"Ich will keinen Waffenstillstand" Immer mehr Frauen kämpfen in der Ukraine
15.10.2014, 13:44 Uhr
Bei den prorussischen Separatisten in Mariupol.
(Foto: imago/ITAR-TASS)
Bevor die Gefechte in der Ostukraine entbrannten, hätten sie es sich nicht vorstellen können, zur Waffe zu greifen. Doch nun spielen Maria, Gaika, Alla und viele andere Frauen mit ihrem Leben und kämpfen an vorderster Front.
Die prorussischen Separatisten in der Ukraine bekommen zunehmend Unterstützung weiblicher Kämpfer. Mit dem Eintritt in eine Artillerie-Einheit folge sie einem inneren Bedürfnis, sagte eine Frau mit dem Kampfnamen "Gaika" - der russischen Bezeichnung der Maus "Gadget" aus einer Disney-Zeichentrickserie. "Wenn dein Haus zerstört wird und alles, was dir etwas bedeutet - Freunde, Arbeit, Zukunft -. ist eine Frage des Charakters, einzugreifen. Mädchen, die in den Kampf gehen, sind echte russische Frauen", erklärte die Frau mit dem bürgerlichen Namen Irina.
Sie habe viel durchgemacht, bereue aber nichts. "Haubitzen, riesige Fahrzeuge, an den Lärm werde ich mich am meisten erinnern. Aber die schmerzlichen Erinnerungen schwinden. Wir versuchen, uns auf das Positive zu konzentrieren. Um mich herum sind jetzt so viele Freunde, der Krieg bringt die Menschen näher zusammen."
In Irinas Einheit am Rande ihrer Heimatstadt Donezk sind fünf weitere Frauen: drei Sanitäterinnen, eine Kämpferin und eine Aufklärungsspezialistin. "Ich hatte zunächst Zweifel, als ich die Frauen zuließ", sagt ihr Kommandeur Jesaul, ein Kosake aus der benachbarten Rebellenhochburg Luhansk. "Aber jetzt vertraue ich ihnen mehr als den Männern. Frauen trinken nicht."
Geschminkt ins Gefecht
Eine Kameradin Irinas hat früher in einer Tankstelle in Gorlowka gearbeitet. "Die Angst ist immer dabei", beschreibt sie ihre Gefühle im Gefecht. "Aber ich hatte größere Angst als ich noch Zuhause saß und hörte, wie die Granaten flogen." Jetzt muss sie auf viele Gewohnheiten verzichten, aber nicht auf alle. Sie zeigt auf die Schminkutensilien auf der Fensterbank ihres Zimmers in einer alten Fabrik, die den Rebellen nun als Stützpunkt dient. "Krieg ist Krieg, aber irgendwie muss ich immer noch Make-up tragen."
Aber auch auf der gegnerischen Seite kämpfen Frauen. So haben sich etwa zehn Freiwillige dem Schachtarsk-Bataillon angeschlossen, das die Regierungstruppen unterstützt und Ende August bei einem schweren Gefecht bei Ilowajsk von Separatisten eingekesselt wurde. Dabei war die 20-jährige Krankenschwester Maria. In ihrem Bataillon habe es 30 Verwundete und Tote gegeben, berichtet sie. Sie habe nicht einfach nur für eine Hilfsorganisation tätig sein wollen. Es würden Helfer benötigt, die die Verwundeten aus der Schusslinie brächten. "Viele sterben, weil dies niemand tut. Ich tue es."
Ihre Mitstreiterin Aljona hatte sich zuerst der Nationalgarde angeschlossen. "Da waren nur Straßensperren und das Überprüfen von Dokumenten. Aber ich wollte kämpfen." Sie ist überzeugt, dass sie dazu noch viel Gelegenheit haben wird: "Dies ist erst der Anfang, die sogenannte Waffenruhe ist nur eine Pause. Ich werde bis zum Ende kämpfen."
Auch die Separatistin Alla glaubt nicht an ein schnelles Ende der seit etwa einem halben Jahr andauernden Kämpfe. Die Anfang September vereinbarte Feuerpause wird immer wieder gebrochen. "Auf unserer Seite sind so viele Menschen, Kinder und Frauen getötet worden. Ich will jetzt keinen Waffenstillstand."
Die Kämpferinnen beider Konfliktparteien haben oft noch etwas gemeinsam: Wenig Respekt gegenüber Männern, die sich nicht an den Kämpfen beteiligen. "Nur wenn ein Mann in den Kampf geht, ist er ein richtiger Mann", befindet Gaika. "Diejenigen, die in der Stadt sitzen und Bier trinken, sollten gleich Röcke anziehen. Es ist eine Schande."
Quelle: ntv.de, Petra Jasper, rts