Politik

Zum Geburtstag ein neuer Krieg? "Ich bin pessimistisch, was Israel angeht"

Für Israel könnte das 70. Jahr viele Veränderungen mit sich bringen - innen- wie außenpolitisch.

Für Israel könnte das 70. Jahr viele Veränderungen mit sich bringen - innen- wie außenpolitisch.

(Foto: picture alliance / Oded Balilty/)

70 Jahre Israel bedeuten auch 70 Jahre Nahost-Konflikt. Wer dabei nur an die Probleme zwischen Israelis und Palästinensern denke, habe die Region nicht verstanden, meint Richard C. Schneider im Gespräch mit n-tv.de.

Richard C. Schneider wählt seine Worte mit Bedacht. Gefällt ihm seine Formulierung nicht, hält er inne, denkt nach und setzt dann neu an. Auch im persönlichen Gespräch kommen dabei druckreife Sätze heraus. Das liegt möglicherweise auch an dem Ort, an dem Schneider seit Jahren lebt und arbeitet: In Israel war er jahrelang Leiter des ARD-Studios in Tel Aviv und ist dort heute noch als Journalist und Autor aktiv. Seinem Publikum das Leben im Nahen Osten mit all den komplexen Zusammenhängen begreiflich zu machen, bezeichnet er als eine der schwierigsten Aufgaben. Eine andere ist, dass sich Dinge dort über Nacht ändern.

Als das Gespräch in Tel Aviv geführt wurde, standen die Feiern zu 70 Jahre Israel noch bevor und der Iran war zwar eine konkrete Bedrohung, aber was genau passieren wird, war unklar. In der Zwischenzeit gab es die ersten direkten Konfrontationen mit dem Iran. Schneider selbst sieht Israel mindestens in einer Krisen-, vielleicht sogar schon bald in einer Kriegssituation – mit der nächsten Eskalation in unmittelbarer Zukunft: Sollte die Hamas an diesem Dienstag mit Zehntausenden Menschen den Grenzzaun zu Gaza einreißen, um den Anspruch auf Rückkehr deutlich zu machen, könnte es zu einem Blutbad dort kommen. Eine schwierige Zeit für Geburtstagsfeiern.

n-tv.de: Israel feiert in diesem Jahr einen runden Geburtstag. Was wünschen Sie dem Land 70 Jahre nach Staatsgründung? 

Richard C. Schneider: Das ist simpel. Frieden auf alle Fälle. Den Erhalt und den Ausbau der Demokratie. Das war es eigentlich schon.

Darin steckt doch eine Menge. Fangen wir mit dem Frieden an: Ist er überhaupt erreichbar?

Sie haben mich gefragt, was ich wünsche, nicht, was sein wird! (lacht)

Gut, ich probiere es nochmal: Wie viel Hoffnung haben Sie, dass Ihre Wünsche sich erfüllen?

Richard C. Schneider: "Mein Blick auf Israel"

Das jüngste Buch von Richard C. Schneider lässt sich auch als ein "Coming-of-Age" des Landes lesen, das er seit über 30 Jahren als Journalist bereist: Für Schneider ist Israel eine Art "Versuchslabor" für die westliche Welt - nicht nur, was die intensive, schnelle Lebensart angeht. In Israel geht man seit Jahrzehnten mit Fragen um, die inzwischen auch Europa und Deutschland erreichen: Wie geht man mit Terror um? Wie erhält man trotz Angst eine vielfältige Gesellschaft? In "Mein Blick auf Israel" legt Schneider die Zusammenhänge zwischen Geschichte und Gegenwart, zwischen geübten Narrativen und Traumata auf. Nicht nur eine passende Geburtstagsschrift zum 70. des Landes, sondern auch eine spannende, aktuelle Lektüre.

Keine. Ich bin wirklich sehr pessimistisch. Vor allem, wenn ich mir ansehe, was sich innerhalb der israelischen Gesellschaft tut. Ich sehe, wie der Demokratie-Begriff zunehmend mit Füßen getreten wird. Ich sehe, wie ebenso wie in Europa und in den USA die fundamentalisierte Rechte anfängt, die Demokratie von innen auszuhöhlen. Und wie der Streit zwischen politischen Gegnern kein demokratischer Dialog ist, sondern zunehmend zur Delegitimierung des politischen Gegners mutiert. Das geht vor allem von der israelischen Rechten aus, aber nicht nur. Die israelische Linke ist zum Teil in ihrer Ideologie auch dermaßen eingeengt, kleinkariert, realitätsfern, dass das Bashing der Rechten teilweise ebenso banal ist. Aber auch das sehen wir in Europa.  Was wir im Grunde hier erleben, ist die Krise des westlichen Liberalismus. Ich mache mir insgesamt große Sorgen über die Zukunft des Westens, zu dem ich Israel im Moment noch zählen will.

Derzeit schaut der Westen besonders kritisch auf den israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu. Dieser scheint auf der einen Seite jede Wahl zu gewinnen, auf der anderen Seite geht bei ihm wegen Korruptionsverdachts die Polizei ein und aus.

Hier wird aus westlicher Sicht gerne einiges in einen Topf geworfen. Benjamin Netanjahu ist nicht Erdogan, ist nicht Putin. Was Sie gerade beschrieben haben, dass die Polizei stundenlang im Büro des Premierministers sitzt, das ist undenkbar in Ankara oder Moskau, das würde niemals geschehen. Dass Netanjahu vielleicht gerne die Macht eines Putin und eines Erdogan haben würde, ist klar. Zum Glück ist er nicht in der Position. Und bislang erweisen sich die Gerichte in Israel als ziemlich unabhängig. Es wurden bereits Staatschefs eingebuchtet. Wobei es natürlich extrem traurig ist, dass die Israelis mit Stolz darauf hinweisen, dass immerhin ein Staatspräsident und ein ehemaliger Premierminister im Knast saßen oder noch sitzen, anstatt zu fragen: Wie korrupt ist dieses Land, sind diese Politiker eigentlich?

Für einen großen Teil der israelischen Bevölkerung scheinen die Untersuchungen keine Rolle zu spielen, da erfreut sich Netanjahu immer noch großer Zustimmung.

Auch wenn Richard C. Schneider dem breiten Publikum vor allem als Nahost-Korrespondent auf dem Bildschirm bekannt ist, gilt seine Leidenschaft auch dem geschriebenen Wort - und nicht nur dem eigenen: Fast 5000 Bücher stehen in seinem Bücherschrank.

Auch wenn Richard C. Schneider dem breiten Publikum vor allem als Nahost-Korrespondent auf dem Bildschirm bekannt ist, gilt seine Leidenschaft auch dem geschriebenen Wort - und nicht nur dem eigenen: Fast 5000 Bücher stehen in seinem Bücherschrank.

(Foto: Thomas Dashuber)

Aus israelischer Sicht hat Netanjahu dem Land viel Gutes getan. Das wird in Europa, in Deutschland kaum gesehen. Das Wirtschaftswachstum ist unter Netanjahu gestiegen. Es ist ihm zudem gelungen, Israel in den vergangenen Jahren aus den ganz großen Konflikten so weit wie möglich herauszuhalten.

Er ist derjenige, der so tut, als ob er Mr. Security sei, daran glauben hier sehr viele. Gleichzeitig ist Netanjahu jemand, der im Grunde sehr vorsichtig ist, was Krieg betrifft. Er redet groß daher, sicher. Aber er schreckt immer eher vor Krieg zurück. Wenn wir seinen Vorgänger Ehud Olmert anschauen, der war viel schneller dabei und zwar mit Karacho. So wird auch gerne vergessen, dass im letzten schrecklichen Gazakrieg 2014 Netanjahu gemeinsam mit Zipi Livni (von März 2013 bis Dezember 2014 israelische Justizministerin, Anm. der Redaktion) und Bogie Jaalon (von März 2013 bis Mai 2016 israelischer Verteidigungsminister, Anm. der Redaktion) die Extremisten im Kabinett davon abgehalten hat, in Gaza einzumarschieren, es zurückzuerobern oder weiß der Kuckuck was zu tun. Schlimm genug, was damals alles passiert ist. Aber Netanjahu hat versucht, Schlimmeres zu verhindern.

Gleichzeitig gibt es kaum politische Gegner, die ihm wirklich Paroli bieten können. Weil er schon so lange an der Macht ist, glauben viele hier, dass er der einzige Politiker ist, der das politische Spiel auch international beherrscht.

Sehen Sie jemanden, der seine Aufgaben übernehmen könnte, sollte Netanjahu tatsächlich sein Amt abgeben müssen?

Das ist tatsächlich ein Teufelskreis. Das sagen ja übrigens auch viele linke Intellektuelle: Lieber Bibi als jemand unerfahrenes. Ich glaube aber, dass in Israel viel in Bewegung geraten würde, wenn Bibi einmal weg wäre. Dann könnte aus dieser unglaublichen politischen Starre möglicherweise etwas Neues entstehen. Es könnten neue Figuren auftauchen, die sich noch ganz bewusst bedeckt halten, weil sie ihr Pulver nicht verschießen wollen. Vielleicht würde es dann erstmal eine Zeit massiver Unruhe geben. Vielleicht auch erstmal einen Ministerpräsidenten, der völlig unfähig ist.  Aber diese Verkrustungen müssen dringend aufbrechen.

In Ihrem Buch wird der Konflikt mit dem Palästinensern bewusst erst im hinteren Teil thematisiert. Wenn man in Europa oder genauer in Deutschland über den Nahost-Konflikt spricht, meint man jedoch in der Regel den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern.

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Diese Terminologie sagt doch schon so viel.  Wenn man von dem palästinensisch-israelischen Konflikt als Nahost-Konflikt spricht, dann impliziert man damit, dass das der eigentliche, ganz große Konflikt des gesamten Nahen Ostens ist. Wer aber nicht spätestens mit dem arabischen Frühling begriffen hat, dass dieser Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern eine, bitte in deutlichen Anführungszeichen, "Lappalie" ist, im Vergleich dazu, worüber sich die sunnitischen und schiitischen Länder die Köpfe einschlagen, der will es entweder nicht sehen und hat eine bestimmte politische Agenda im Kopf. Oder er versteht den Nahen Osten nicht. Insofern finde ich diese Terminologie so gefährlich. Man konnte wahrscheinlich noch in den 1960er und 1970er Jahren mit einiger Berechtigung so reden. Damals verlief der Nahost-Konflikt an der Scheide zwischen Israel und den Palästinensern, zwischen Sowjets und den USA, die arabischen Staaten gegen die westliche Welt und so weiter. Aber schon damals stimmte es nicht ganz. Und heute gar nicht mehr. Da hat die Rechte in Israel mal wieder Recht behalten. Sie hat immer gesagt, der Konflikt im Nahen Osten ist nicht gelöst, wenn wir das palästinensische Problem gelöst haben. Vielleicht wäre für Israel einiges gelöst. Aber nicht für den gesamten Nahen Osten.

Im Nahen Osten scheinen sich derzeit eine Menge Linien zu verschieben. Nicht nur die USA, auch Saudi-Arabien scheinen sich nun mit Israel gegen den Iran verbünden zu wollen.

Ja, die Dinge verändern sich gerade sehr. Das sieht man auch an den Interviews, die der saudische Prinz Mohammed bin Salman gibt und wo er etwa erstmals das Existenzrecht Israels anerkennt. Das wird jetzt nicht die neue Freundschaft zwischen den Saudis und Israel, aber es zeigt natürlich eines: Den Saudis und den meisten anderen arabischen Staaten sind die Palästinenser herzlich egal – auch wenn der saudische Prinz nochmal nachgelegt und einen Palästinenserstaat gefordert hat. Das ist einfach auch ein Stück Realität. Und wenn es ihnen aktuell zupass kommt, sich mit Israel gegen den Iran zu verbünden, dann tun sie das auch auf Kosten der Palästinenser. Im Makro verändern sich die Dinge massiv, im Mikro verändert sich halt nichts.

Ich hatte zuletzt den Eindruck, dass der Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis insgesamt aus dem Fokus, aus den Medien und den Köpfen gerutscht ist.

Das ist ja auch klar. Der Nahostkonflikt – pardon, jetzt sage ich das auch schon – der israelisch-palästinensische Konflikt ist angesichts der Konflikte, die es hier im Nahen Osten gibt, minimal. Die Europäer stecken selbst bis über beide Ohren in massivsten Problemen, wir haben einen Präsidenten in Washington, der diese Welt an den Rand eines Weltkrieges treiben kann, das zumindest ist die Befürchtung. Putin macht, was er will. Erdogan macht, was er will. Da ist das hier im Vergleich nichts besonders. Und die Ermüdungserscheinungen kommen dazu – es ist immer wieder mehr vom Gleichen.

Ermüdung auch bei den Konfliktparteien? Die Reaktionen auf die Ankündigung des US-Präsidenten Donald Trump, die Botschaft nach Jerusalem zu verlegen, fielen im Vergleich zu den Erwartungen verhalten aus.

Es wird schon noch einiges kommen, da wird noch Blut fließen, fürchte ich. Die jüngsten Ausbrüche bei den Demonstrationen in Gaza zeigen das. Aber am Ende sind natürlich auch die Palästinenser müde und frustriert.

Wenn man mit Israelis spricht, findet man schon den großen Wunsch, diesen Konflikt zu lösen. Gleichzeitig wird immer wieder betont: Wenn wir das lösen, dann nur für uns. Für unsere moralische Integrität. Nicht für irgendwelche Israel-Kritiker aus Europa.

Für die Europäer etwas zu tun, ist sowieso sinnlos. Man tut immer nur etwas für sich. Die Europäer sind in ihrer politischen Haltung auch nicht wirklich ehrlich. Allein die Art und Weise, wie sich viele europäische Staaten im Syrien-Konflikt verhalten, wie man auf der einen Seite der Türkei Waffen liefert, auf der anderen Seite ihre Angriffe verurteilt. In vielen Bereichen wird das eine getan und das andere gesagt.

Ich lebe schon seit vielen Jahren außerhalb Europas und der Blick von außen ist für einen gebürtigen Europäer ganz interessant. Im Grunde nimmt niemand mehr die Europäer ernst und ich glaube nicht, dass die Europäer das begriffen haben. Man braucht sie. Einfach schon mal, weil sie Geld haben, ganz banal. Man braucht sie als Wirtschaftspartner. Aber politisch? Da interessiert sich kein Mensch dafür, was die Europäer sagen. Wir sehen das bei Erdogan, bei Putin, wir sehen es hier in Tel Aviv, wir sehen das überall. Sie sind wunderbare Zahlmeister, aber wenn sie moralisch daherkommen, Menschenrechte und das ganze Gedöns, dann wird gedacht: Kinder, überprüft mal eure eigene Politik und Doppelbödigkeit.

Ich möchte mal erleben, wie Europa reagieren würde, wenn es politisch, militärisch in einer ähnlichen Situation wäre, wie Israel. Für mich war bezeichnend, wie mit den schrecklichen Anschlägen in Paris umgegangen wurde. Die Franzosen haben sofort den Ausnahmezustand verhängt, der fast anderthalb Jahre gehalten hat.

Das Schengener Abkommen wurde de facto außer Kraft gesetzt, es gibt Passkontrollen …

Genau, Schengen außer Kraft, man hat Gesetze geändert, man kann Verdächtige schneller verhaften. Da reagieren die Europäer sogar noch viel schneller und aggressiver, als das in Israel der Fall ist. In dem Moment, wo eine Bedrohung besteht, nähert man sich israelischen Gegebenheiten an.

Es ist natürlich leicht, in Berlin, Paris oder London zu sitzen und über Israel zu richten. Was nicht heißt, das man nicht kritisieren kann. Politisch fundiert kritisieren und auch sehen, dass die politische Entwicklung in diesem Land problematisch ist, das ist ja klar. Was halt aber oft passiert: Es wird gleich gerichtet.

Das ist ja auch ein Problem, das wir Journalisten in der Berichterstattung haben. Wie vermittele ich einem Publikum, das das Glück hat, seit 70 Jahren keinen Krieg mehr zu kennen, die Situation, sich im Krieg zu befinden? Das Gefühl von Bomben in den eigenen Städten? Das kennen die Menschen in Deutschland Gott sei Dank nicht, so soll es ja auch sein. Das macht es aber wahnsinnig schwer, etwas zu vermitteln, was der Zuschauer oder der Leser nicht nachvollziehen kann, weil er es nicht kennt. Dadurch kann er auch kein Gefühl dafür entwickeln, wie sich eine Gesellschaft entwickelt, die bedroht wird. Ich heiße die Entwicklung nicht gut. Aber man muss verstehen, wo es herkommt.

Mit Richard C. Schneider sprach Samira Lazarovic

Quelle: ntv.de

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