Wolfgang Gerhardt scheidet aus Bundestag aus "Ich hatte hohen Respekt für Willy Brandt"
11.07.2013, 12:32 UhrIm Flur stehen Umzugskisten, Wolfgang Gerhardt schafft Bücher und Akten aus seinem Bundestagsbüro in die Räume der Naumann-Stiftung, deren Chef er seit 2006 ist. Ins Parlament wird er nach der Wahl im September nicht mehr zurückkehren. Zeit für einen Rückblick.

Wolfgang Gerhardt war von 1995 bis 2001 FDP-Chef und von 1998 bis 2006 Vorsitzender der FDP-Fraktion im Bundestag. Seit 2006 ist er Vorstandsvorsitzender der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
n-tv.de: In den vergangenen sieben Jahren haben Sie zwar noch die eine oder andere Strippe gezogen, aber Sie standen nicht mehr in der vordersten Reihe der FDP. Gab es Momente, an denen Sie gedacht haben: Gut, dass ich damit nichts mehr zu tun habe!
Wolfgang Gerhardt: Nein, die gab es nicht. Höchstens Momente, an denen ich intern gesagt habe, dass ich etwas anders gemacht hätte. Aber ein Gefühl der Distanz gab es nie. Ich hänge doch sehr an der FDP.
Gerade in den vergangenen Jahren war Ihre Partei in der einen oder anderen Krise. Selbst da keine unguten Gefühle?
Man ärgert sich natürlich gelegentlich über manches, und man sollte auch den katastrophalen Start in dieser Legislaturperiode nicht verschweigen - das weiß jeder. Den hätten wir vermeiden können. Aber ich bin bekennender Liberaler, und da gibt man nicht auf.
In der Politik sind Sie seit den 70er Jahren. Welche Politiker haben Sie besonders beeindruckt?
Ich war von der Lebensart in Kombination mit der Politik von Walter Scheel sehr angetan, auch von der konzeptionellen Arbeit und Durchhaltefähigkeit von Otto Graf Lambsdorff. Das sind zwei Persönlichkeiten, die ich sehr respektiert habe.
Und außerhalb der FDP?
In meiner Jugendzeit, als ich mich der Politik genähert habe, spielten natürlich Willy Brandt und die sozialliberale Koalition eine bedeutsame Rolle. Ich habe Willy Brandt hoch respektiert, in späteren Zeiten allerdings auch gelernt, dass ein Politikertypus wie Helmut Kohl für Deutschland wichtig war - im Zupacken im entscheidenden Moment und im Widerstehen gegenüber Anfeindungen.
Bei vielen kommt ab 40 das Gefühl auf, dass früher alles besser war. Ging es Ihnen auch so?
Eine solche Nostalgie habe ich nie geteilt. Die Politik war früher nicht besser, auch die Aufnahme von Politik nicht. Auch früher wurde die Politik schon scharf kritisiert, die Lautstärke auf dem Markt der öffentlichen Aufmerksamkeit war beträchtlich. Jene, die etwas Substantielles zu bieten hatten, wurden weniger beachtet - je lauter der Ton, desto eher wurde zugehört. Was sind geändert hat, sind die Themen: Die Wiedervereinigung und ihre Folgen waren das beherrschende Thema in der Zeit, in der ich Politik gemacht habe, nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs war es um das Wiederaufbauwerk gegangen. Und jetzt stellt sich die europäische Herausforderung. Es gibt immer genug zu tun.
Hat sich der Umgang der Politiker untereinander verändert?
Ich bin seit 1978 Abgeordneter, erst in Hessen, dann im Bundestag. Ich kann keine signifikanten Veränderungen feststellen. Eher muss ich denen sagen, die sich nach knorrigen Politikertypen wie Herbert Wehner sehnen, sie sollten sich mal deren Zwischenrufe im Bundestag zu Gemüte führen. Das war nicht gerade stilbildend.
Was ist mit dem Umgang mit Politikern? Wäre ein Fall wie Anfang des Jahres die Aufregung um die "Stern"-Geschichte über Rainer Brüderle vor zwanzig Jahren möglich gewesen?
Das weiß ich nicht. Ich denke, dass ein Chefredakteur eine Journalistin abhalten müsste, einen solchen Artikel zu schreiben. Ich habe das nicht als feinen Journalismus empfunden. Stellen Sie sich den Fall einmal umgekehrt vor: Ein junger Journalist hätte sich abends in dieser Art und Weise einer älteren Politikerin genähert und sie gefragt, ob sie in ihrem Alter überhaupt noch tauglich sei. Das hätte einen Aufschrei der Empörung gegeben. Ich bedaure diese unterschiedlichen Maßstäbe.
Sie sind 1994 erstmals in den Bundestag gewählt worden, fünf Jahre später zog das Parlament nach Berlin um. Können Sie sich heute noch vorstellen, dass die Politik in Bonn hätten bleiben können?
Nein, ich war für Berlin, das war eine unausweichliche Entscheidung. Wobei Bonn eine hervorragende Visitenkarte für die Bundesrepublik Deutschland war. Bei Berlin gab es daher die Befürchtung, dass jetzt alles etwas größer wird und dass die Deutschen den bescheideneren Auftritt von Bonn verlieren könnten. Das ist aber nicht passiert.
Gibt es das eine einschneidende Erlebnis, an das Sie vor allem denken, wenn Sie Ihre Jahre in der Politik Revue passieren lassen?
Ja, das war eine Bundesratssitzung, ich war damals hessischer Bundesratsminister. Es war der 10. Dezember 1989, die erste Sitzung nach dem Fall der Mauer. Den Vorsitz hatte turnusgemäß Berlins Regierender Bürgermeister Walter Momper, und da der Bundestag nicht tagte, kam auch Helmut Kohl in den Bundesrat. Wir hatten vereinbart, dass jede politische Grundrichtung sprechen sollte. Ich hatte das Glück, für die FDP sprechen zu können. Nie wieder habe ich eine ähnliche parlamentarische Stunde von dieser historischen Bedeutung erlebt.
Der CSU-Politiker Michael Glos, der den Bundestag ebenfalls verlässt, hat unlängst in einem Interview über den Grünen-Spitzenkandidaten Jürgen Trittin gesagt, der sei ein "Kotzbrocken" und ein "Öko-Stalinist" ohne Benehmen. Wem würden Sie gern noch einen solchen Abschied zurufen?
Ich verteile keine Noten. Natürlich gibt es unterschiedliche Persönlichkeiten in der Politik. Aber ich will einen Abschied, ohne anderen zu nahe zu treten.
Sie schreiben gerade ein Buch. Worum geht es da?
Es geht um eine Kinderzeit auf einem Bauernhof in meiner Heimat, im Vogelsberg. Ich finde die bäuerlichen Lebensgewohnheiten, die es dort damals gab, das Erleben der vier Jahreszeiten, die Bescheidenheit so unvergleichlich, das wollte ich für meine Familie und vor allem für mein Enkelkind aufschreiben. Er kommt jetzt zur Schule - wenn er lesen lernt, dann kann er sich das mal vornehmen.
Mit Wolfgang Gerhardt sprach Hubertus Volmer
Quelle: ntv.de