Das Land muss durchhalten Immunität darf nicht diskriminieren
10.05.2020, 15:57 Uhr
Allmählich werden die Corona-Maßnahmen in Deutschland gelockert. Daraus können sich Probleme ergeben, warnt die SPD.
(Foto: imago images/Future Image)
Deutschland ist vergleichsweise glimpflich durch die Corona-Krise gekommen. Werden die Einschränkungen gelockert, müssten klare ethische Grenzen eingehalten werden, warnt die Fraktionsvize der SPD.
Das Virus ist neu, wir wissen von Woche zu Woche mehr darüber - vieles aber noch nicht. Was wir aber schon jetzt sagen können: Deutschland liegt beim Kampf gegen das Coronavirus weltweit auf dem zweiten Platz - so das Ergebnis einer internationalen Vergleichsstudie der Londoner Deep Knowledge Group. In internationalen Medien wird immer wieder gefragt, warum bei uns die Todesrate niedriger ist als in anderen Ländern. Es gibt dafür statistische Gründe. Die ersten Infizierten in Deutschland waren jünger als in anderen Ländern. Es gibt aber auch signifikante medizinische Faktoren. Dazu zählen vor allem frühzeitige und weit verbreitete Tests und eine hohe Anzahl an Intensivbetten.
Als das Virus sich auch bei uns schnell verbreitete, mussten wir die schnelle, exponentielle Ausbreitung stoppen. Unser Ziel: Das Gesundheitssystem funktionsfähig zu halten. Wir wollen, dass alle, die an Corona erkranken, so gut wie möglich versorgt werden können. Und dass auch die, die jetzt einen Herzinfarkt, einen Schlaganfall oder einen Unfall haben, ein Bett auf einer Intensivstation bekommen. Das ist uns bis jetzt gelungen. Die sogenannte Übersterblichkeit, also der Anstieg der Gesamtzahl der Todesfälle im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, ist in anderen Ländern deutlich sichtbar - beispielsweise in Italien. In Deutschland ist allenfalls eine leichte Übersterblichkeit zu erkennen. Die beschlossenen Maßnahmen wirken.

Bärbel Bas ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag.
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Dieser Erfolg, das spüren wir alle, ist mit großen Belastungen erkauft. Uns allen fehlt der Kontakt zu Freundinnen, Freunden und Familie - aber auch zu Arbeitskollegen, Erzieherinnen und Lehrerinnen. Familien sehen sich mit Home Office und Home Schooling an den Rand ihrer Belastungsgrenzen gebracht. In vielen Unternehmen wird nur noch ein Bruchteil gearbeitet. Es geht um Kurzarbeit und Entlassungen. Bei vielen Menschen geht es auch darum, ob sie ihren Arbeitsplatz behalten.
Es gibt ethische Grenzen
Dieser Erfolg gibt uns aber auch die Möglichkeit, Schritt für Schritt zu einem normaleren Leben zurückkehren. Gerade diese Woche haben Bund und Länder weitere Schritte dazu vereinbart. Gleichzeitig schaffen wir die Voraussetzungen, Infektionen besser nachverfolgen zu können. Wir müssen möglichst schnell erkennen, wo Menschen mit dem Virus infiziert sind. Je weiter wir die Kontaktbeschränkungen öffnen, desto wichtiger wird es, umfangreich zu testen. Wir müssen die Auswirkungen der Lockerungen genau beobachten und auf einen möglichen Wiederanstieg der Fallzahlen schnell reagieren.
Auch eine App kann ein wichtiger Baustein zur Nachverfolgung von Corona-Infektionen sein, um Kontaktpersonen von Infizierten schnell ausfindig zu machen. Wichtig dabei ist, dass die Daten sicher sind und ihre Nutzung freiwillig. Es ist gut, dass das Bundesgesundheitsministerium nach langem Hin und Her auf eine dezentrale Speicherung der Daten setzt. Das hatten wir, und auch viele Expertinnen und Experten, von Anfang an gefordert.
Wir haben diese Woche in der Diskussion um die Immunitätsdokumentation klar gemacht, dass es bei all den Lockerungen ethische Grenzen gibt. Es darf weder eine Diskriminierung aufgrund des Immunitätsstatus noch aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe geben. Nahezu jeder Dritte gehört zur Risikogruppe - wir dürfen sie nicht vom öffentlichen Leben ausschließen. Und auch eine Zwei-Klassen-Gesellschaft von Menschen mit Immunität und solchen ohne Immunität darf es nicht geben. Wir haben uns daher gegen Gesundheitsminister Spahn durchgesetzt und die Immunitätsdokumentation gestrichen. Solange wir nicht sicher sagen können, ob und wie lange eine Immunität nach einer Covid19-Infektion besteht, kann eine Immunitätsdokumentation ohnehin nur eine falsche Sicherheit erzeugen.
Letztlich ist klar: Wir brauchen den Impfstoff und wirksame Medikamente zur Behandlung von Erkrankten. Beides braucht seine Zeit. Bis dahin müssen wir durchhalten: Kontakte einschränken, schrittweise Lockerungen und wenn nötig wieder Schließungen. Wir wollen die Balance von nötigem Gesundheitsschutz und weiteren Schritte in die Normalität.
Bärbel Bas ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag.
Dieser Text ist Teil einer Serie von Gastbeiträgen aus den Fraktionen zur aktuellen politischen Lage in der Corona-Krise.
Quelle: ntv.de