Politik

"Das Schweigen ist gebrochen" Hilfe für Missbrauchsopfer geplant

Es war die letzte Sitzung des Runden Tisches, den Christine Bergmann (r.) geleitet hatte.

Es war die letzte Sitzung des Runden Tisches, den Christine Bergmann (r.) geleitet hatte.

(Foto: dpa)

Der Runde Tisch zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs verständigt sich einstimmig auf ein umfangreiches Maßnahmenpaket: Es geht um schnelle Hilfen für Opfer, Therapien und Entschädigungen, aber auch um Prävention und Ursachenerforschung. Opfervertreter kritisieren die Abschlusserklärung.

Nach eineinhalbjähriger Arbeit hat der Runde Tisch zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs in Institutionen und Familien seinen Abschlussbericht vorgelegt. Zu seinen Vorschlägen gehört auch ein Hilfsfonds von 100 Millionen Euro, der vor allem Opfern sexuellen Missbrauch in Familien unbürokratisch zu Gute kommen soll - also dort, wo die Entschädigungsfrage unklar ist.

Die Ministerinnen Schröder, Schavan und Leutheusser-Schnarrenberger (v.l.) lobten die Arbeit von Christine Bergmann (nicht im Bild).

Die Ministerinnen Schröder, Schavan und Leutheusser-Schnarrenberger (v.l.) lobten die Arbeit von Christine Bergmann (nicht im Bild).

(Foto: REUTERS)

In dem Bericht werden weitestgehend die Vorschläge der aus dem Amt bereits ausgeschiedenen Missbrauchsbeauftragten Christine Bergmann aufgegriffen. Grundsätzlich sollen die Institutionen, also die Kirchen oder Träger von Schulen und Heimen, die Kosten für die Opfer übernehmen. Dabei bleibt es den Institutionen überlassen, über die Höhe des Schmerzensgeldes zu entscheiden. "Der Runde Tisch kann den Institutionen nicht ihre Verantwortung dafür abnehmen, das 'Schmerzensgeld' in der Höhe so zu bemessen, dass die Betroffenen es als ernst gemeinte Geste der Anerkennung des Unrechts verstehen und akzeptieren können", heißt es in dem Bericht.

Dort, wo aber die Entschädigungsfrage unklar ist, wie etwa in Familien, oder dort, wo die staatliche Schulaufsicht versagt hat, soll der Hilfsfonds greifen. Nach Aussage von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) ist der Bund bereit, die Hälfte der 100 Millionen Euro zu finanzieren. Aber auch die Länder und Kommunen müssten dazu ihren Beitrag leisten. Die Länder konnten sich bislang nicht dazu durchringen, das neue Hilfesystem zu unterstützen.

Kritik von Opfervertretern

Opfervertreter zeigten gemischte Reaktionen auf die Annahme des Abschlussberichts. "Wir sind nicht unzufrieden, aber es muss noch Einiges geschehen", sagte Kathrin Radke, Vorsitzende der Bundesinitiative der Betroffenen. So forderte sie die Abschaffung der Verjährungsfrist beim Straftatbestand Missbrauch und bessere Beratungsmöglichkeiten für Migranten und für Männer. Auch müssten die Maßnahmen jetzt losgehen. "Bisher sind es nur Worte", sagte sie.

"Wir sind natürlich sehr überrascht, dass die Deckelung der Hilfen für Betroffene, wie Therapien und Eingliederungsmaßnahmen, bei 10.000 Euro es tatsächlich in den Abschlussbericht geschafft hat. Das Leid der Betroffenen ist ungedeckelt", erklärte Christian Bahls von der Initiative MOGiS.

Verjährungsfrist wird verlängert

Als weiteres Ergebnis der mehr als anderthalbjährigen Arbeit des Runden Tischs nannte Leutheusser-Schnarrenberger unter anderem die Heraufsetzung der Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche aus sexualisierter Gewalt von drei auf 30 Jahre. Das Alter der Opfer für den Beginn der Verjährungsfrist von strafrechtlichen Tatbeständen wurde auf 21 Jahre festgelegt. Außerdem sollen Mehrfachvernehmungen von Opfern vermieden werden.

Auch sollen Gesetze und gerichtliche Verfahrensregeln geändert werden, damit Betroffene nicht häufiger als nötig ihre Aussagen wiederholen müssen. Ein Teil der Empfehlungen befinden sich bereits in der Umsetzung, etwa Änderungen beim Opferentschädigungsgesetz. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) sagte, mit dem Abschlussbericht sei man noch nicht am Ende der Arbeit. Bundestag und Bundesrat müssten jetzt die Empfehlungen noch in Gesetze gießen.

Schavan fordert "Kultur des Hinsehens"

Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) sagte: "Das Schweigen ist gebrochen. Wir brauchen eine Kultur der Achtsamkeit und des Hinsehens". Schavan kündigte weitere Forschungsarbeiten über Hilfsmöglichkeiten für Opfer, Ursachen und mehr Vorbeugung an.

Alle drei Ministerinnen lobten die Arbeit von Christine Bergmann. Die SPD-Politikerin war von 1998 bis 2002 Bundesfamilienministerin.

Als Nachfolger soll Johannes-Wilhelm Rörig ab 1. Dezember die unabhängige Stelle des Missbrauchsbeauftragten übernehmen. Die Telefonhotline bleibe weiter bestehen. Ein Online-Angebot sei geplant.

Schröder kündigte für das nächste Jahr eine gemeinsame Aufklärungsinitiative von Bund, Kirchen, Kinderschutzbund und Kultusministern gegen "sexualisierte Gewalt" an. Die Bundesregierung hatte die Missbrauchsbeauftragte und den Runden Tisch im Frühjahr 2010 eingesetzt, nachdem immer mehr Fälle aus der Vergangenheit in kirchlichen Einrichtungen, Schulen und Heimen bekanntgeworden waren.

Quelle: ntv.de, dpa/AFP

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