Politik

"Die eigenen Wähler verraten" Heftige Kritik an Röslers Reform

Rösler sieht die Reform als Einstieg in ein neues System - genau das wird von der Opposition kritisiert.

Rösler sieht die Reform als Einstieg in ein neues System - genau das wird von der Opposition kritisiert.

(Foto: dpa)

An den Reformplänen der schwarz-gelben Koalition wird kaum ein gutes Haar gelassen: Opposition und Gewerkschaften sprechen von "Wählerbetrug" und der "Kopfpauschale durch die Hintertür". Selbst die Krankenkassen kritisieren die einseitige Belastung für die Versicherten. Union und FDP versuchen, die Reform als ersten Schritt zu verkaufen.

Die Reformpläne für das Gesundheitswesen der schwarz-gelben Bundesregierung stoßen auf heftige Kritik bei Opposition, Gewerkschaften und Krankenkassen. Wahlversprechen würden "jetzt wieder einkassiert und die Versicherten abkassiert", sagte SPD-Fraktionsvize Elke Ferner dem Bayerischen Rundfunk. Überdies sei das Vorhaben von Union und FDP unsolidarisch. "Je höher das Einkommen und je mehr Einkünfte jenseits der Sozialversicherungspflicht, umso geringer die Beteiligung an der Finanzierung eines Gesundheitswesens", kritisierte Ferner.

"Künftig werden Kostensteigerungen alleine zu Lasten der Krankenversicherten gehen", sagte Grünen-Parteichef Cem Özdemir. Dabei würden die am stärksten getroffen, die bedürftig sind, sagte Özdemir dem Sender n-tv. Er äußerte zugleich Zweifel, ob es den von Gesundheitsminister Philipp Rösler versprochenen Sozialausgleich aus Steuermitteln tatsächlich geben werde.

Beiträge steigen

"Zu Lasten der Krankenversicherten": Die Grünen bezeichnen die Reform als unsolidarisch.

"Zu Lasten der Krankenversicherten": Die Grünen bezeichnen die Reform als unsolidarisch.

(Foto: dpa)

Union und FDP hatten sich am Dienstag auf Grundzüge einer Gesundheitsreform verständigt und beschlossen, den allgemeinen Beitrag für die gesetzlichen Krankenkassen von 14,9 Prozent auf 15,5 Prozent anzuheben. Von den Mehrkosten sollen Arbeitnehmer und Arbeitgeber jeweils die Hälfte tragen. Der Arbeitnehmeranteil steigt damit auf 8,2 Prozent, der der Arbeitgeber auf 7,3 Prozent. Auf diesem Niveau soll der Arbeitgeberbeitrag eingefroren werden – damit werden alle künftigen Steigerungen zu Lasten der Versicherten gehen.

Zudem müssen sich die Versicherten auf höhere, einkommensunabhängige Zusatzbeiträge einstellen, die von ihnen allein zu tragen sind. Erst ab einer Zusatzbelastung von zwei Prozent des beitragspflichtigen Einkommens soll ein steuerfinanzierter Sozialausgleich greifen. Die Gesamtbelastung für die Krankenversicherung könnte damit auf bis zu 10,2 Prozent des Einkommens für die Versicherten und 7,3 Prozent für die Arbeitgeber steigen.

Zu Lasten der Versicherten

Linkspartei-Chef Klaus Ernst nannte die Reform "Betrug an den eigenen Wählern". Der Beschluss sei ein Angriff auf alle Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen. Die größte Verlierergruppe würden die Rentner sein, teilte Ernst mit. "Sie bekommen keine Rentenerhöhungen und müssen dennoch die höheren Beiträge tragen. Schwarz-Gelb hat die eigenen Wähler verraten." Zudem seien die nach oben offenen Zusatzbeiträge eine "Kopfpauschale durch die Hintertür". Und der versprochene Sozialausgleich "ist ein Bürokratiemonster, das Millionen unverschuldet zu Bittstellern beim Staat macht".

Die Versicherten werden künftige Beitragserhöhungen alleine tragen müssen.

Die Versicherten werden künftige Beitragserhöhungen alleine tragen müssen.

(Foto: dpa)

"Wir sind zunächst mal froh, dass es überhaupt eine Entscheidung gibt", sagte die Vorstandsvorsitzende der Barmer GEK, Birgit Fischer, bei n-tv. Das Problem sei aber, dass es im Grunde keine Leistungsverbesserung gebe, sonder nur höhere Kosten für die Versicherten. "Das halte ich schon für ein Problem, wenn nicht gleichzeitig im Grunde ineffiziente Strukturen, die es im Gesundheitswesen gibt, angegangen werden."

"FDP entlarvt"

Der Vorstandschef der AOK Bayern, Helmut Platzer, sagte mehreren Zeitungen, die Pläne bedeuteten das "Ende der solidarischen Krankenversicherung". Künftig müssten allein die Versicherten mit einem nach oben hin offenen Zusatzbeitrag Kostensteigerungen im Gesundheitswesen tragen. Mit der solidarischen Krankenversicherung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern werde ein "Erfolgsmodell" aufgegeben, das seit Jahrzehnten den sozialen Frieden in Deutschland mit gesichert habe.

Die Gewerkschaft Verdi hat die Beschlüsse als sozial unausgewogen kritisiert. "Die FDP entlarvt sich erneut als Partei der Besserverdiener und Merkel macht sich zu deren Handlanger", sagte Verdi-Chef Frank Bsirske der "Frankfurter Rundschau". Steigende Zusatzbeiträge belasteten vor allem Arbeitnehmer, Niedriglöhner, Rentner und Studierende. "Damit macht Schwarz-Gelb den Weg frei, über Zusatzbeiträge steigende Kosten im Gesundheitswesen künftig allein von den schwächeren Schultern tragen zu lassen."

Regierung spricht von erstem Schritt

"Einstieg in eine nachhaltig tragfähige Finanzierung": FDP-Generalsekretär Lindner deutet die Reformpläne deutlich optimistischer.

"Einstieg in eine nachhaltig tragfähige Finanzierung": FDP-Generalsekretär Lindner deutet die Reformpläne deutlich optimistischer.

(Foto: APN)

Die Regierungskoalition und insbesondere die FDP verteidigte die beschlossene Reform dagegen. FDP-Generalsekretär Christian Lindner nannte die Pläne bei n-tv "einen Einstieg in eine nachhaltig tragfähige Finanzierung des Gesundheitswesens". Die Gesundheitskosten seien nun nicht mehr so stark an die Arbeitskosten gebunden. "Das wäre kein Zukunftsmodell angesichts des demographischen Wandels und angesichts des weltweiten Wettbewerbs."

Bundesgesundheitsminister Rösler sieht den Krankenversicherungskompromiss ebenfalls als Einstieg in eine langfristige Reform. Er sagte im Deutschlandfunk, die Lasten für das kommende Jahr seien gerecht zwischen Arbeitnehmern, Arbeitgebern, Leistungsgebern und Steuerzahlern verteilt. "Der Zusatzbeitrag wurde so ausgebaut, dass er der Einstieg in ein neues System ist", sagte Rösler. Wichtig sei es, den Faktor Arbeit nicht zusätzlich durch steigende Kosten im Gesundheitssystem zu belasten.

"Faires Paket"

"Die kurzfristigen Probleme für 2011 sind gelöst, aber wir haben auch den Einstieg in eine langfristige Reform gewagt, die sicherstellt, dass die Menschen auch morgen noch gut versichert sein können." Die Senkung des Krankenversicherungsbeitrags 2009 sei eine krisenbedingte Maßnahme gewesen, sagte der Minister. "Die Krise läuft nun langsam aus, und deswegen ist es gerechtfertigt, dass auch diese steuerfinanzierte Senkung ausläuft." In Zukunft komme es darauf an, das System selbst und die Ausgabenseite zu verbessern.

Der gesundheitspolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Jens Spahn, sagte der "Welt", es handele sich um ein "faires Paket" aus Beitragserhöhungen und Einsparungen, das angesichts des erwarteten Milliarden-Defizits der Krankenkassen nötig sei. Er kündigte weitere Reformen an: "Dabei geht es um das Verhältnis von Ärzten und Krankenhäusern, um die Finanzierung der Krankenhäuser, um die ärztliche Versorgung auf dem Land und um die Gestaltungsfreiheiten von Krankenkassen."

Quelle: ntv.de, tis/rts/dpa/AFP

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