Habeck warnt Basis vor Ampel-Aus Grüne wenden Asylchaos in eigener Partei ab


Beim Bundesparteitag der Grünen kommt es zum erwarteten Showdown: Die Grüne Jugend will der Partei jedwede Asylrechtsverschärfung untersagen. Vize-Kanzler Habeck warnt die Versammlung vor einem Ende aller Regierungsbeteiligungen. Seine Gegenredner setzen auf Emotionen, doch ihr Antrag scheitert.
In einer bei den Grünen mit Spannung erwarteten Debatte hat die Parteispitze einen folgenreichen Antrag in Fragen der Asyl- und Migrationspolitik abgewendet. Ein Programmtext der Grünen Jugend wurde nach einer fast dreistündigen, teils hochemotionalen Diskussion von der Mehrheit der rund 800 Delegierten abgelehnt. Die Bundesvorsitzende Ricarda Lang, Vize-Kanzler Robert Habeck und Annalena Baerbock warnten eindringlich davor, die Regierungsbeteiligung der Grünen zu sabotieren. Die Antragsteller hingegen sehen die Partei auf bestem Weg, das Asylrecht zu schleifen und rechte Parteien in Deutschland und Europa mit ihrem Kurs zu stärken.
Auf der sogenannten Bundesdelegiertenkonferenz in Karlsruhe entzündete sich die Debatte an der Verabschiedung des Europawahlprogramms. Darin legt die Partei im Kapitel zur Asyl- und Migrationspolitik ihre Leitlinien zum Thema fest. Die Grüne Jugend versuchte, hier rote Linien für das weitere Regierungshandeln einzuziehen. Sie und andere Parteilinke hadern unter anderem mit der Zustimmung der Bundesregierung zur EU-Asylreform sowie mit den Vereinbarungen auf der Ministerpräsidentenkonferenz vor drei Wochen, wo unter anderem mehr Polizeibefugnisse bei Abschiebungen sowie weniger Geldleistungen für Menschen im Asylverfahren beschlossen wurden. Ihr Änderungsantrag zielte darauf ab, den eigenen Regierungsmitgliedern und Abgeordneten künftig die Zustimmung zu jedweden Asylrechtsverschärfungen zu verbieten - auch wenn diese in der Praxis nicht an ein Europawahlprogramm gebunden sind.
Habeck spricht von "Misstrauensvotum"
Habeck bezeichnete den Antrag der Grünen Jugend als "ein Misstrauensvotum in Verkleidung, der in Wahrheit sagt 'verlasst die Regierung'". Ein Verbleib in der Ampelkoalition sei bei Annahme des Antrags infrage gestellt. "Es wäre naiv zu glauben, dass das möglich ist, und in einer Regierung zu bleiben." Nichts würde besser werden für Geflüchtete, wenn andere Parteien anstelle der Grünen regierten. Die Rede erntete zwar lautstarken Applaus, empörte aber auch einzelne Delegierte, weil aus ihrer Sicht Habeck einen ungehörigen Druck ausgeübt habe.
Für Habeck war das auch ein Wagnis: Hätte sich der Antrag der Grünen Jugend durchgesetzt, hätte er mit seiner Feststellung, so nicht weiterregieren zu können, viel zu erklären gehabt. Die Parteivorsitzende Ricarda Lang, Gesicht der Parteilinken, argumentierte ähnlich wie Realo Habeck: "Die Konsequenzen sind, dass wir nicht mehr mit am Tisch sitzen, wenn diese Dinge verhandelt werden", sagte Lang. Sie bitte als Parteivorsitzende um Vertrauen, damit die Grünen im Bund auch weiter für grüne Migrationspolitik verhandeln könnten.
"Wir wollen nicht das Ende der Regierung, wir wollen eine neue Asylpolitik", entgegnete Sarah Lee Heinrich, ehemalige Vorsitzende der Grünen Jugend. "Seit Monaten reden wir darüber, noch eine Sache mitzumachen, um endlich einen Deckel auf die Asyldebatte zu kriegen, und es funktioniert nicht." Die neue Vorsitzende des Parteinachwuchses, Katharina Stolla, sagte: "Politik aus Liebe zu Menschen zu machen, das heißt Politik für alle Menschen zu machen und nicht aus Liebe zu einem Koalitionspartner."
Ihre Co-Vorsitzende Svenja Appuhn sagte: "Nein, das ist wirklich kein Misstrauensvotum." Vielmehr würden die Rücken der Minister gestärkt, in der Ampel zu sagen 'bis hierhin und nicht weiter'. Außenministerin Annalena Baerbock entgegnete Appuhn: "Ich kann dir sagen: Ich kann das nicht einhalten." Sie müsse sich im Erfolgsfall bei jeder Verhandlung enthalten. Dann bestimmten andere allein die Migrationspolitik.
Streit um den richtigen Ton
Befürworter des Antrags der Grünen Jugend verweisen unter anderem darauf, dass nicht die Zahl der Geflüchteten ursächlich sei für leere Kassen in den Kommunen, für zu wenige Unterbringungskapazitäten sowie fehlendes Personal in Behörden, Schulen und Kitas. Sie forderten stattdessen mehr Geld für die Kommunen und warnten, dass die Grünen der Union und der AfD in die Karten spielten, wenn sie der Behauptung einer Überlastung Deutschlands zustimmen.
Mehrere Delegierte sprangen den Grünen-Ministern zur Seite und warfen der Grünen Jugend "Gejohle" und eine unangemessene Stimmungsmache vor. "Ich finde diesen Ton und diesen Umgang nicht in Ordnung", sagte die Europaabgeordnete Viola von Cramon. "Habt doch das Vertrauen, dass wir mit allem, was wir haben, für Geflüchtete einstehen", warb die Hamburger Bundestagsabgeordnete Katharina Beck. "Annalena [Baerbock] ist die stärkste Anwältin für geflüchtete Menschen in der Europäischen Union", sagte Christian Schubert, Delegierter aus Erftstadt.
Baerbock selbst hatte sich in Erwartung der Debatte schon früher am Tag geäußert und für die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asyslrechts (GEAS) geworben. "Wenn wir nicht wissen, wer kommt, wenn wir ihn oder sie nicht registrieren, wie soll er oder sie dann verteilt werden und bleiben können?", fragte die Außenministerin. "Ohne Ordnung gibt es keine Humanität." Derzeit gebe es aber überhaupt keine Ordnung in Europas Asylpolitik, weshalb die GEAS-Reform ein Fortschritt sei.
Umstrittene Überschrift
"So schmerzhaft Kompromisse sind, auch der zu GEAS: Ohne ihn werden wir das Grundrecht auf Asyl, verbindliche Verteilung und auch staatliche Seenotrettung kaum erreichen können", sagte Baerbock. Es brauche eine Verabschiedung der Reform noch in den nächsten Monaten. Anfang Juni wird ein neues Europaparlament gewählt, was hernach eine europäische Einigung erschweren könnte.
Wie grundsätzlich unterschiedlich die Ansichten waren, offenbarte sich schon an der Debatte um die Überschrift des entsprechenden Wahlprogrammteils "Humanität und Ordnung". Diese Formulierung hatten auch Politiker von CDU und CSU immer wieder verwendet, damit aber eine andere Migrationspolitik als die der Grünen gemeint. Eine knappe Abstimmung hierüber gewann der aber der Bundesvorstand mit seinem Ursprungstext.
Bei dem viertägigen Parteitag verhandeln die Grünen von Donnerstag bis Sonntag ihr Europawahlprogramm. Am Freitag wählten sie die Liste der Europawahlkandidaten und nominierten die 36-jährige Terry Reintke zur Spitzenkandidatin. Ferner wurden die Parteivorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour sowie Bundesgeschäftsführerin Emily Büning in ihren Ämtern bestätigt. Diese hatten schon beim kleinen Parteitag in Bad Vilbel einen Aufstand gegen die Zustimmung der Ampel zur EU-Asylrechtsreform abmoderiert. Das Thema wird, so viel hat der erbitterte Gegensatz in der Debatte gezeigt, die Partei aber auch absehbar weiter beschäftigen.
Quelle: ntv.de