wiedergeburt der "linken Volkspartei".
Zwei Jahre nach der Niederlage bei der Bundestagswahl senden die Sozialdemokraten auf ihrem Parteitag in Berlin eine Botschaft der Stärke. SPD-Chef Sigmar Gabriel seine Partei gut aufgestellt für die Rückkehr an die Macht. Es sei nun "wieder klar, wohin die SPD will", sagte Gabriel bei seiner Bewerbungsrede für die Wiederwahl. "Geschlossenheit und Gemeinschaft machen stark", betonte der Vorsitzende. "Dabei muss es bleiben." Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier zeichnete bei n-tv ebenfalls ein positives Bild vom Zustand der Partei: "Wir sind in einem erfreulichen Aufwärtstrend."
"Wir wollen wieder organisierende führende Kraft werden", gab Gabriel unter dem Jubel der Delegierten in Berlin die Richtung für die nächsten zwei Jahre vor. "Jetzt sind wir wieder im Spiel", fügte er unter Hinweis auf gestiegene Umfragewerte hinzu. Die Erfolge der letzten Zeit gingen Gabriel leicht von der Zunge: "Acht Landtagswahlen, achtmal sind wir in der Regierung und sechsmal führen wir sie an, das ist die Realität", rief er unter dem lauten Jubel der Genossen.
Nach der rund anderthalbstündigen Rede wurde Gabriel als Bundesvorsitzender der SPD bestätigt. Der 52-Jährige erhielt 91,6 Prozent der Stimmen. Damit erhielt er weniger Unterstützung als bei seiner ersten Wahl vor zwei Jahren, als er 94,2 Prozent erreicht hatte. Gabriel hatte die Parteiführung im November 2009 nach dem Wahldebakel bei der Bundestagswahl übernommen, als die SPD mit 23 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis der Nachkriegszeit erzielt hatte. "Ich danke für das große Vertrauen", sagte der wiedergewählte SPD-Vorsitzende. Er hatte bereits im Vorfeld mit einem etwas schwächeren Ergebnis als beim Parteitag in Dresden vor zwei Jahren gerechnet.
Özoguz erste SPD-Vize mit Migrationshintergrund
Die türkischstämmige Bundestagsabgeordnete Aydan Özoguz ist neue Vizechefin der SPD. Die 44-Jährige aus Hamburg wurde mit 86,8 Prozent zu einer von fünf Stellvertretern gewählt. Damit wurde erstmals ein SPD-Vizeposten mit einer Politikerin mit Migrationshintergrund besetzt. Sie repräsentiere "ein wenig das Einwanderungsland Deutschland", sagte Özoguz in ihrer Bewerbungsrede.
Özoguz kommt neu zu den bisherigen vier Vizevorsitzenden dazu, die in ihren Ämtern bestätigt wurden. Das beste Ergebnis bei ihrer Wiederwahl erhielt die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft mit 97,2 Prozent der Stimmen. Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz wurde mit 84,9 Prozent in seinem Parteiamt bestätigt. Die Sozialministerin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, wurde mit 82,9 Prozent erneut Parteivize. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit erhielt bei seiner Wiederwahl zum stellvertretenden Parteichef 87,9 Prozent.
Distanz zu Schröders Agenda 2010
Wichtiges Element von Gabriels Rede war die Abwendung von der und ihres namhaftesten Vertreters, Altkanzler Gerhard Schröder. Der bekam wegen seiner mehr als nur einmal sein Fett weg, der Saal dankte es mit höhnischem Gelächter.
"Mit dem heutigen Parteitag schließen wir unsere programmatische Neuausrichtung in allen wichtigen Bereichen ab", sagte Gabriel. Die SPD habe auch Fehler der Vergangenheit bei der Zeitarbeit und im Niedriglohnsektor eingeräumt. "Nie wieder darf eine sozialdemokratische Partei den Wert der Arbeit infrage stellen. Nie wieder dürfen wir uns in dieser Frage wieder so weit von den deutschen Gewerkschaften entfernen", unterstrich Gabriel. "Das sind unsere wichtigsten Bündnispartner." Die SPD sei nur dann glaubwürdigwürdig und erfolgreich, wenn sie die Partei der Arbeit sei.
Juso-Chef Sascha Vogt begrüßte diese klare Positionierung. Gabriel habe gezeigt, dass "wir eine SPD brauchen, die eine linke Volkspartei ist", erklärte er bei n-tv. Vogt pochte erneut auf die Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf 52 Prozent. "Ich glaube schon, dass man den Menschen erklären kann, dass diejenigen, die vor der Krise ganz viel Geld verdient haben, jetzt ihren gerechten Anteil zur Bewältigung der Krise zahlen", meinte er.
Angriff auf die Regierung
In Berlin wurde natürlich nicht nur Eigenbeschau betrieben, auch die Regierung war ein Thema. Gabriel warf der schwarz-gelben Bundesregierung Versagen bei der Bewältigung der vor. Die Koalition zeige seit zwei Jahren lediglich, "wie man Krisen vergrößern kann, statt sie zu lösen". Entweder streite die Koalition oder Bundeskanzlerin Angela Merkel mache selbst genau das Gegenteil dessen, was sie zuvor als alternativlos bezeichnet habe. Merkel handele ähnlich wie der frühere CDU-Bundeskanzler Konrad Adenauer nach dem Grundsatz "Was stört mich mein Geschwätz von gestern". Damit werde sie zur "Turboladerin" für Politikverdrossenheit.
Fraktionschef Steinmeier pflichtete Gabriel bei n-tv bei. "Es gehörte zur Regierungskunst früherer Kanzler, dass wir ohne Schulmeisterei überzeugt haben. Das, was im Augenblick passiert, ist ja das Gegenteil." Er geißelte die "Doppelzüngigkeit, dass wir überall in Europa zum Sparen auffordern", obwohl in Deutschland die Neuverschuldung wieder steige.
Gabriel ließ auch die FDP bei der Regierungsschelte nicht aus. Die Liberalen hätten kein Lieferproblem, wie FDP-Chef Philipp Rösler meine. "Sie haben ein Produktionsproblem." Die Idee des Liberalismus sei "zu wichtig, um sie einfach aufzugeben, nur weil die FDP sie aufgegeben hat", sagte Gabriel. "Bei uns hat sie ihre neue Heimat." Auf deutliche Distanz ging Gabriel auch zur Linkspartei. Es gehe nicht um die Alternative Staat oder Markt. Märkte würden gebraucht, aber sie bräuchten Regeln.
Gabriel mahnt zur Ruhe
Auch die für die Partei leidige K-Frage griff Gabriel auf. Er rief die Delegierten auf, sich keine Debatte über ihren Kanzlerkandidaten für 2013 aufzwängen zu lassen. "Lasst euch keine falschen Debatten zur Unzeit aufschwatzen", sagte er. Er werde Ende 2012 oder Anfang 2013 einen Vorschlag machen. "Und dann entscheidet die Partei und sonst niemand", versicherte Gabriel. Er machte zugleich deutlich, dass er eine Kanzlerkandidatur nicht ausschließt. Die Medien würden am Dienstag womöglich schreiben: "Gabriel kandidiert und verzichtet zugleich", sagte Gabriel, "das tue ich nicht".
Die Kanzlerkandidatur steht nicht auf der Tagesordnung des dreitägigen Kongresses. Dennoch werden die Auftritte von Gabriel wie auch von Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und insbesondere Ex-Finanzminister Peer Steinbrück mit besonderem Augenmerk verfolgt.
K-Frage nervt SPD-Spitze
Die K-Frage war auch im Vorfeld ein Thema. "Ich finde das eine alberne Diskussion, ganz ehrlich gesagt", sagte Steinmeier in der ARD. "Das ist keine Casting-Show, auch wenn Journalisten das gerne so sehen. Hier fallen keine Entscheidungen und keine Vorentscheidungen. Das wird im nächsten Jahr etwa um diese Zeit herum der Fall sein." Steinmeier hatte mit einer kämpferischen Rede die SPD zur Solidarität mit europäischen Schuldenstaaten aufgerufen und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vorgeworfen, mit einem Zick-Zack-Kurs die Eurokrise immer weiter zu verschlimmern.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, sagte der "Leipziger Volkszeitung", die Entscheidung in der K-Frage könne nach der Wahl in Niedersachsen fallen. "Es scheint mir ein realistischer Zeitpunkt für die Kandidatennominierung zu sein, wenn wir den Schwung der Niedersachsen-Wahl vom 20. Januar 2013 nutzen, um dann so mit voller Kraft in die Schlussphase des Bundestagswahlkampfes zu gehen", erklärte Oppermann.
Quelle: ntv.de, cba/dpa/rts